Ein Tag mit Herrn Jules ~ Diane Broeckhoven
Ein Tag mit Herrn Jules ~ Diane Broeckhoven

Schon einige Zeit ist vergangen, als ich diesen eindringlichen Roman las. Ich musste ihn jetzt noch einmal lesen, vor allem, nachdem ich Kreuzweg besprochen habe. Kreuzweg – ich wusste es, ich wusste, was mir passiert! Genau aus diesem Grund, wollte ich mir „Ein Tag mit Herrn Jules“ noch einmal in Erinnerung rufen.

Herr Jules ist tot. Diese Feststellung muss Alice machen, nachdem sie wie gewohnt aufsteht, sobald der Kaffeeduft in ihre Nase dringt. Jeden Morgen haben Alice und Jules das gleiche Ritual. Er deckt den Tisch, holt die Zeitung, liest ihr daraus vor und sie starten mit einem gemeinsamen Frühstück in den Tag. Doch dieser Tag, ist anders, Jules ist tot. Er sitzt auf dem Sofa, sein Kopf ist in Richtung Fenster gedreht, er rührt sich nicht. Alice muss diese Tatsache erst einmal verdauen, denn ein gemeinsamer Tag mit ihm, wird nicht mehr möglich sein.

Doch was tun? Alice möchte ihren Mann, den sie gehasst, wie auch geliebt hat, noch nicht hergeben. Noch einen Tag möchte sie mit ihm verbringen, sein Tod soll zumindest heute noch geheim bleiben. Alice gelingt es, die Zeitung unbeobachtet nach oben zu holen, doch als das Telefon klingelt, erschrickt sie. David hatte sie total vergessen. Er hat Ferien und kommt jeden Morgen in der Zeit von 10 bis 10.30 Uhr zu Jules um mit ihm eine Partie Schach zu spielen.

David ist Autist und schweigt oftmals nur, handelt nach seiner strengen inneren Uhr und braucht eben diese feste Struktur, die ihm Halt gibt. Gerade heute fragte seine Mutter an, ob David nicht etwas eher vorbei kommen kann, da ihre Mutter einen Unfall hatte und sie gern ohne ihn zu ihr möchte. Alice nimmt den Nachbarsjungen sehr gern auf, doch gerade heute, kann dies mehr als schwierig werden. Jules ist tot, David sein Schachpartner und außerdem ist es nicht genau 10 Uhr.

Alice hofft, einen Verbündeten in ihm zu finden, hofft, dass der Junge erkennt, was mit Jules los ist, aber dennoch gegenüber seiner Mutter schweigt. Sie schafft es, David ohne Zwischenfälle zu betreuen. Als sie wieder alleine ist, hat sie endlich Zeit, um mit Jules weiter zu reden. Sie möchte ihm noch sagen, was sie damals gefühlt hat, damals, als sie es erfuhr, als sie es spürte. Während sie ihm alles sagt, wandern ihre Augen zu seinen Händen und Erinnerungen an ihre Kindheit werden wach.

Ein einseitiges Gespräch, ein Nebel aus Worten und Gefühlen umhüllt den kalten Jules. Eine abrupte Unterbrechung reißt Alice aus dem Erzählfluss, denn David braucht erneut und unerwartet Betreuung.

Ein Tag mit Herrn Jules ~ Diane Broeckhoven
Ein Tag mit Herrn Jules ~ Diane Broeckhoven

Ein Tag mit Herrn Jules (rowohlt) von Diane Broeckhoven hat mich berührt und mit diesem Roman habe ich gleichzeitig eine wunderbare Autorin entdeckt.

Es ist schwer in Worte zu fassen, was mich am meisten im Buch gefesselt und berührt hat. Der Rückblick auf die Ehe zwischen Jules und Alice, wie Alice mit der Leiche ihres toten Mannes umgeht oder David, der autistische Junge und seine Reaktionen. Eine Mischung aus viel Gefühl, ein wenig Spannung, Poesie und der puren Realität. Ein Roman in dem Lebensgeheimnisse aufgedeckt werden, in dem sich ein kleiner Junge ganz groß verhält und dies in ungewohnter Atmosphäre in einer kleinen Wohnung.

Broeckhoven hat den Blick auf die Details, erzielt mit Kleinigkeiten eine große Wirkung und weiß, welche Dinge geschärft sein müssen und welche unscharf dargestellt bleiben können.

Weniger ist manchmal mehr, scheint wohl ein Motto der Autorin zu sein. Auch in diesem Werk benötigt sie nur zwei Hauptprotagonisten, für knappe 100 Seiten Tiefgang. Dennoch schafft sie es Trauer, Tod, Alter, Hoffnung, wie auch tragische und komische Momente einfließen zu lassen.
Mich haben die wenigen Seiten auch ein zweites Mal genauso fühlen lassen, wie beim ersten Lesen dieses Romans. Zudem musste ich damals unbedingt das Schauspielhaus in Dresden besuchen, um das Theaterstück anzusehen und bin heute nachhaltig immer noch begeistert. Die Schauspieler haben den Roman absolut perfekt nach gespielt, Auszüge aus meinem persönlichen Kopfkino habe ich wieder gefunden.

Traurig aber schön – es lohnt sich immer wieder, einen Tag mit Herrn Jules zu verbringen. Bei mir waren es jetzt schon drei, zweimal Roman und einmal Theaterstück und ganz sicher wird es auch noch einen vierten Tag geben.

Eure
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