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Altes Land – Gummistiefelwelt

Altes Land ~ Dörte Hansen
Altes Land ~ Dörte Hansen

Ich habe es nun endlich gelesen. Das war auch schon lange überfällig, denn von diesem Roman schwärmten mir schon gefühlt hunderte Leute vor. Lies es, du wirst es lieben. Altes Land? Was für ein wundervoller Roman.

Warum ich nicht eher zu diesem Buch griff – keine Ahnung. Lesewege sind nicht immer zu erklären. Und nun reihe ich mich bei den Leuten ein, die mich immer entsetzt angesehen haben, wenn ich sagte, dass ich Dörte Hansens Buch nicht kenne. Ihr müsst es lesen und zwar bald. Zieht euch Gummistiefel an, denn es geht raus aus der Stadt und rein ins Dorf, rein in die Gummistiefelwelt.

Hildegard und Vera – Mutter und Tochter – Flüchtlinge aus Ostpreußen, 1945.

Anne und Leon – Mutter und Sohn – Flüchtlinge aus Hamburg, heute.

Alle vier suchen ein neues Leben und stranden in dem alten Haus auf dem alten Land. Ida Eckhoff, Besitzerin von Hof und Haus, hält das Leben mit Hildegard nicht mehr aus. Sie nimmt sich kurzerhand das Leben und lässt ihren Sohn mit den zwei Frauen zurück. Hildegard geht es ohne Ida besser, aber nicht gut genug. Sie flüchtet weiter in die Stadt und lässt ihre Tochter zurück. Vera bleibt an Karls Seite und erbt letztendlich den großen Hof und das alte Haus. Vera wird zur Einzelgängerin. Sie hat das Haus nie geliebt. Vera fürchtet sich darin, lässt es verwildern und sitzt ihre Zeit darin ab. Sie widmet sich den Pferden, der Jagd und Heinrich Lührs, ihrem Nachbarn, denn ganz ohne sozialen Kontakt lässt es sich auch nicht leben. Das Leben ist kalt, düstere Träume von der damaligen Flucht plagen sie und Liebe und Wärme sind die zwei großen Unbekannten.

Altes Land ~ Dörte Hansen
Altes Land ~ Dörte Hansen

Auf dem Land sollte man nicht immer nur hinschauen, sondern wegschauen.

„Kiek man nicht hen.“ (Seite 208)

Neue Stadt – Altes Land

Anne dachte, dass sie fest im Leben steht. Ihre berufliche Laufbahn kann zwar nicht als solche bezeichnet werden, denn sie hat zwar Tischlerin gelernt, arbeitet aber als nicht wirklich talentierte Musiklehrerin. Sie hat einen Sohn mit Autor Christoph und wohnt in Hamburg zwischen Ökomüttern.

„Sie waren zwei Leute mit einem Kind, lose verhäkelt, drei Luftmaschen.“ (Seite 70)

Christoph zieht scheinbar seit einiger Zeit seine Lektorin vor, welche relativ schnell Leon zum Halbbruder macht. Marlene war Anne nie eine richtige Mutter, das Verhältnis zu Bruder Thomas ist kein richtiges Verhältnis. Tante Vera scheint der einzige Ankerpunkt zu sein. Hamburg-Ottensen im Rücken – das alte Land vor der Brust.

Viel mehr möchte ich vom Inhalt nicht erzählen. Der Roman lebt von den Charakteren, die so verschieden sind, dass sie sich ähneln. Die Robustheit vom Dorf, trifft auf die Zärtlichkeit der Stadt. Verletzlichkeit, Verzweiflung und Verdrängung fühlen sich fast überall gleich an. Dörte Hansens Protagonisten leben sich aus und schleichen sich ins Leserherz, egal wie eigenartig sie sind. Sie wollen kein Mitleid, sie wollen keinen Platz für seitenlange Gefühlsduselei, sie wollen erlesen und erlebt werden und ab und an Plattdeutsch sprechen. Gerade Vera ist eine Person, über die man stundenlang reden könnte, sie lässt sich in kein Muster drängen, so unvorhersehbar außergewöhnlich ist sie. Der Roman lebt von der bildlichen Sprache, dem Sarkasmus und der Ironie. Der trockene Humor ist bei diesem Inhalt Pflicht und Dörte Hansen kann ganz wunderbar mit ihm umgehen.

