Kreuzweg ~ Diane Broeckhoven
Kreuzweg ~ Diane Broeckhoven

Ich wusste es, von Anfang an, was mir passiert, wenn ich Kreuzweg von Diane Broeckhoven lese. Es ist mein dritter Roman von ihr, den ich zur Hand nehme und mich in eine ganz ruhige Leseecke zurück ziehe. Bereits Ein Tag mit Herrn Jules und „Einmal Kind, immer Kind“, brauchten Ruhe und Zeit.

Zeit, weil beide Romane so tief geschrieben sind und meist um die 100 Seiten umfassen, die auch in einem Zug gelesen werden wollen.

Ruhe, weil Diane Broeckhoven so tief, emotional und ergreifend schreibt, dass man sich während des Lesens und danach sammeln muss, um den Schritt in die Realität wieder gehen zu können.

Ihre Protagonisten haben jedes Mal eine starke Besonderheit und sind einfach anders, als ich und du. Ob der kleine Junge in „Ein Tag mit Herrn Jules“ oder das Mädchen in „Einmal Kind, immer Kind“.

Kreuzweg (C.H. Beck) musste wieder genauso berührend sein, wie die anderen Werke. Das Cover ähnelt ebenfalls den anderen Romanen der Autorin. Ich mag diese zarte Verspieltheit, eine Mischung aus Gegenständen. Der Blick von oben auf einen unangetasteten Frühstückstisch, verstreutes Konfetti und jetzt eine bunte Mischung aus wichtigen Utensilien der Protagonistin.

Karfreitag. Im Prolog treffe ich Theo Jespers, welcher gerade seinen letzten Arbeitstag als Bahnhofsvorsteher mit einem Stück Torte einläutet. Eine ältere Dame hält sich an den Bahngleisen auf, er lädt sie kurzerhand auf ein Stück Torte ein. Ebendiese junge Frau kennt sich auf diesem Bahnhof mehr als gut aus, denn ein Stück ihres Geheimnisses verbindet sie mit diesem Gelände, in dessen Nähe sie einen großen Teil ihres Lebens verbrachte. Judith ist ihr Name, welchen die Autorin erst auf der letzten Seite Preis gibt.

Kreuzweg ~ Diane Broeckhoven
Kreuzweg ~ Diane Broeckhoven

Als sie 16 Jahre war, verließ sie ihr Elternhaus. Es zog sie schon längere Zeit in die Weiten der Welt. Dem Elternhaus den Rücken kehren, in ein französisches Internat und wenn möglich, in der Sorbonne studieren, so lauteten ihre Ziele. Ihre Eltern verstanden ihren Weggang nicht, sie selbst allerdings umso mehr und jeden Dienstag feierte sie auf ruhige Art mit sich selbst und einigen Süßigkeiten diesen Schritt. Der Dienstag, ein bedeutender Tag für sie, der Tag an dem ihre Mutter abends zur Chorprobe außer Haus ging.

Jetzt endlich ist das normale Leben, von welchem sie träumte, zur Realität geworden.Dass die Heranwachsende so schnell nach Hause zurückkehren muss, lässt sie verzweifeln. Ihre Mutter ist von einer Sekunde auf die andere nicht mehr da, ein tödliches Unglück am Bahnübergang. Die Rückkehr macht ihr zusätzlich zu schaffen und ein kleiner Riegel an ihrer Zimmertür soll sie schützen. Fast hätte sie ihr gehütetes Geheimnis einer Nachtschwester im Internat anvertraut, auch ihrer Mutter wollte sie davon erzählen, sie wollte, aber es funktionierte nicht und war nun zu spät. Das Weglaufen vor der plagenden Unerträglichkeit sollte helfen, der vorübergehende Umzug zu ihrer gläubigen Oma Gleis sollte alles mildern. Doch der Tag kommt und das Geheimnis wird größer, so groß, dass das Vergessen kaum noch möglich ist.

Ich wusste es, ganz genau wusste ich es, dass sich in mir während des Lesens alles zusammen zieht, dass ich diejenige sein werde, die das Geheimnis auch unausgesprochen kennt und hilflos die Geschichte von Judith erzählt bekommt. Meine Hände sind zusammen gebunden, mein Mund verschlossen, ich kann nur zusehen, zuhören und komme mir nackt und ebenso hilflos vor. Über 30 Jahre hütet die nun 50 jährige Frau ihr Geheimnis und kann nach dieser langen Zeit nichts mehr tun. Ein Leben voller Schmerz, Verlust, ein wahrlich geraubtes Leben liegt hinter ihr.

15 Kapitel, 15 tiefe Lebenssituationen habe ich nun zu verarbeiten. Der Vergleich mit Jesus, als er zum Tode verurteilt wurde, bis hin zu seiner Auferstehung, der am Ende erst richtig ins Auge sticht, ist sehr authentisch. Kein Buch über Glaube und Religion, aber ein Roman in dem sich die Protagonistin fühlt wie er –  seine und ihre 15 Lebensetappen.

Nun heißt es tief durchatmen und die facettenreiche, schmerzvolle, einsame, aber auch mutige Lebensgeschichte von Judith, wirken lassen.

Ob ich es gekonnt hätte, so zu leben wie sie?

Ich denke nicht und ich hoffe, dass es kein Mädchen, keine Frau gibt, die so leben muss. Und ich hoffe ebenso, dass es keinen Jungen, keinen Mann gibt, der so leben muss. Doch diese Hoffnung ist schon beim Aussprechen begraben, denn es gibt sie, die Mädchen und Jungen, die Frauen und Männer. Leider. Leider – und viel zu oft…

Eure
literatwo_banner

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert