Das Mädchen mit den blauen Augen - ein Mädchen überlebt den Flugzeugabsturz
Das Mädchen mit den blauen Augen – ein Mädchen überlebt den Flugzeugabsturz

23. Dezember 1980, 0 Uhr 33 – Airbus 5403 – Abflughafen Istanbul – Ankunftsflughafen Paris

Das Flugzeug erreicht Paris nicht, es stürzt ab und scheinbar hat keiner überlebt. Scheinbar. Ein Säugling, ein kleines Mädchen, um die 3 Monate jung, blaue Augen – hat überlebt. Die Großeltern können ihr Glück im größten Unglück ihres Lebens nicht fassen und eilen ins Krankenhaus. Lebt Lyse-Rose? Lebt Emilie?

Lyse-Rose de Carville – 27. September 1980

Emilie Vitral – 30. September 1980

Die Verwirrung ist groß, denn es finden sich gleich zwei Großeltern-Paare im Krankenhaus ein. Die gut situierten De Carvilles und die ärmeren Großeltern namens Vitral. Zwei Mädchen waren an Bord der Maschine, zwei Aussagen treffen aufeinander. Lyse-Rose lebt oder Emilie lebt. Aus beiden Namen wird Lylie – ein Mädchen ohne richtigen Namen.

Beide Großeltern wollen nicht aufgeben und ihre Enkelin bei sich haben und aufziehen, ihnen ein gutes und wohlbehütetes Leben ermöglichen. Ein Jahr später, nach vielen Verhandlungen, trifft der Richter die Entscheidung – Emilie Vitral hat überlebt und Vitrals erhalten das Sorgerecht.

Mathilde de Carville kann mit dem Urteil nicht leben und engagiert Privatdetektiv Crédule Grand-Duc. Geld spielt keine Rolle – nur die Forderung an ihn, die Wahrheit aufdecken und das bis ihre Enkelin das 18. Lebensjahr erreicht. Die Zeit läuft…

Das Mädchen mit den blauen Augen - Lylie
Das Mädchen mit den blauen Augen – Lylie

Der erste Satz der mir nach beenden des Romans durch den Kopf schwirrte lautet: „Ein sagenhaft starker Roman – fast so stark wie „Der Schatten des Windes“ aus der Feder Zafóns“. Wer diesen Roman kennt, kann sich vorstellen, wie ich nach der letzten Seite fühlte. Ein rundes, ein absolut rundes und befriedigendes Gefühl machte sich in mir breit. Von Anfang an wusste der Autor, in dem Falle Michel Bussi, was er erzählen möchte und der Leser merkt, dass er einen Plan hat, einen gewaltigen Plan.

Das Mädchen mit den blauen Augen (Rütten & Loening/Aufbau Verlag) ist großartige Literatur – nicht nur für Leser mit blauen Augen!

Ich gestehe, dass ich zum Roman „Der Schatten des Windes“ noch keine Worte gefunden habe und ich bin froh heute und hier Worte gefunden zu haben. Meine beste Freundin meinte vorhin zu mir und diese Aussage kann ich nur dick unterstreichen: Manche Romane sind einfach zu groß um sie besprechen zu können…

Das Mädchen mit den blauen Augen - literarischer Hochgenuss
Das Mädchen mit den blauen Augen – literarischer Hochgenuss

„Das Mädchen mit den blauen Augen“ ist fast zu groß, denn meine Schwärmereien sind einfach kaum in Worte zu packen. Der Roman geht unfassbar tief, endet völlig unvorhersehbar, aber er endet plausibel und eben einfach grandios. Mir blieb der Mund förmlich offen stehen, anders kann ich es nicht sagen, denn dieses Ende hätte ich nie, nie, nie erwartet und was Bussi geschrieben, besser, aufs Papier gezaubert hat, ist einfach unfassbar!

Allein die Art des Aufbaus ist sagenhaft und der Erzählstrang in der Gegenwart, wie auch der Erzählstrang im Rückblick, fließen wie zwei Flüsse im Gleichtakt und geben sich nach und nach die Hand. Sie steigern sich zu einer Welle der Spannung.

Zu Beginn findet sich der Leser mit einer Sequenz des Flugzeugabsturzes konfrontiert. Wenige Seiten die einleitender nicht hätten sein können. Dann folgt der Sprung vom Jahr 1980 ins Jahr 1998 – der Tag vor Lylies 18. Geburtstag, der Tag an dem Grand-Duc ihr seine Aufzeichnungen überreicht, der Tag an dem er selbst scheinbar die Lösung vor Augen hat, der Tag an dem der Leser durch Emilies Augen seine Aufzeichnungen lesen kann…

Das Mädchen mit den blauen Augen -  Lebensromanmahlzeit
Das Mädchen mit den blauen Augen – Lebensromanmahlzeit

Autor Michel Bussi hat mich mit seinen Worten erreicht und ich bin mir sicher, dass er jeden einzelnen seiner Leser begeistern wird, denn was er geschaffen hat, ist für mich ein absolutes Gesamtkunstwerk. Bussi schreibt sicher, er schreibt in einem Guss und genau das ist für den Leser mehr als spürbar. Seine Worte sind lebendig und er gibt seinen Protagonisten, mag die Rolle auch noch so klein sein oder mag die Rolle auch erst fast am Ende auftauchen, so viel Farbe, dass die knapp über 400 Seiten zu einem Hochgenuss werden.

