Wir Literatwos haben Bücher in unserer Büchervilla, die kaum zählbar sind. Vor allem in den letzten Tagen sind eine Vielzahl von Neuerscheinungen bei uns eingetroffen. Natürlich reizen uns diese Bücher am Meisten, sie rufen am Lautesten. Und dennoch haben wir und vor allem nehmen wir uns die Zeit für die Buchschätze, die schon länger bei uns wohnen.

Ein bestimmtes Gefühl in mir, ließ mich in die Anna Gavalda Romanecke gehen und zu ihrem Buch „Ich habe sie geliebt“ greifen. Bisher konnte ich mit Anna Gavalda in dieser Gefühlslage nie etwas falsch machen.  Romane von einer Frau, für eine Frau, ohne das es sogenannte Liebesschnulzen sind, nein, das sind sie wahrlich nicht.

Stille Poesie.

Anna Gavalda – eine Autorin, die weiß, was es bedeutet emotional zu schreiben und das auf hohem Niveau. Sie schreibt gefühlvoll Klartext. Die Autorin benötigt weder eine Vielzahl von Protagonisten, noch Action, um Spannung zu erzeugen. Ihr reichen in diesem Werk einzig zwei Menschen, um den Leser in eine nachdenklich empfindsame Stimmungswelt zu entführen.

Chloe und Pierre sind beide an einem Punkt in ihrem Leben, an dem sie nicht weiter wissen. Beide tragen ein Paket auf ihren Schultern, was sie tiefer und tiefer drückt. Zum einen ist es die ungewisse Zukunft, die Chloe vor Augen hat, zum anderen Pierres Vergangenheit, die er heute gern anders gehabt hätte.

Pierre ist der Schwiegervater von Chloe, die soeben von ihrem Mann verlassen wurde. Er selbst hätte seine Frau damals auch gern verlassen, hatte aber nicht den Mut dazu. Endlose Tränenströme fließen Chloe seit Tagen aus den Augen  und Pierre bringt sie aus diesem Grund in ein Landhaus. Dort sollen sie und auch ihre beiden Töchter Lucie und Marion zur Ruhe kommen. Ausgerechnet ihr Schwiegervater, den sie eigentlich als egoistischen Kotzbrocken ansieht, als Marsmenschen, der nicht wirklich in der Gesellschaft lebt, kümmert sich um sie.

Anfangs ist es ruhig im Landhaus, es gibt nur vereinzelte Gespräche, bis das Schweigen bricht und Pierre sich Chloe anvertraut. Er kann ihr Mut machen, warum die Trennung vielleicht doch das Beste ist und er kehrt sein Inneres nach außen, in dem er über seine fünfjährige Beziehung mit Mathilde spricht. Er hat damals seine Ehefrau betrogen, hat es genossen, jenes andere Leben und doch hat er sich damals lieber arrangiert und die Schandtaten anderer benutzt, um in seine Bequemlichkeit zurückzukehren.

Arbeit, Familie und Vaterland, er war dabei, obwohl genau das falsch war, wie er damals schon wusste. Er wollte wenigstens ein Vorbild für seine Kinder sein und seine Pflicht erfüllen, vergaß bei alldem aber sich selbst.

Zwei Generationen sitzen sich am Kaminfeuer gegenüber und reden über ihr Schicksal. Er entwirrt ihren Knäuel und er rührt in seinem Kessel.

Sollte man wirklich auf sein eigenes Glück nur für einen anderen Menschen verzichten?

Eine Frage, für die es wohl mehrere Antworten, aber auch Gegenfragen gibt. Letztendlich muss das jeder für sich entscheiden und hoffen, dass es ihm nicht so geht wie Pierre, der erkennt, wie feige er damals war und was er hätte haben können, wenn er sich getraut hätte. Unerfüllte Träume und Wünsche lasten auf seinem Rücken, er hätte sie gern gelebt, er hätte es damals tun sollen.

Ein Buch voller Liebe, ein Buch über die Liebe, ein Buch mit leichten Worten, welche mit Ironie und Poesie verziert sind. Außerdem wurde das Buch verfilmt, welchen ich auf jeden Fall auch noch bei passender Gelegenheit anschauen werde.

Philibert stottert, Camilie ist magersüchtig. Franck schuftet sein Leben lang. Philibert ist von verarmtem Adel, aber ein historisches Genie. Camille ist künstlerisch begabt, verdient sich ihren Lebensunterhalt in einer Putzkolonne. Franck ist kreativer Koch in einem Feinschmeckerlokal. Außerdem liebt er Frauen, Motorräder und seine Großmutter Paulette, die keine Lust aufs Altersheim hat. Vier grundverschiedene Menschen in einer verrückten Wohngemeinschaft in Paris, die sich lieben, streiten bis die Fetzen fliegen, und versuchen, irgendwie zurecht zu kommen.

Anna Gavalda widmet sich so ausgiebig ihren Figuren, dass man alles andere rundum vergisst, sogar die fehlende umfangreiche Handlung. Episodenhaft erzählt sie ihre Geschichte. Sie zeigt, wie sich vier grundverschiedene Menschen, die jeweils einsam und völlig am Boden sind, gegenseitig aufrichten. Sie selbst nennt das den umgekehrten Domino-Effekt.

Ihre Steinchen kippen nicht nacheinander um und das eine zieht das andere mit ins Verderben, bis keines mehr auf steht, sondern machen (zunächst ganz unbewusst) das genaue Gegenteil.