Altes Land ~ Dörte Hansen
Altes Land ~ Dörte Hansen

Gummistiefelwelt

Beim Lesen stehen wir in Gummistiefeln neben dem alten Haus, riechen die Landluft und wollen nicht mehr in die Stadt zurück. Ankommen – so heißt das Zauberwort, von dem Anne und Vera nur träumen können. Ein gemeinsames Projekt könnte das Ziel einer langen innerlichen Reise sein. Einer Reise bei der immer wieder hoffnungslos versucht wurde, die richtigen Wurzeln zu finden, das jeweilige Mutterherz zu erobern. Die Quittung war die Fremde, die Ruhelosigkeit und die Enttäuschung.

Auch außerhalb der großen Stadt ist die Welt nicht heile. Aber sie blüht mit jedem Jahr neu auf, auch wenn das Dorf nicht jeden Gast mit offenen Armen begrüßt. Doch dafür gibt es Bauern, wie Dirk zum Felde. Er findet den richtigen Umgang mit Stadtmenschen, die sich gern als leidenschaftliche Landwirtschaftsmenschen ausgeben und das Land in die Stadt tragen wollen.

„Altes Land“ ist ein ruhiges Buch, welches am Kaminfeuer gelesen werden möchte. Es darf ruhig regnen, der Wind ums Dach fegen und die bunten Herbstblätter dürfen gern vorm Fenster tanzen. Bei einer Tasse Tee lässt sich dieses durch und durch lyrisch literarische Werk außerordentlich gut genießen. Nach der letzten Seite wirkt das Gelesene intensiv nach und lässt uns nicht sofort in das schnelle Stadtleben zurück kehren. Einige Leser bringt Dörte Hansen vielleicht sogar dazu, ihre High-Heel-Gedanken in Gummistiefel-Realitäten zu wandeln.

Eure
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Lieber Mr. Salinger ~ Joanna Rakoff

Lieber Mr. Salinger ~ Joanna Rakoff
Lieber Mr. Salinger ~ Joanna Rakoff

Lieber Mr. Salinger – Joanna Rakoff

„Salinger war knallhart. Knallhart, witzig und sehr genau. Ich war Feuer und Flamme für ihn und für alles, was er geschrieben hatte.“ (S. 234)

Joanna Rakoff beschreibt in ihrem autobiographisch angehauchten Roman ein Jahr ihres Lebens. Und nicht irgendein Jahr, sondern das Jahr, in dem sie als Assistentin in der Agentur in New York gearbeitet hat, die den großen Autor J.D. Salinger vertrat.

Kurz nach ihrem Uniabschluss ergattert die junge Joanna mehr durch Zufall diesen Job. Frisch getrennt von ihrem Collegefreund, in einer neuen Beziehung zu einem angehenden Schriftsteller und mit einer großen Portion Naivität stellt sie sich dieser neuen Herausforderung. Doch mit einer Chefin ala Anna Wintour gestaltet sich der Start etwas schwierig. Jeden Morgen rauscht sie an ihrem Arbeitsplatz ohne Begrüßung vorbei und überhäuft sie anschließend mit auf Kassette aufgenommenen Texten, die über ein Diktafon abzuspielen und auf Schreibmaschine abzutippen sind. Ja, die Agentur hat etwas Besonderes, etwas Nostalgisches. Im Laufe der Zeit wird zwar ein Computer angeschafft, doch nur einer und ausschließlich für Recherchezwecke. (mehr …)