Der Geschmack von Apfelkernen ~ Katharina Hagena

Jeder hat wohl schon mal einen Apfelkern zerkaut, oder?

Ob freiwillig oder unfreiwillig sei mal dahingestellt, aber könnt ihr euch noch an seinen Geschmack erinnern? Der Titel  entflammte die Lust in mir, einen  Apfel zu essen und seine Kerne zu genießen, und während des Schreibens der Rezension kaue ich die ganze Zeit auf einem Kern herum.

„Als Bertha ihr vorhielt, dass die Kerne innen giftig seien, erwiderte Anne, sie schmeckten aber nach Marzipan.“            (Seite 66)

Auf dem Flughafen begann ich mit diesem Roman, welcher mich vor meiner Flugangst ablenken und entführen sollte. Zudem ist dieses Büchlein mit seinen 254 Seiten absolut gut fürs Handgepäck geeignet. Zudem habe ich diese 1. Auflage damals im Jahr 2009 signiert gewonnen. Wir schreiben das Jahr 2014 und die Zeit war so überreif, dass ich nun endlich dieses erfolgreiche Werk kennenlernen musste.

Auf dem Flug nach Dublin lernte ich Iris kennen. Früher eher dick und hässlich, heute eine hübsche junge Frau. Früher alberte sie mit ihrer Kusine Rosmarie und ihrer beider Freundin Mira im Garten herum und spielten Verkleiden. Heute, viele Jahr später, verschlägt es Iris aus Süddeutschland in den Norden, in ein Dorf namens Bootshaven, in den Ort ihrer Kindheit.

Vergangenwart

Bertha, ihre Großmutter, ist tot. Nicht eine ihrer drei Töchter erbt jedoch das Haus, sondern ihre Enkelin Iris. Iris ist unsicher, Iris zweifelt, Iris erkundet das alte Haus, den verwunschen-verwilderten Garten. Iris lässt ihre Gedanken ausfliegen und sucht nach einer bestimmten Antwort: Soll sie das Erbe annehmen?

Während sie durch die Zimmer des Hauses läuft, beginnen die Erinnerungen in ihr zu wirbeln. Jeder Gegenstand, jeder einzelne Raum lässt Iris zurückblicken. Vor ihren Augen wird die Vergangenheit wieder bunt, Vergessenes rückt in den Vordergrund, Erlebtes taut wieder auf, erwacht. Gleichzeitig kämpfen sich Fragen ans Tageslicht, denen Iris sich stellen muss.

Als sie Miras Bruder trifft, mischt sich die Vergangenheit mit der Gegenwart zur „Vergangenwart“ und Iris versucht diese zu leben…

Der Geschmack von Apfelkernen ~ Katharina Hagena

Katharina Hagena hat es geschafft, mich nach Bootshaven zu entführen. Ganz leise, ganz sanft und auch ganz schnell. Wie konnte ich auch anders, wenn bereits im ersten Kapitel, auf der allerersten Seite, solche poetischen Worte zu finden sind:

„Und als Annas jüngere Schwester Bertha daraufhin weinend in den Garten rannte, sah sie, dass mit Annas letztem rasselnden Atemzug alle roten Johannisbeeren weiß geworden waren.“   (Seite 11)

Geheimnisvoll ist die Reise an Iris Seite durch den Roman. Die Handlung springt immer wieder von der Vergangenheit in die Gegenwart und andersherum. Die Geheimnisse der Kindheit ranken sich durch die Seiten und Iris selbst begreift Dinge, die sie damals als Kind noch nicht begreifen konnte.

Geschmack von Apfelkernen

Rosmarie, Mira und sie – ein unzertrennlich-zertrennliches Freundschaftsband hat ihre Kindheit geprägt. Ein rothaariges, ein schwarzhaariges und ein blondes Mädchen – eine explosive Gefühlsmischung, die es in sich hat.

Die Autorin macht die Vergangenheit lebendig und stellt uns drei intensive Charaktere vor, die vor Hass-Liebe strotzen. Charaktere ohne festes Lebensziel – magnetartige Wesen, die sich anziehen, aber auch genauso heftig abstoßen. Biester, freche Weiber, liebe Mädchen, Feindinnen, Freundinnen und noch so viel mehr.

Wie ApfelkerneDer Geschmack von Apfelkernen (Kiwi Verlag) so süß und doch so bitter, so weich und doch so hart. Ein Schicksalsroman, ein Roman für Frauen, eine Familiensaga, ein generationsübergreifendes Werk – ein wunderbares Stück voller magischer Geheimnisse des Erinnern und Vergessens.

Letzte Woche habe ich die Romanverfilmung geschaut und ich war mir mit allen Mitsehern einig: die absolut BESTE Literaturverfilmung, die ich bisher gesehen habe.

Der Roman lief genauso, wie er aus Katharina Hagenas Schreibfeder geflossen ist, über die Leinwand. Keine Stelle fehlte, die Besetzung mit Hannah Herzsprung in der Rolle der Iris hätte nicht besser sein können. Das Haus, die Apfelbäume, alle anderen Mitwirkenden, die Umgebung, die Idylle und die Rückblenden, der ganze Handlungsablauf – sagenhaft gut umgesetzt. Sagenhaft.

Wer das Buch liebt, wird den Film ganz genauso sehr lieben. Der Titel wird Programm – der Lesegenuss wird zum Filmgenuss ohne bitteren Nachgeschmack.

Lest das Buch, schaut den Film und kaut auf einem Apfelkern – ein unbeschreiblich literarisches Geschmackserlebnis. 

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