Gerade heutzutage, wo sich jeder nur noch um sich selbst und seine eigenen Probleme kümmert, wirkt die Art, wie die Figuren aufeinander aufpassen, sich umeinander sorgen, fast schon altmodisch – und ist gerade deswegen irgendwie herzerfrischend.
Anna Gavaldas Stil ist dabei absolut hinreißend. Sie verfolgt ihre Protagonisten mit stetig wechselndem Blickwinkel, beobachtet mal den einen, mal den anderen und zeichnet von allen ein so lebendiges, so reales Bild, dass man fast schon glauben mag, es gäbe sie wirklich.

Man kennt die Figuren mit der Zeit richtig gut, möchte sie anschubsen, damit sie endlich aus ihrer Haut herauskönnen, sie in den Hintern treten, wenn sie mal wieder auf dem Schlauch stehen und sie in den Arm nehmen, wenn sie traurig sind. Es gibt kaum „echtere“ Romanfiguren als die von Anna Gavalda. Sie hauen einen um. Sie reißen einen mit.

Viele Handlungsstränge erschließen sich über die Dialoge. Es wird sehr viel geredet, aber nicht immer mit vielen Worten. Dennoch steckt in den Dialogen sehr viel Tiefgang und selbst das Schweigen hat Gewicht. Jeder Satz, jedes Wort passt genau, vervollständigt das Bild und lässt die Figuren umso lebendiger erscheinen. Jede der Figuren trägt ihr eigenes Bündel Schicksal, aber es wirkt nie aufgesetzt. Anna Gavalda betrachte ihre Figuren stets mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Sie hat ein Gespür für tragische Momente, genau wie für lustige und unterstreicht ihren Roman mit einer fast schon zärtlichen Ironie. Anna Gavalda wächst mir mit jedem Buch mehr ans Herz. Wer noch die Muße hat, sich auf einen Roman einzulassen, der fast schon allein durch die Figuren wirkt, der wird mit einer zart und feinfühlig erzählten Geschichte belohnt.

Die Verfilmung des Buches „Zusammen ist man weniger allein“ ist hier ebenfalls gelungen. Ruhig und dezent, mit absolut passenden Schauspieler besetzt, gönnt man sich diesen Film in ruhiger Atmosphäre und einem guten Rotwein. Anna Gavalda verzaubert mit Buch und Film.

David ist ein ganz normaler Junge, dennoch hat er ein Problem, er hasst die Schule. David möchte sein Leben genießen und am liebsten jeden Tag basteln. Denn sein Motto ist wie das seiner ehemaligen Lehrerin: Ein gelungener Tag ist ein Tag, an dem man irgendwas hergestellt hat.

An Ideen mangelt es dem dreizehnjährigen David nicht, nur an der Zeit. Bereits zweimal sitzen geblieben, kann er sich kaum noch Fehltritte erlauben. Opa Leons abenteuerlicher Schuppen verbirgt oft viele Gegenstände zum Erfinden und Basteln. Dabei hat er viel Freude und ist glücklich. Kreativität ist zwar eine positive Stärke, aber damit kann man später leider kein Geld verdienen.
Seinen Eltern steht er fast immer nur im Weg und sie geben ihm selten das Gefühl von Geborgenheit. Seine Großeltern, speziell Opa Leon, hat für ihn aber zum Glück immer eine helfende Hand bereit und steht oft mit Rat und Tat zur Seite. Doch auch er wird leider nicht jünger…

Nicht immer lädt ein dünnes Buch zum kurzweiligen Verweilen ein. Mit „35 kg Hoffnung“ ist Anna Gavalda ein Buch gelungen, was nicht nur Eltern zum „Aufwachen“ ermutigen müsste. Die Wirkung ist enorm, sodass der Leser um ein nachhaltiges Nachdenken wohl nicht drum herum kommt. Dies ist auch mehr als angebracht, schließlich geht es hier um einen Jungen, der nicht genügend Elternliebe und Aufmerksamkeit bekommt. Leider ist dies kein Einzelfall in unserer Gesellschaft. Sehr sensibel geht die Autorin mit diesem Thema um. Kinder brauchen Liebe, Aufmerksamkeit, Unterstützung und sollten eine unvergessliche Kindheit haben.

Anna Gavalda hebt mit diesem ergreifenden Buch die Großeltern in den Vordergrund, denn diese haben den leisen Hilferuf ihres Enkels gehört.
Ein Buch, was wach rüttelt und aufruft, hinter Kinder zu stehen, diese zu fördern und vor allem Liebe zu schenken.

Vielleicht folgt auch dazu irgendwann einmal eine Verfilmung, aber zumindest gibt es hier auch nicht nur etwas für die Leseaugen, sondern auch für die Höhrerohren.

Vier Romane von ihr, stehen noch ungelesen in der Anna Gavalda Bücherregalecke und rufen immer mal wieder nach mir. Strecken und recken sich in den Vordergrud, um bei all den Neuheiten im Regal nicht unter zu gehen. Sie werden nicht untergehen, denn die Lesestimmung die Anna Gavalda in mir hervorruft, drängt sich in einem bestimmten Rhythmus immer wieder nach vorn und das ist mehr als gut so.

Romane die Zeit wollen, die den richtigen Moment brauchen und liebend gern solange warten, bis ihre Lesezeit gekommen ist. Sie wird kommen, jedes einzelne Wort wird wieder genossen werden und sogar jetzt schon ist die Sehnsucht da, nach dem nächsten Roman von ihr, der Platz dafür wird heute schon frei gehalten.

0 comments on Anna Gavalda…berührt vielseitig

  1. Bis jetzt habe ich nur „Zusammen ist man weniger allein“ gelesen und war begeistert! Dieser Artikel macht auf jeden Fall Lust auf mehr obwohl ich auch schon Kritiken gehört habe, dass ihre Folgeromane nicht mehr ganz so gut wären…

    Liebe Grüße

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