439_40109_109945_xxlVor einiger Zeit schrieben wir einen besonderen Artikel über das Buch „Ich habe den Todesengel überlebt“ von Eva Mozes Kor. Das Buch wurde zugeklappt, aber der Inhalt hat sich festgebrannt in die Leserseele und die Gedanken wurden angekurbelt.

So sah ich mich im KZ-Buchenwald ankommen. Damals war ich 14 Jahre, die Zeit vor meiner Konfirmation. In der DDR war es damals üblich, in den Jugendstunden das Thema Holocaust zu besprechen und ein Konzentrationslager zu besuchen. Auch heute ist dies oftmals noch so üblich. Während ich die Zeilen Eva Mozes Kor las, überkam mich ein mehr als bedrückendes Gefühl. Das Gefühl, welches ich während der Besichtigung in Buchenwald hatte. Beklemmung, Traurigkeit, Hass, Wut und Entsetzen.

Lange Gespräche mit Mr. Rail über das Buch, holten letztendlich noch mehr Erinnerungen an die Oberfläche. Das große Eingangstor mit der Aufschrift „Jedem das Seine“ machte mir damals Angst. Es zu durchschreiten, war als ob ich in eine anderen Welt ging, in die ich nie gehen wollte, die es für mich am Liebsten nie gegeben haben sollte. Eva Mozes Kor musste das Tor mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“ damals in Auschwitz kennen lernen, ein Tor welches auch sie ganz sicher nie durchschreiten wollte. Ihr war kalt, mir war an diesem Tag kalt und doch war ich nur zur Besichtigung dort, sie musste um ihr Überleben kämpfen. Bedrückend, ungeheuerlich, eine Vorstellung die schmerzt.

Das Buch löste bei mir immer mehr Bilder aus. Ich habe mich schon damals gefragt, wie die Menschen das geschafft haben, dieses Grauen überstehen konnten. Auf dem Appellplatz haben sie mehrere Stunden stehen müssen, in eisiger Kälte und bei starkem Regen und Wind. Kaum bekleidet, hungrig und ohne Kraft.

An diesem Platz fand ich das errichtete Denkmal für alle Häftlinge des Konzentrationslagers, eine schlichte Metallplatte mit den Namen von 50 Nationen in alphabetischer Reihenfolge, eingelassen in die Erde. Deren Mittelteil wird auf 37 Grad, auf menschliche Körpertemperatur, erwärmt. Eine Wärme die Eva gemeinsam mit Miriam täglich in Auschwitz aufrecht zu halten versuchte. Der tägliche Kampf ums Überleben. Eva musste eine zeitlang sogar für zwei Körper kämpfen, da ihre Schwester auf dem Weg war, sich aufzugeben.

Eine Gänsehaut ereilt mich immer wieder, wenn ich an das Krematorium denke und bereits in Buchenwald kam es mir so vor, als ob ich den Geruch verbrannter Menschen rieche. Eva Mozes Kor musste diese Luft täglich einatmen, in sekündlicher Ungewissheit, ob sie auch bald dieses Schicksal ereilt.

Ihre Worte bringen immer mehr Bilder vor mein inneres Auge. Ich sehe mich, wie ich schweigsam durch den Arrestzellentakt schritt, in dem die Häftlinge gefoltert wurden und durch das kalte komplett geflieste Zimmer der pathologischen Abteilung. Lampenschirme bespannt und verziert mit der tätowierten Haut ermordeter Juden, Goldzähne und andere damalige Körperschätze, sehe ich vor mir. Damals wie heute überkommt mich die Übelkeit.

Meine verstorbene Oma, welche 1928 geboren wurde, hätte dieses Buch gern gelesen und mit mir stundenlang darüber gesprochen. Mir fehlen ihre Worte sehr, dann der Holocaust hat sie immer und immer wieder beschäftigt. Was mir bleibt sind ihre Erzählungen und Erfahrungsberichte und eine kleine Sammlung von Fotos, die sie aufbewahrte. Sie hat eine Menge davon, denn sie kannte den Ort Czernowitz, ihren Geburtsort, und die Region Siebenbürgen in Rumänien sehr genau, wie die Autorin selbst auch. Eva Mozes Kor ist in Portz, im rumänischen Siebenbürgen geboren.

Die Zwillinge waren 10 Jahre, als sie nach Auschwitz gelangten und von ihrer Familie getrennt wurden. 10 Jahre Kindheit wurden an einem dunklen Tag im Jahr 1944 beendet. Eine grauenvolle Vorstellung.

Eva Mozes Kor konnte am Ende vergeben. Ein schwerer Schritt, der sie aber befreite. Ein Schritt der schwer nachzuvollziehen ist, wirklich schwer. Den Nazis vergeben, dem Arzt Dr. Mengele der ihrer Schwester durch seine Experimente das Leben verkürzte und auch sie in langen Untersuchungen quälte. Vergebung – ob ich das könnte, ich denke nein, denn schon der Gedanke daran, diesen Menschen zu vergeben, lässt die Wut und den Hass in mir auflodern.

Wir wollten mit diesem Buch nicht alleine bleiben. Wir wollten gerne ein Exemplar an jemanden weitergeben, dessen persönliche Sichtweise eng mit der von Eva Mozes Kor verbunden ist, und eine Perspektive zulässt, die wir nicht haben können. Zu diesem Zweck haben wir gesucht – wir haben nach einem Zwilling gesucht. Getragen von der Hoffnung, Antworten auf unsere Fragen zu finden.

Ist das Band zwischen Zwillingen so eng? Kann man die Krankheit und die Gefühle des Bruders oder der Schwester fühlen? Wie wirkt das Buch auf einen Zwilling des 21. Jahrhunderts?

Unterstützt von vielen Facebook – Freunden hat sich die Suche einerseits sehr erfolgreich gestaltet und andererseits haben auf vielen Profilseiten tiefe Diskussionen zum Buch stattgefunden. Ein Effekt, den wir so nicht erwartet hatten. Wir danken aufrichtig für jedes einzelne „Teilen“ des Artikels, da es eben auch das „Teilen“ einer Botschaft ist. Der Ruf des Vergebens hallte durch das Internet und ihm folgte das Echo „Gegen das Vergessen“.

Wir geben das Buch an LISI weiter und hoffen, dass sie in der Lage sein wird, über das Buch zu schreiben. Wir wissen auch, dass der CBJ -Verlag und Eva Mozes Kor an dieser Rückkopplung interessiert sind, da sich noch niemand auf die Suche nach einem Zwilling gemacht hat….

Zum Bericht, wie es weitergeht. LISI hatte einen ruhigen Augenblick des Lesens. 

0 comments on Bücher lösen Gedankenketten aus…

  1. Wow, danke an euch beide! *freu*
    Ich freue mich schon sehr auf das Lesen dieses Buches und bedanke mich für die Möglichkeit! Und auch danke für die netten Grafiken, die ich immer sehr bewundere, wenn ich euren Blog besuche!
    Ich schreibe gerade meine Gedanken zu dem Buch, welches ich erwähnt habe, nieder.
    Liebe Grüße
    Lisi

  2. Ich kam die Gefühle sehr nachvollziehen! So ging es mir bei unserer Besichtigung damals auch! Es war ein sonniger Tag aber ich gab trotzdem gefroren!
    Ich bin sehr gespannt auf das Buch und die Sicht von LISI

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