142_54229_117060_xxlDavid Foster Wallace und Auftragsarbeiten sind ein Kapitel für sich. Spätestens seit dem Buch Am Beispiel des Hummers sollte man nun wirklich wissen, was passiert, wenn man das „Wunderkind“ der US-amerikanischen Literatur dazu bewegt, seine Eindrücke für ein Magazin zu Papier zu bringen. So wurde aus der eigentlich beabsichtigten Gourmet-Empfehlung „FÜR“ den Hummer ein quicklebendiges Manifest gegen das Lebendkochen dieser anscheinend schmerzunempfindlichen Tiere.

Ihn im März 1995 auf ein Kreuzfahrtschiff zu entsenden, ihn zu einem Writer in Residence auf einem der modernsten Vergnügungsdampfer seiner Zeit zu machen und ihn dabei über das umfangreiche Verwöhnambiente an Bord schreiben zu lassen – nun – das war der ehrenwerte Ansatz des „Harpers Magazine“. Was daraus wurde: Die Mutter aller Kreuzfahrtbücher! Xenos

Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich. Wiederum ein Manifest, allerdings diesmal eines gegen die programmatische Entmündigung der Passagiere eines solchen Rundum-Sorglos-Erlebnisses unter dem Motto:

„Your Pleasure is our Business“. Frei übersetzt: „Sie haben nicht den Hauch einer Ahnung, was gut für sie ist – es ist unser Job, ihnen das beizubringen – also halten sie endlich die Schnauze und lassen uns Profis nur machen!“

Wer jemals ein Buch von David Foster Wallace gelesen hat, für den ist es keine Überraschung, dass der gekonnte Perspektivwechsel eines seiner wesentlichen Stilmittel darstellt. Unsere kleine Werkschau der Bücher dieses, schon zu Lebzeiten legendären, Schriftstellers dokumentiert dies eindringlich. Spätestens seit seiner bahnbrechenden Abschlussrede vor Studenten des Kenyon Colleges mit dem Titel Das hier ist Wasser – Eine Anstiftung zum Denken hat er bewiesen, wie sehr der andere Blickwinkel die Wahrnehmung verändern kann – wie sehr der Perspektivwechsel Menschen verändern kann. Wohl seine größte Lebensleistung an diesem Tag im Innenhof einer Eliteschule!

Mit einem Klick zur Werkschau David Foster Wallace auf Literatwo

Doch folgen wir ihm doch einfach an Bord und überzeugen uns selbst davon, dass er diesmal gar keinen anderen Blickwinkel benötigt. Er muss nur aufmerksam beobachten und sich dabei stets vor Augen halten, wer er selbst ist:

Ein agoraphobisch veranlagter Mensch, der die unkalkulierbare Weite unbekannter Orte verabscheut und sich eigentlich nur in seinen vier Wänden wohl fühlt; ein mündiger Erwachsener, der in der Selbstbestimmung seiner Wunsch- und Traumwelten die wahrte Entfaltung des Geistes erkennt und letztlich ein Einzelgänger, der jeglichem Herdentrieb der menschlichen Rasse standhaft entsagen konnte. Bisher….

An Bord der Zenith wird aus David Foster Wallace zuerst einmal eine Gebindenummer. Ein Eincheckbündel – zu einem Paket geschnürt mit artgleichen Passagieren. Plötzlich von allen Verpflichtungen entbunden wird er in die Passivität des reinen Genießens gedrängt. Gepäck darf nicht mehr selbst getragen werden, den Anweisungen des Personals ist Folge zu leisten und für Ruhe bleibt keine Zeit, da unmittelbar mit dem Betreten der Kabine die Unterhaltungswelle und das übliche Seenotrettungsprogramm ihre volle Wirkung entfalten.

Und es funktioniert. David Foster Wallace beobachtet fortan die Herde der Mitreisenden: Ehemalige Individualtouristen, die sich das alles wirklich mal verdient haben – nun Teil einer amorphen Masse, in uniformen Bewegungen, Freizeitaktivitäten, Bekleidungsvarianten und gleichförmig am Fotoapparat hängend, um diese unvergesslichen Erlebnisse dauerhaft festzuhalten.

Seine Schilderung des maritimen Bordalltags gleicht einer Überdosis sozialkritischer Realsatire. Seine Beobachtungen erreichen an Bord der Zenith ihren Höhepunkt, wenn er das Verhalten seiner Mitreisenden und des gezwungen lächelnden Servicepersonals in aller Klarheit aufs Korn nimmt. Touristenfragen wie: „Schläft die Crew auch an Bord?“ oder „Wird man beim Schnorcheln nass?“ bilden nur den Rahmen für den eigentlichen Wallace´schen Showdown.

