Die Filmerzählerin - Eine kleine Hütte und Vaters Sessel...

„Einen Film zu erzählen ist, als erzählte man einen Traum.
Ein Leben zu erzählen ist, als erzählte man einen Traum
oder einen Film.“

Hernán Rivera Letelier (52), einer der bedeutendsten Autoren der spanischsprachigen Welt, schrieb sein erstes Gedicht aus Hunger. Mit aller Fantasie und Leidenschaft wollte er den ersten Preis eines Poesiewettbewerbs gewinnen: Ein Abendessen in einem feinen Restaurant. Letelier, arm und ohne jegliche Perspektive, lebte zu diesem Zeitpunkt als Heranwachsender in einer Minensiedlung in der chilenischen Atacama-Wüste und verfasste ein vierseitiges Liebesgedicht, das ihm die Tür zu einer anderen Welt öffnete.

Seine eigene Welt hat er nie vergessen und nun reicht er seinen deutschen Lesern die Hand und nimmt sie mit in seine alte Heimat. Die Filmerzählerin – eine große Erzählung von der Macht der Begabung, ihren Schattenseiten und dem Kampf eines jungen Mädchens gegen ein auswegloses Leben.

Chile, eine kleine Wellblechhütte in der Atacama-Wüste. In der erschreckenden Armut einer Salpetersiedlung lebt die zehnjährige Maria Margarita mit ihrem gelähmten Vater und vier Brüdern. Von der Mutter verlassen und von den Minenbesitzern nur noch geduldet, reicht die karge Invalidenrente gerade zum Überleben… Nur einen einzigen Luxus – eine Abwechslung – eine Fluchtmöglichkeit aus dem harten Alltag existiert:

Ein kleines Kino… und die Vorführungen sind teuer.

Zu teuer, um mit fünf Kindern einen Film anzuschauen und zu unerreichbar für den immobilen Vater, der an seinen Stuhl gefesselt um das letzte Vergnügen seines Lebens gebracht scheint. Wäre da nicht seine kleine Tochter.

Maria Margarita verfügt über die wundervolle Begabung, die das Leben ihrer Familie verändert. Sie kann Filme erzählen, die sie vorher im Kino gesehen hat. Schwerelos und traumhaft sicher lässt sie im Wohnzimmer der kleinen Hütte die Filme auferstehen, die für den Rest der Familie unerreichbar sind. So entscheidet man, Maria in die Vorstellungen zu schicken, um sie dann in ihrem Herzen nach Hause zu tragen. Das Kino wirft seinen magischen Schatten auf das junge Mädchen…

„Ich drehte den Kopf, um zu sehen, wie die Strahlen durch das Fensterchen des Vorführraums flirrten, die Leere über unseren Köpfen durchmaßen, auf die Leinwand trafen und in Bildern und Tönen zerstäubten.“

Das Kino macht aus Margarita einen anderen Menschen – sie leuchtet von innen und wird, nicht nur für ihre Familie, zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Bald schon strömen die Menschen des Dorfes zu ihr, um sich unterhalten zu lassen.

Von Ben Hur bis zu mexikanischen Musikfilmen – Maragrita verzaubert ihre Welt. Sie schlüpft in die Rollen der bekanntesten Schauspieler und lebt die Filme nach. Sie singt und tanzt, duelliert sich und kapert fremde Schiffe…. sie bringt das große Kino in die kleine Hütte. Für jeden erschwinglich und auf unnachahmliche Weise.

Die Filmerzählerin - Magisches Kopfkino
Die Filmerzählerin – Magisches Kopfkino

„Mir war als schwebte ich in der Luft…“

Doch kein Glück währt ewig… und so ist auch Margaritas Lebenskunst eine Grenze gesetzt, die sie nicht mehr überschreiten kann…. Sie wächst heran und vieles beginnt ihr über den Kopf zu wachsen. Und bei aller Farbe der cineastischen Meisterwerke beginnen ihre eigenen Erinnerungen langsam zu verblassen… das Gesicht ihrer Mutter verschwimmt zu einem Schleier… was bleibt von Maria, wenn der Vorhang zum letzten Mal fällt?

Die Filmerzählerin“ – Eine Liebeserklärung an das große Kino dieser Welt – an das sprachlose Staunen von Menschen, für die ein Film der letzte greifbare Traum zu sein scheint und ein großer Roman über Hoffnung und die individuelle Kraft in aussichtslosen Situationen.

Ein Buch für ruhige und ein wenig melancholische Stunden. Eine Geschichte, die einen kleinen Kinosaal der Fantasie in unseren Herzen eröffnet. Eine einfach große Geschichte. Ein Roman mit einem Ende, das niemanden kalt lässt… Versprochen!

Hereinspaziert… sie sehen Maria Margarita… „Die Filmerzählerin“…

Editorischer Nachtrag: Diese Buchvorstellung folgt meiner Begeisterung nach einen absoluten buchigen „Lustkauf“. Ich war überrascht und begeistert von der Tiefe dieser Erzählung. Dieser Artikel ist jedoch kein normaler Literatwo-Artikel für mich. Es ist ein Geburtagsgeschenk für meine bessere literatwoische Hälfte BIANCA! Das Buch ist bereits unterwegs und all diese Worte gehören heute nur ihr! Herzlichen Glückwunsch, Bini!

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0 comments on „Die Filmerzählerin“ von Hernán Rivera Letelier

  1. Ich bin gerührt…eine Herzensbuchrezension und das zum Geburtstag…*tränchenverdrück*

    Wundervolle Bilder, tiefe Worte und das Buch in meinen Händen. Danke Arndt – und nicht nur für dies Überraschung. Auch Danke für alle anderen – ich bin glücklich, ich bin froh, die Sonne leuchtet aus meinem Herz.

    Danke für dich!

  2. Gern geschehen – auch eine Herzensangelegenheit, so zu gratulieren. Und pass mal auf, wie gerührt du bist, wenn das Buch am Freitag vor dir liegt und du es gelesen hast!

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  4. Ich habe das Buch heute komplett gelesen.
    Die Geschichte ist schön, aber im Moment habe ich das Gefühl, dass da irgendetwas fehlte, was mich restlos überzeugt hätte.
    Letztendlich bin ich aber kein Maßstab… die richtigen Bücherratten können das viel besser beurteilen und rezensieren.
    🙂

    • Happy-Ends sind überbewertet und wir haben auch lange darüber geredet, wie das Ende auf uns gewirkt hat. Viel Raum für Happy hat der Roman nicht gelassen und insofern war es bewegend und plausibel…

      • Ich stehe halt mehr auf Happy Ends.
        Die Welt an sich ist schon traurig genug… aber das ist nur meine persönliche Philosophie.
        Dass die Literatur ALLES „verarbeiten“ muss, ist ja klar.
        Und dass die Leseexperten ebenfalls ALLES lesen und rezensieren, ist mir auch logisch. Ihr macht das ja auch richtig.

        Kurzer Jahresrückblick meinerseits: ich glaube, so viele Bücher habe ich in einem Jahr noch nie gelesen. Und da seid Ihr auch nicht so ganz unschuldig gewesen… danke! 🙂

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