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Elisabeth Herrmann? Ehrlich gesagt, sagte uns der Name der Autorin nichts. Wir sind zwar belesen und strecken unsere Bücherfinger auch so breit gefächert wie möglich aus, um an den Bücherbällen der Welt zu bleiben, aber Frau Herrmann ist für uns Neuland.

Der eindringlichen Empfehlung: „Lest unbedingt ihren neuen Roman „Schattengrund“, von dieser Autorin müsst ihr etwas gelesen haben!“ kamen wir also so schnell es ging nach und sind nun mehr als froh, ein Werk aus der herrmannschen Schreibfeder gelesen zu haben.

Wir lieben Thriller, wenn diese bereits im Prolog fesseln und nur ganz leicht ahnen lassen, in welche Richtung es gehen wird. Ganz leicht ahnten wir, auf was wir uns gefasst machen können. Dass dieses anfangs noch leichte Ahnen, uns so gewaltig packen und durcheinander wirbeln wird, war uns nicht klar. Absolut nicht.

„Eines Tages wird jemand kommen, der im Dunkeln sehen und das Flüstern im Sturm hören kann. Dann werden die Steine weinen und die Vögel tot vom Himmel fallen und die Tränen, die Tränen aus Eis werden tauen.“

Zwei Sätze, nur zwei Sätze lassen innehalten. Zwei Sätze die verarbeitet werden müssen, denn diese zwei Sätze werden durch den Roman begleiten. Sie erzeugen Gänsehaut, bringen ein unbehagliches Gefühl mit und wandeln sich beim Lesen in Bilder.

Einen Besen, eine halbe Postkarte und einen Stein bekommt Nicola Wagner, kurz Nico, von ihrer Tante Kiana vererbt. Genau drei Dinge, drei Dinge für den Müll. Nico ist fassungslos und kann es einfach nicht glauben. Sie hat ihre Tante geliebt, hatte bei ihr immer eine schöne Zeit, bis ihre Eltern ihr den Kontakt verboten haben. Diese drei Dinge sind das Letzte was von Kiana übrig bleibt und Nico setzt sich gegen ihre Eltern durch und nimmt sie an sich. Dieser Schritt bringt Nico weiter, denn sie hat eine erste Probe bestanden, wie sie nun vom Notar erfährt.

Punkt zwei der Nachlassregelung hält die nächste Probe bereit, denn wenn sie das darin enthaltene Rätsel löst, bekommt sie Kianas altes Haus Schattengrund vererbt. Das Haus, das immer voller Sonne war, als sie in Siebenlehen verweilte. Das Haus, welches sie seit 12 Jahren nicht mehr betreten hat.

„Nutze den Besen. Finde den Turm und das Schwert. Bring den Stein dorthin zurück, wohin er gehört.“

Nicos Eltern sind empört über das Rätsel und das Erbe an sich, denn sie wollen auf keinen Fall, dass Nico sich noch einmal in den Ort im Harz zurückkehrt. Kurzerhand schlagen sie das Erbe für ihre noch nicht ganz 18jährige Tochter aus.

Nico ist wütend und handelt zum einen aus Trotz, zum anderen aus Neugier was sie in Siebenlehen erwartet, gegen den Willen ihrer Eltern.

Es ist tiefer Winter, es schneit, es ist kalt und Nico steht einsam im Schnee, kurz vor ihrem Ziel. Der Bus schafft es nicht mehr nach Siebenlehen, ihre letzte Rettung ist ein sich näherndes Auto. Leon, der  Fahrer des Wagens nimmt sie mit ins Dorf. Er ist ebenfalls nur zu Besuch, da er in Wales studiert und wohnt bei seinem Onkel in einem heruntergekommen Hotel.

Siebenlehen, Schattengrund – Nico findet sich in einer gefrorenen Schneelandschaft wieder. Nicht nur die Temperaturen sind hier unter null, sondern auch die menschliche Wärme ist erloschen. Zumindest was sie betrifft, denn die Dorfbewohner begegnen ihr mit jeder Menge Hass. Leon ist der einzige der mit ihr redet. Abgeschnitten von der Außenwelt macht sich Nico auf die Suche nach der Vergangenheit und nach ihren eigenen Erinnerungen, die irgendwo in ihr schlummern müssen.

Bereits die ersten Stunden in Schattengrund lassen sie erkennen, dass damals etwas Schreckliches passiert sein muss und dass die kommenden Tage nicht einfach werden. Als Kiana starb atmete das Dorf auf und nun scheint mit der Ankunft Nicos neues Unheil über das Dorf zu kommen. Nico – ein Dorn im Auge der Einwohner Siebenlehens, der entfernt werden muss.

Elisabeth Herrmann lässt mich rasend schnell Nicos Hand ergreifen. Die Protagonistin ist mir von Beginn an sympathisch durch ihre eigenwillige und ehrgeizige Art. Sie möchte als Erwachsene behandelt werden und nicht wie ein Kind, dem die Eltern Dinge verheimlichen müssen. Mit der Anzahl der Grenzen die Eltern ihren Kindern setzen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese durchbrochen werden wollen.

Nicos Reise nach Siebenlehen ist dadurch absolut nachvollziehbar, denn jeder von uns würde wissen wollen, was damals passierte, zumal die Eltern schweigen und nicht möchten, dass Nico an Schattengrund denkt. Wenn zudem eigenen Erinnerungen fehlen, ist dies beklemmend und ist erst recht ein Auslöser, um offene Fragen zu beantworte, wie auch den Rätseln auf den Grund zu gehen.

