https://i0.wp.com/ecx.images-amazon.com/images/I/51qa7RRI5lL.jpg?w=640Es war einfach sagenhaft dieses Buch zu lesen. Ohne Worte und doch muss über dieses Buch gesprochen werden. Knappe 80 Seiten die einen Redebedarf erzeugen, als wären es keine 80, sondern 800 gelesene Seiten. Der Redebedarf, der Schreibbedarf ist jetzt da und ab und an bin ich immer noch sprachlos. Adressat unbekannt – einfach gewaltig.

Bereits zum Welttag des Buches war das Büchlein in literatwoischer Munde. In München wurde es vorgestellt, denn Arndt wusste genau, welches Buch er vorstellt und über was er redet. Er hat es schon vor einiger Zeit gelesen und es zu einem wahren Meisterwerk gekürt. Einem Meisterwerk gegen das Vergessen mit dem wir die Initiative Lachen helfen e.V. unterstützen konnten.

Vor einer Woche nun griff ich zu „Adressat unbekannt“ von Kressmann Taylor. Ein kleines Buch sollte mich durch die letzte Stunde vor dem zu Bett gehen begleiten. Doch das aus dieser Stunde mehrere werden, nicht weil das Lesen lange dauert, nein, weil lange darüber nachgedacht werden muss, habe ich so nicht geahnt. Kein Kaffee dieser Welt macht so wach wie dieses Büchlein. Nicht im Geringsten.

Max Eisenstein aus San Francisco und Martin Schulse aus München schreiben sich seit dem 12. November 1932 Briefe. Eine innige Freundschaft hält beide zusammen, auch wenn sie über den weiten Ozean voneinander getrennt leben. Zudem sind beide Geschäftspartner, leiteten gemeinsam in Amerika eine Galerie, welche Max seit kurzer Zeit bestem Wissen und Gewissen weiter führt. Sein Freund Martin hat sich wieder in seine alte Heimat, nach München, zurück begeben. Sie sind sich im Tun und Handeln dennoch einig, vertrauen sich, verstehen sich und können blind alles unterschreiben, was der jeweils andere tut. Eine besondere Männerfreundschaft.

Der gegenseitige Respekt ist vorhanden, Geheimnisse, wie etwa eine geheime Liebschaft zwischen Martin und Max` Schwester Griselle, bleiben geheim. Keiner würde jemals den anderen Freund verraten. Trotz räumlicher Trennung bleibt die Freundschaft bestehen, denn die regelmäßigen, langen Briefe halten das Freundschaftsband stark. In diesen ist zu spüren, wie nah sich beide stehen. Beide erkundigen sich über ihr Leben, tauschen sich über Familie, wie auch über die Politik aus. Max hält in Amerika seine Ohren offen und hört, dass sich in Deutschland einiges verändert. Diese Veränderung, diese Bewegung unter der Hand eines gewissen Adolf Hitlers macht Max ängstlich. Er befragt Martin zu den Gerüchten über die Wandlung. Er möchte Gewissheit und hofft darauf, dass Martin ihn beruhigt, ihm seine Bedenken nimmt und das so schnell wie möglich.

Martin Schulse antwortet, er antwortet ausführlich und der Brief ist so lang wie alle vorherigen. Doch der Inhalt, der Inhalt ist es, der andere Botschaften beinhaltet wie sonst…

An dieser Stelle werde ich kein weiteres Wort zum Inhalt sagen können, denn dieses Buch sollte jeder gelesen haben. Ich fragte mich, warum ich es erst jetzt tat. Ich kannte dieses überaus wichtige Buch bisher nicht. Arndt hat es mir empfohlen, Arndt hat es mir geschickt – erschütternd für mich, es erst jetzt gelesen zu haben und ich lehne mich weit aus dem Fenster und behaupte, es ist erschütternd für jeden, der es nicht kennt, nicht gelesen hat. Jeder sollte es gelesen haben, ich schließe mich den Worte aus dem Nachwort von Elke Heidenreich an. Jeder – ja es sollte Pflichtlektüre in der Schule werden.

Ein kleines dünnes Büchlein – Adressat unbekannt – für welches sich jeder Zeit nehmen sollte. Aber Achtung – der Leser wird danach ein anderer sein, als er vorher war.

Ich bin innerlich gebrochen, zerbrochen. Der Inhalt ist wortgewaltig und zeigt, was Worte bewegen können, wie mächtig Worte sein können. Ich war schier erschüttert, als ich den vierten Brief las. Am liebsten hätte ich Martin gerüttelt, wach gerüttelt, beschimpft und vor mir her getrieben, bis er Einsicht zeigt, bis er nachdenkt, bis er versteht, was getan wird und was er tat.

Das Schlimme – Martin war sich bewusst was er tut und was andere tun. Ich war fassungslos, habe mit offenem Mund ins Buch geschaut und mich gefragt, wie sich ein Mensch von einer Sekunde auf die nächste so ändern kann, ohne Skrupel. Seine kompletten Ansichten ändern kann, ohne dabei Schmerz für einen langjährigen engen Freund zu empfinden. Selbst als Max seine Schwester in größter Gefahr ist, lässt Martin sich nicht bewegen und ist hart wie Stahl, sein Herz bleibt verschlossen und keine Emotionen dringen an ihn heran. Sie war seine Geliebte, er war sein Freund und dann kam Adolf Hitler und Martin war nicht mehr Martin.

Ein Briefwechsel der aufrüttelt, der jeden zum Erwachen bringt, der den Leser mit Emotionen überspült, ein Briefwechsel aus Rache, aus Macht. Ich bin innerlich zerbrochen, mir tat alles weh und mir tut jetzt noch alles weh. Wie kann es sein dass, wie konnte man damals nur, wie konnte er und wie konnte auch er und warum…

Ein starkes Buch für kleines Geld mit großer Wirkung und gigantischem Inhalt.

Adressat unbekannt – lesen, lesen, lesen! Ein MUSS!

9 Comments on Adressat unbekannt von Kressmann Taylor

  1. Vielen Dank für die Vorstellung dieses Buches.
    Ich kenne es nicht – aber das wird nicht so bleiben.

    (Übrigens hatte ich auch ein Buch wider das Vergessen geschrieben, leider ist es nicht mehr auf dem Markt . Aber vielleicht nächstes Jahr, als TB)

    Grüße!

  2. “ … lesen, lesen, lesen! Ein MUSS! “ – hab schon, hab schon, hab schon -))

    Habe es schon gelesen nachdem ihr es das erste mal auf eurem Blog vorgestellt habt und kann die Begeisterung nur teilen.
    Ich finde es sehr bemerkenswert dass das Buch bereits 1938 geschrieben also sehr früh das System erkannt.

    • Wirklich erstaunlich einerseits – andererseits zeigt die Autorin aber auch, wie sehr sich dieses Systeme ähneln und wie austauschbar sie sind…

      Und wenn 1938 jemand das in Amerika schrieb, dann ist es umso unwahrscheinlicher, dass ein ganzes Deutschland davon nichts geahnt oder gewusst haben soll….

  3. Ich habe gerade die letzte Seite gelesen, wir haben es als Lektüre in der Schule !
    Sie / du beschreibst es perfekt, dieses Buch hinterlässt spuren.
    Ich bin meiner Lehrerin so unglaublich dankbar das sie mit uns dieses Buch liest und analysiert. Ich bin gerade mal 18 Jahre alt und habe mir ehrlich gesagt nie so wirklich Gedanken über früher gemacht.
    Schön zu sehen das es noch sehr viele andere Menschen gibt die sich sowas noch durchlesen und sich interessieren!

  4. Liebe Bini 🙂
    freue mich sehr, dass Du mich auf deine Gedanken zu dem Buch geführt hast. Wie sehr sich doch unsere Gedanken und Emotionen zu dem Inhalt und dessen Wirkung ähneln!
    Liebe Grüße Chris

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