the_pale_king-9780241144800_xxlEs sind schwere Tage für Fans von David Foster Wallace. Vielleicht sind es sogar schwere Tage für die Anhänger der US-amerikanischen Literatur im Allgemeinen. Ja, vielleicht ist dies so. Zweifellos jedoch sind es schwere Tage für mich, da ich etwas fühle, das ich mir seit Davids Selbstmord im Jahr 2008 niemals vorstellen wollte.

Es ist noch dunkler geworden.

Durch seinen tragischen Freitod wurde mir das literarische Herz herausgerissen. Seitdem trage ich, um in Davids Bilderwelten zu bleiben, ein transplantiertes Außenkunstherz in einer Designerhandtasche mit mir durchs Leben – nur durch eine künstliche Lebensader mit meinem Körper verbunden. Und nun kommt ein dahergelaufener Straßendieb vorbei, entreißt mir die Handtasche und wirft sie, für wertlos und inhaltsleer befunden, in den nächstbesten Müllcontainer. Meinen Herzschlag höre ich nur noch leise und blechern in weiter Ferne, während es beginnt dunkel zu werden.

Eine herzlose letzte Nacht… Xenos

David Foster Wallace – Die Wortwolke meines Leselebens

Mein Bücherherz

…versorgte meinen Organismus mit dem lebenswichtigsten Elixier, ohne das ich verdorrt wäre, wie ein Baum in der Wüste. Mit Phantasie. Mit regelmäßigen Stößen pumpte es Ideenbilder und Wortfluten in meinen Geist und hielt mich so am Leben. Meine Träume und Hoffnungen waren durch Leseadern mit diesem Herzen verbunden.

Die größte Kammer meines Leselebensherzens bewohnte David Foster Wallace. Seine Gedanken bereicherten mich täglich, halfen mir, die Perspektive zu wechseln und Wege zu beschreiten, die mich nicht spurlos am Sandstrand der Weltliteratur wandeln lassen würden. Mit seinen Büchern wurde Am Beispiel des Hummers aus meinem Lesen ein Unendlicher Spaß, der mich ein „Kleines Mädchen mit komischen Haaren“ finden ließ, die mir seit Jahren zuflüstert Alles ist grün. Am Ufer meines Büchermeers rief er mir zu: Das hier ist Wasser und stiftete mich so zum Denken an. Er war der neue „Besen im System“, der in mir so gut gefegt hatte, dass die entstandene Leere durch ausgewählten Inhalt ersetzt wurde.

Seit Jahren kehre ich nun die letzten Reste seiner Geschichten und Fragmente zusammen, um die Sprachlosigkeit zu überwinden, in die er sich selbst am 12. September 2008 begab. Am Ende seines Weges – am Ende seiner Depression – am Ende der Wirkung aller Medikamente und wohl auch am Ende seines Schaffens. Es ist der Tag, an dem mein Bücherherz gebrochen wurde.

David Foster Wallace – Lebensbücher- Herzenbücher

Das Kunstherz

…hält mich seither am Leben. Das teure Implantat aus der intensivliterarischen Abteilung des KiWi-Verlages wurde von meinem Körper nicht abgestoßen und pocht gewaltig. Der Umstand, dass ich es in einer Designertasche tragen muss, belastet mich wenig, da sie Platz genug für Herz und Bücher bietet. Das Organ enthält alle genetischen Fingerabdrücke meines vormaligen Herzens und nährt mich mit Hoffnung. Es hält mich mit sanften Stößen am Leben und unser gemeinsames Ziel war es, auf „The Pale King“ zu warten – genau bis zu diesem Tag nicht ideen- und phantasielos am Leseleben vorbeizutreiben.

Als großer Gegenentwurf zum „Unendlichen Spaß“ mäanderten die Manuskriptseiten, Post-Its und Notizzettel zu diesem Roman in der Garage des Anwesens von David Foster Wallace. Die Langeweile sollte das Leitmotiv des Werkes sein und was wäre da besser geeignet gewesen, als die langatmige Karriere junger Menschen in der amerikanischen Steuerbehörde.

Dieser Nachlass wurde gesichtet, geordnet und zu dem zusammengefügt, was David zu Lebzeiten nicht vollenden konnte. Zu einer Vernissage durch ein unfertiges Buch. Und doch strahlen die Botschaften und Lehren, die Weisheiten und der Stil auch aus diesem Roman heraus in unser Leben hinein. Wallace`s Protagonisten, die zuvor am unendlichen Spaß zugrunde gingen, sollten jetzt in der langweiligen Realität des Lebens zur Basis des Seins zurückfinden.

Dafür sprechen die Aussagen seiner zur Legende gewordenen Rede „Das hier ist Wasser. Den Alltag überleben, so lautete seine zentrale Botschaft. Er selbst hat dies nicht geschafft.