Die Autorin weiß, wie sie Jugendliche, aber auch Erwachsene fesselt. Seiten voller Geheimnisse, einer angsteinflößenden Umgebung und hasserfüllten Stimmung, erzeugen den Drang, Nico nicht alleine zu lassen. Die Ahnung aus dem Prolog schwant die ganze Zeit im Hinterkopf mit und verzweifelt wird nach jemanden den man vertrauen kann, gesucht. Leon ist der einzige Anker in Nicos Nähe.

Albträume zeichnen Nicos Nächte aus, es kommen ihr persönliche Gegenstände abhanden und Fußspuren sind im Schnee vor dem Haus zu finden. Jemand spielt ihr einen Streich und versucht ihr immer mehr Angst zu machen. Nicos wie auch des Lesers Nerven sind angespannt.

Siebenlehen erfährt einen eiskalten Winter und ist von der Außenwelt abgeschnitten. Nicos Handyakku ist fast leer, da ihre Eltern sie pausenlos kontaktieren wollen. Sie steckt in einer Zwickmühle zwischen Lüge und Wahrheit.

In Kianas Haus kommen immer mehr Erinnerungen an ihre Kindheit ans Licht, sie findet Hinweise und gelangt zur bitteren Erkenntnis, dass sie damals ihre Freundin Feli verloren hat. Feli und sie waren kleine Mädchen, als es passierte.

Der Spannungsbogen spannt sich bis zum Ende. Eine Mischung aus Kälte, Angst, Gefahr und der Ungewissheit ist ständiger Begleiter. Siebenlehen ist eine eingeschworene Gemeinde und es herrscht ein großer Zusammenhalt unter allen. Zudem wird lieber vergangenes verschwiegen und in große Schneehaufen begraben, als darüber zu sprechen oder gar zu handeln um erneute Vorfälle abzuwenden.

Es kann nicht genügend Romane über Themen geben, die auch heute oftmals noch verschwiegen werden. Letztendlich siegt die Wahrheit, aber bis zu dieser ist der Weg steinig und wird aus diesem Grund vermieden.

An der Seite Nicos habe ich mich gründlich in Siebenlehen umgesehen. Wie auf dem Cover habe ich die Landschaft bildlich schwarz-weiß vor mir gesehen und markante Punkte haben sich in rot abgezeichnet. Ein zusätzlicher Schauereffekt im tiefgreifenden Roman.

Nico hat wahnsinnig viel Mut, den hätte ich wohl nicht aufbringen können. Sie ist tapfer und stellt sich den Dingen, die auf sie zukommen. Was ist damals mit Feli passiert? Was hat sie damit zu tun? Was hat Kiana getan, weil sie von allen Siebenlehnern gehasst wird?

Stück für Stück kommt sie den Antworten näher, denn im Haus gibt es Hinweise, die ihr helfen alle Fragen zu beantworten.

Als Leser hat man ein noch beklemmenderes Gefühl, die Unsicherheit ist durch den Blick von außen noch größer. Der etwas zurückgebliebene Maik weiß sehr viel und kennt die Geschichte um Fili, trägt er die Schuld? Kann einem Pfarrer vertraut werden, der doch durch Beichten alles wissen müsste und schon längst etwas getan haben sollte? Was ist mit der alten Frau im Hotel, die einer Hexe gleicht? Was wissen Filis Eltern über den Fall? Und warum ist genau Leon jetzt in Siebenlehen, wo das Unglück sich zum 12. Mal jährt?

Nichts geht mit rechten Dingen zu, die Villa knarzt, als würde sie am liebsten die ganze Geschichte so schnell wie möglich erzählen und Nico plagt die Ungewissheit und die Schuldfragen.

Elisabeth Herrmann hat mich durchweg überzeugt und bewiesen, dass man ein Thema so eindringlich verpacken kann, dass es niemanden kalt lässt. In leichter jugendlicher Sprache geschrieben, verleiht sie dem thrillerhaften Plot den richtigen Anstrich. Zudem wirft die Autorin auch Blicke abseits des roten Fadens, indem sie auf die Bergbaugepflogenheit eingeht und alte Mythen und Sagen rund um den Harz einfließen lässt.

Baut euch ein Iglu, zieht euch warm an, nehmt eine Kerze und eine Thermosflasche Tee mit hinein und begebt euch in dieser von Eis umhüllten Umgebung mit Nico nach Siebenlehen.

Ein packender Roman –  absolutes Lesehighlight im Jahr 2012.

DANKE an Elisabeth Herrmann für die Bilder, denn einige stammen aus ihrer Recherchezeit im Harz.

(Zum Thema – Bilder in Rezensionen verwenden – HIER entlang)

3 Comments on Schattengrund von Elisabeth Herrmann – ein Winteralbtraum

  1. Das macht einerseits absolut neugierig auf diesen Roman… ich freue mich schon darauf ihn zu lesen, nachdem wir so viel darüber gesprochen haben. Und andererseits beantwortet Bianca in der Vorgehensweise ihrer Recherche, wie man das mit der Verwendung von Bildern perfekt löst.

    Mich hat das überzeugt!

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