Aufklärung ~ Ein Siegeszug der Vernunft?
Aufklärung ~ Ein Siegeszug der Vernunft?

„[…] Aufklärung sei der „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“[1].

So lautet eine der berühmtesten Maximen Immanuel Kants aus seiner Schrift „Was ist Aufklärung“.

„Grundgedanke der Aufklärung war die Betonung des Verstandes. Glaube und Gefühl spielten untergeordnete Rollen. Der vernunftbegabte Mensch beugte sich nun nicht mehr bedingungslos dem Willen der Kirche und betrachtete das Geschehen im Staat kritisch.“[2] Im Anschluss an die Renaissance und den Humanismus zeigt sich nun ein gänzlich neues Bild vom Menschen, der hinterfragt, Kritik übt, nach wissenschaftlichen Beweisen sucht, sich auf seine ratio beruft und verlässt.

Doch leicht vergisst man, dass das 18. Jahrhundert nicht nur eine den Verstand glorifizierende Zeit war, sondern das vor allem auch im Bereich der Literatur das Gefühl, besonders das Mitgefühl mit den literarischen Figuren, eine wesentlich Rolle spielte. So zeigt sich diese Epoche nicht nur im geistigen und wissenschaftlichen Gebiet als wegweisend für eine kritisch-hinterfragende Moderne, sondern ebenso in der Literatur.

Aufklärung ~ Ein Siegeszug der Vernunft?
Aufklärung ~ Ein Siegeszug der Vernunft?

Zwei Persönlichkeiten sind dabei besonders hervorzuheben, legten sie mit ihrem Schaffen doch wesentliche Grundsteine für eine sich emanzipierende deutschsprachige Literatur.

So hat Friedrich Gottlieb Klopstock mit seinem lyrischen Schaffen eine bis dahin noch nicht gehörte poetische Stimme gefunden, eine feierliche, erhabene, kraftvolle neue Sprache. Er folgte dem Gefühl, schrieb vorwiegend in freien Rhythmen und distanzierte sich damit mehr und mehr vom ehemals vorherrschenden französischen Regelwerk.

Der Zürchersee

Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht

Auf die Fluren verstreut, schöner ein froh Gesicht,

Das den großen Gedanken

Deiner Schöpfung noch einmal denkt.

[…]

Doch liest man diese oftmals sehr langen Oden, kommt die eine oder andere Ermüdungserscheinung auf, wirkt die Sprache aus heutiger Sicht doch sehr gestelzt. immerhin kamen auch die Zeitgenossen Klopstocks zu einem ähnlichen Urteil:

„Wer wird nicht einen Klopstock loben?
Doch wird ihn jeder lesen? – Nein.
Wir wollen weniger erhoben
und fleißiger gelesen sein.“[3]

Aufklärung ~ Ein Siegeszug der Vernunft?
Aufklärung ~ Ein Siegeszug der Vernunft?

Ups…und das aus dem Munde Lessings, dem zweiten literarischen Meister dieser Epoche. Die Bedeutung seines Schaffens zeigt sich vor allem in der Dramatik, die er entscheidend beeinflusste. Shakespeare sollte seiner Meinung nach zum Vorbild erhoben werden, der es mit der aristotelischen Einheit von Ort, Zeit und Handlung nicht so genau genommen hatte. Die Helden des Dramas sollten Menschen sein, mit denen man sich identifizieren konnte, „[…] weder Verbrecher noch Engel, […] sondern ein Mensch, dessen Gedanken und Gefühle der Zuschauer nachempfinden kann.“[4]

Bereits in seinem ersten Werk von 1755 „Miss Sara Sampson“, dem ersten deutschen bürgerlichen Trauerspiel, zeigt sich dieses Ziel des Mit- und Nachempfindens sehr deutlich.

Miss Sara Sampson, eine tugendhafte Tochter aus gutem Hause, wird von Mellefont, einer sehr zwiespältigen Person, entführt, um heimlich zu heiraten. Die Heirat muss jedoch aufgrund von Erbschaftsangelegenheiten Mellefonts noch nicht stattfinden. Das Drama nimmt seinen Lauf, als nun auch noch eine ehemalige Geliebte des Zukünftigen auftaucht.

Aufklärung ~ Ein Siegeszug der Vernunft?
Aufklärung ~ Ein Siegeszug der Vernunft?

In sich dramatisch zuspitzenden Dialogen zeigt Lessing die Vielschichtigkeit seiner Figuren, vor allem Saras und Mellefonts, ihr Ringen darum, das Richtige zu tun, ihr Eingeständnis, vielleicht doch falsch gehandelt und sich schuldig gemacht zu haben. Gerade durch differenzierte Figurengestaltungen erreicht Lessing sein Ziel, man kann sich als Leser in die Figuren hineinversetzen, mit ihnen mitfühlen, sie bleiben keine plakativen Marionetten, sondern werden zu echten Menschen.

„Ein andres Frauenzimmer, das durch einen gleichen Fehltritt sich ihrer Ehre verlustig gemacht hätte, würde vielleicht durch ein gesetzmäßiges Band nichts als einen Teil derselben wieder zu erlangen suchen. Ich, Mellefont, denke darauf nicht, weil ich in der Welt weiter von keiner Ehre wissen will als von der Ehre, Sie zu lieben. Ich will mit Ihnen nicht um der Welt willen, ich will mit Ihnen um meiner selbst willen verbunden sein.“

Aufklärung ~ Ein Siegeszug der Vernunft?
Aufklärung ~ Ein Siegeszug der Vernunft?

So spricht Sara, eine literarische Figur des 18. Jahrhunderts, doch wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen: hier spricht eine moderne, komplexe Figur, die sich der eigenen Fehlerhaftigkeit bewusst ist und gerade deshalb um das eigene Glück zu kämpfen weiß.

Euer aufklärendes Lesebienchen

[1] aus: Deutsche Literaturgeschichte. hrsg. von Haerkötter/Trautmann. Winklers 2008, S. 45
[2] ebd.
[3] ebd. S. 47
[4] ebd. S. 48
[5] aus:Lessin, G.E,: Dramen. Gondrom 1996, S. 23

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