„Die wirklich wichtige Freiheit erfordert Aufmerksamkeit, und Offenheit und Disziplin und Mühe und die Empathie, andere Menschen wirklich ernst zu nehmen und Opfer für sie zu bringen, wieder und wieder, auf unendlich verschiedene Weisen, völlig unsexy, Tag für Tag. Das ist wahre Freiheit. Das heißt es, Denken zu lernen.“

Die Designertasche

… verbirgt etwas sehr wertvolles. Hoffnung. „The Pale King“ wird irgendwann auch in deutscher Sprache erscheinen – das kann dauern. Solange schlägt mein Kunstherz in jener Tasche, die seit wenigen Wochen das Logo des begehrten Pulitzerpreises trägt. David Foster Wallace hatte es tatsächlich geschafft, für die „Longlist“ nominiert zu werden und, noch erstaunlicher, die Leser brachten „The Pale King“ auf die letzte, aus drei Büchern bestehende „Shortlist“.

In dieser Tasche lag also nun zusammen mit meinen literarischen Hoffnungen auch der Wunsch nach posthumer Würdigung dieses Ausnahmeschriftstellers. Was für eine Chance – und sie würde nie wiederkehren. Hoffnung und Wunsch… beides ließ mich atmen und leben, träumen und fliegen…

Seit meinem Interview mit dem Pulitzerpreisträger 2010 Paul Harding (Tinkers) weiß ich, was diese Auszeichnung bewirkt, was sie verändert, was dieser Ritterschlag kulturell bedeutet. In einem Atemzug mit Hemingway genannt zu werden… was für ein Traum…

Der Dieb

…jedoch schleicht um die Ecke und versetzt der US-amerikanischen Literatur und damit auch David Foster Wallace den Todesstoß. Nicht auszeichnungswürdig müssen die drei Romane gewesen sein – nicht der Erwähnung wert – nichts wert. Ohne Begründung wurde bekanntgegeben, dass erstmals seit 35 Jahren der Pulitzerpreis in der Kategorie „Fiction“ nicht vergeben wird.

Pulverisiert – alle Hoffnungen – zerstoben der Glaube, einem der größten Autoren seiner Generation endlich einen bedeutenden Preis verleihen zu können – vertan die Chance, insgesamt zu dokumentieren, dass die Romane unseres Jahrhunderts auszeichnungswürdig sind. Vorbei…

Gestohlen – für inhaltsleer befunden – und weggeworfen – eine Tasche mit schlagendem Herzen… wie fatal…

Leben um Dunkeln

…ist nicht leicht. Das Kunstherz schlägt ein wenig leiser als vor ein paar Tagen. Die Hoffnung auf die deutsche Fassung und das Sehnen nach dem wohl letzten Lebenszeichen des Autors geben mir Luft. Doch fühle ich mich beraubt. Wir werden nie einen Maßstab für die Auszeichnung eines Romans erfinden können, aber wir können wohl ermessen, was ein Lebenswerk charakterisiert. Es muss Menschen bewegen, sie zu Diskussionen veranlassen, von Interesse sein und eine Einzigartigkeit vorweisen, die den Unterschied zur Masse definiert. All dies hat David Foster Wallace erfüllt.

Letztlich scheiterte das Pulitzer „Board“ an David Foster Wallace, wie dieser an seinem letzten Buch. So unvollendet wie das Werk, klafft in der langen Liste der Preisträger eine nicht behebbare Lücke, die für mich immer die Aufschrift „The Pale King“ tragen wird. Hatte David Foster Wallace nur sich selbst getötet, so kann es sein, dass diese Nichtvergabe des Pulitzerpreises mit einem Genickschuss für die Literatur eines ganzen Landes gleichzusetzen ist.

Ich sitze in Gedanken oft in Davids Garage. Ich wüsste gerne, was er von alledem gehalten hätte. Vielleicht hätte er mich für meine Zeilen ausgelacht. Vielleicht hätten seine Depressionen ein Lachen nicht mehr zugelassen. Vielleicht hätte er sich gefreut zu hören, was seine Worte den Menschen bedeuten. Vielleicht hätte ich ihn auch gar nicht gefragt, sondern nur geschwiegen und auf mein Herz gehört.

Es ist dunkler als früher – viel zu dunkel eigentlich…

Es ist eine herzlose Nacht… und doch kann man es noch ein wenig hören… ganz leise…

Bummbumm Bummbumm Bummbumm

Und endlich ist es soweit: „Der bleiche König„, das letzte Werk aus der Feder von David erscheint am 7. November 2013 mit einer umfangreichen medialen Vorbereitung…

7 Comments on David Foster Wallace – The Pale King – eine Kolumne

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