Er selbst bei einem abendlichen Galadinner – bekleidet mit einem T-Shirt auf dem ein Smoking aufgedruckt ist. Er ist Fehl am Platz und beginnt, die Menschen zu bewundern, die genau dies nicht empfinden. Wallace deckt die Mechanismen der Unterhaltungsmaschine an Bord schonungslos auf, wirft einen ungeschönten Blick auf die dunklen Seite einer solchen Reise: Personal unter schonungslosem Servicedruck und fremde Städte, in denen die Kreuzfahrt beim Landgang  zum Kreuzzug mutiert.

Wallace schreibt einzigartig locker und unterhaltend – zielsicher und pointiert, wobei er seinen Lesern die wichtigste aller Fragen im Hirn verankert: Kann man nur im Zustand vollkommener Entmündigung entspannen und genießen? Und dies alles ohne schlechtes Gewissen gegenüber all jenen, die sich hierfür den Allerwertesten aufreißen?

Ich habe mich köstlich amüsiert und konnte mir gut vorstellen, in welche Fettnäpfe mein Lieblingsschriftsteller fast systematisch hineinplumpste. Ein Traumbuch für jeden, der Kreuzfahrten liebt und für diejenigen, die niemals einen Luxusliner betreten würden. Man muss eines mitbringen – man sollte nicht nur über andere, sondern auch über sich selbst herzhaft lachen können.

Kommen wir am Ende des Artikels noch einmal zum Dress-Code zurück. Wir erinnern uns an David Foster Wallace und sein T-Shirt und vielleicht erinnern wir uns an die häufig gestellte Frage, was einen Menschen unabhängig von seinem Talent erst richtig populär macht.

Die Simpsons haben diesem Buch eine eigene Episode gewidmet und wenn man ganz genau hinschaut, dann sieht man ebenjenen völlig falsch gekleideten Schriftsteller im Salon des Kreuzfahrtschiffs. Man sagt nicht umsonst: Wenn du es bis zu Bart Simpson schaffst, dann bist du in den USA echt berühmt. Ich denke, das hätte David sehr gefallen….

Eine kleine Welle von Kreuzfahrtbüchern ist pünktlich zur Reisezeit erschienen und blickt man alleine auf den Titel des Buches von Andreas Lukoschik: Schläft das Personal auch an Bord?, dann realisiert man schnell, dass David Foster Wallace schon vor mehr als 15 Jahren die Maßstäbe für dieses kleine Genre gesetzt hat.

Michael Meißners Logbook – Geheimnisse einer Kreuzfahrt aus dem Piepmatz Verlag kreuzt sehr erfolgreich auf den Spuren des Altmeisters und es ist mehr als erfreulich zu beobachten, dass aktuelle Autoren das tiefe Fahrwasser von David Foster Wallace nicht scheuen. In diesem Fall wird die Perspektive der Crew mit viel Humor eingenommen.

Es ist mehr als eine Randbemerkung wert, dass erst heute eine Postkarte von Sandra Vogel ins Haus piepmatzte, die mit folgenden Worten auf das Logbook neugierig macht:

Wir wünschen gute Fahrt und sind auch in Zukunft wieder dabei. Auch wenn David nicht mehr schreiben kann, es gibt noch viel zu entdecken… Leinen los…

8 Comments on David Foster Wallace – Eine Kreuzfahrt, die ist lustig (oder?)

  1. Zeit für ein Geständnis: Ich habe noch nichts von David Foster Wallace gelesen. Nichts. Nada. Nothing. (usw.) Das muss ich ändern. Sofort. Okay, morgen, wenn die Geschäfte offen sind. Wird aber auch höchste Zeit. Dann muss ich mich nicht mehr schämen und bin garantiert um ein paar Lesegenüsse reicher. Also vielen Dank für den Schubs in die richtige Literaturrichtung!

  2. Wir würden uns sehr darüber freuen, denn der Einstieg zu DFW ist nicht immer jedermanns Sache, wenn es jedoch ein wenig „funkt“, dann machen wir einen kleinen Luftsprung vor Freude…

  3. Ach wie gut dass ich nicht die einzige bin die etwas gestehen muss . Ich hab auch keins seiner Bücher (BISHER) gelesen. Wird aber hoffentlich ganz bald geändert!

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