Die Auszeichnung mit dem Prix Maison de la Presse hat sich Michel Bussi mehr als verdient, er bekommt von uns den Literatwo-Herzensromanpreis noch dazu.

Das Cover ist ein Augenschmaus, ich mag den Vintage-Style sehr und habe mich sofort in das buchige Aussehen verliebt. Das Mädchen selbst passt hervorragend zu meinem Kopflesebild – einfach zur Geschichte selbst. So sehe ich Lylie vor mir.

Das Mädchen mit den blauen Augen - Blick ins Buch
Das Mädchen mit den blauen Augen – Blick ins Buch

Die Identitätssuche hätte nicht aufreibender sein können und vor allem das Mädchen selbst, hat es mir sehr angetan. Die Identifikation mit allen Protagonisten gelingt schnell und wird gleichzeitig zur Zerreißprobe. Tausende Gefühle und Emotionen kochen hoch. Wie würde man selbst denken, wenn man das Mädchen Lylie ist oder eines der Großeltern? Das Denkblatt wird ständig gewendet, die Entscheidungen sind schwer und nach und nach wird das gekräuselte Wasser der Seitenoberfläche klar und der Blick tiefer und tiefer.

Ich schwärme, schwärme und schwärme und kann kein Ende finden, denn der Roman hat alles was es für einen spitzenmäßigen Roman braucht. Michel Bussi schreibt nicht nur über Identität, denn das Leben dreht sich neben der Suche weiter. Ein Leben voller Liebe und Schmerz, voller Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, ein Lebensleben.

Chapeau!

9 Comments on Das Mädchen mit den blauen Augen ~ Michel Bussi

  1. Starke Besprechung! Nun habe ich einen ganz anderen Blick auf das Buch als bisher. Denn was ich bisher an LPs und ‚Rezis‘ gelesen habe, hatte nicht so mein Interesse geweckt. Aber nun…DOCH WuLi…. Sie ist ja zum Glück noch nicht so lang *zwinker*

  2. Ach Mensch. immer diese tollen Buchvorstellungen … Ich hab zwar blaue Augen, aber einfach zu wenig Lesezeit … 😉
    Ich glaube dieses Buch muss ich bald mal von meinem SuB retten. Klingt so, als würde es sich auf jeden Fall lohnen 🙂

    LG Nanni

  3. In Zafons “ Schatten des Windes“ heißt es:
    Ich kannte die Freude am Lesen nicht, die Freude daran, Räume auszukundschaften, die sich einem in der Seele auftun, sich der Fantasie überlassen, der Schönheit und dem Geheimnis von Dichtung und Sprache.

    Derjenige, der das gesagt und dann diese grandiose Rezension gelesen hat, wird sich schnell ins Reich des „Mädchens mit den blauen Augen“ aufmachen, um dort den Geheimnissen auf den Grund zu gehen.
    Eine dem Roman mehr als ebenbürtige Rezension.

  4. „Ein sagenhaft starker Roman“ sagt Literatwo über den Roman „Das Mädchen mit den blauen Augen“ von Michel Bussi. Eine so positive, begeisterte Rezension hat mich neugierig gemacht!
    Habe das Buch „am Stück“ durchlesen müssen, abgesehen von kurzer Schlafzwangspause und mit viel Kaffee „lebte“ ich sozusagen in Frankreich. Ja, dieses Buch schaffte den geistigen Ortswechsel tatsächlich bei mir.
    Außergewöhnlich, wie Bussi hier Vergangenheit mit der Gegenwart verbindet und gleichzeitig die Protagonisten aus unterschiedlichen „Wahrheiten“ heraus, mal rational zielgerichtet, mal emotional handeln lässt. Dabei werden so ganz nebenbei Traumata der beteiligten Personen deutlich. Was für eine spannende Identitätssuche.
    Mich haben seine lebendige Sprache, sein stimmiger Fluss der Ereignisse gefangen gehalten und dass mit subtil und grandios aufgebauter Spannung. Habe ich nun einen sehr guten Schicksal-Roman, eine Katastrophen-Chronik oder einen clever konstruierten Krimi gelesen? Michel Bussi hat hier ein sehr komplexes Werk geschaffen. Lest einfach dieses Buch – ihr werdet es lieben!
    Sorry für meine Ausführlichkeit, aber das musste jetzt raus.

    • Deine Ausführlichkeit könnte nicht schöner sein – sie wirkt zu meiner Rezi noch so ergänzend und rund – ich danke dir vielmals und ich freue mich solch eine Rückkopplung zu lesen.

      Der Roman ist einfach sagenhaft stark – freut mich, jemanden zu kennen, dem es auch so geht.

      Ganz liebe Grüße!

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