Wenn´s brennt ~ Stephan Reich
Wenn´s brennt ~ Stephan Reich

Was für ein geniales Buch, Alter. Echt ey. So stark, ich bin regelrecht durch das Buch gerannt. In zwei Tagen habe ich die fast 240 Seiten regelrecht inhaliert und nun hallen Reichs Worte in mir nach.

Wenn´s brennt (DVA) von Stephan Reich – schreibt euch schon mal den Titel ab, speichert euch das Cover – ihr braucht es einfach.

Meinen Nerv hat der Debütroman auf jeden Fall getroffen. Geiler Scheiß, den Stephan Reich da aufs Papier gebracht hat, so möchte ich es sagen. Ich bin immer noch total in der jugendlichen Sprache gefangen, ich will es mal halben Gossenslang nennen. Ihr wisst schon, wie „wir“, also die Jugend von heute so redet. Ja, auch mit über 30 redet die Jugend ab und an noch so. Wenn die Situation passt, so wie jetzt. Alter ey – lies mal die erste Seite und schon bist du drin im Wirrwarr der letzten Sommerferien und redest so wie ein 16-Jähriger. Weißt du noch, wie sich das damals angefühlt hat oder bist du gerade an so einem verfuckten Lebensabschnitt an dem du nicht weißt, ob du lieber vorwärts oder rückwärts gehen willst?

Die letzten Sommerferien waren schon heftig. Dieses Gefühl von Freiheit – die Schule ist vorbei. Dieses Gefühl von Ungewissheit, von Neuanfang, diese Zukunftsangst – jeder beginnt einen neuen Weg, allein. Erik will es noch einmal richtig krachen lassen, doch er bleibt im Kaff zurück und hat keine Gelegenheit weg zu fahren oder weg zu fliegen. So wie alle. Alle außer Nelson und sein bester Freund Finn. Bald wird alles anders. Erik wird auf der Post anfangen, Finn zieht nach Hamburg und geht dort weiter zur Schule.

Im Kaff gibt es nur den Treffpunkt namens Schotter, ansonsten ist tote Hose und wenn es nix zu kiffen und zu saufen gäbe, wäre es noch langweiliger. Aber Nina, die kleine Ficke, ist ja noch da, bevor sie in den Urlaub nach Frankreich fährt und so ruhig, wie gedacht, beginnen die Ferien dann doch nicht. Finns Mutter und der ekelhafte Walter – das muss ausgewertet werden. Kotz. Die erste große Party – rauchen, kiffen, saufen und das Ding mit dem Trockner.

Aber Erik – beschreibe dich doch mal selbst: „Ich bin der totale Durchschnitt. Geradezu unsichtbar. Aber ist ja auch o.k., dann pass ich doch optimal hierher, in dieses durchschnittliche Kaff, in unser Bauspar-Haus, zu meiner traurigen Mutter, meinem Stechuhr-Vater und meinem behinderten Bruder…“ (Seite 26)

Jeder Tag muss genutzt werden, jeder Tag wird anders und jeder Tag wird doch ein wenig gleich.

Wenn´s brennt ~ Stephan Reich
Wenn´s brennt ~ Stephan Reich

Erik und Finn pflegen eine besondere Freundschaft und doch gilt es immer wieder, die Grenzen auszuloten und ein wenig drüber zu sein. Oder auch mal viel drüber zu sein. Drüber, drüber…

„Und manchmal denke ich, dass er ich ist und ich er, weil wir so häufig die gleichen Sachen denken und dann lachen müssen, wenn wir uns ansehen, und genau wissen, dass wir die gleichen Sachen denken. Finn hat mal gesagt, wir wären wie zwei Äste vom gleichen Baum,…“ (Seite 13)

Alter – was für ein starker Stoff. Durch die Ich-Erzählperspektive sind wir als Leser komplett mit Erik verbunden. Näher dran geht einfach nicht. Reich schreibt so nah, so frisch, so jugendlich und so herrlich offen und direkt, dass es regelrecht knallt. Es gibt keine konstante Dosis – es wird rasant erzählt, Worte überschlagen sich – es wird hintereinander weg erzählt, es geht geordnet zu. Es gibt keine Vorhersahbarkeit – Ironieverstand ist vorausgesetzt und schnelles Umdenken sollte ebenso vorhanden sein. Und dann noch dieser Humor, der unverhofft um die Ecke kommt. Genau wie manche Schläge ins Gesicht und ein paar Abgründe und ein paar unschöne Worte. Aber hey – so ist es doch, oder?

Was musste ich plötzlich laut lachen. So krass ist mir das lange nicht passiert. Mich hat es stellenweise ja fast vom Lesehocker gehauen. Aber das liegt wohl auch dran, dass ich mich gerade in solche Werke wunderbar fallen lassen kann. In Reichs Buch sollte man richtig reinspringen, wie in einen Pool mit Strömungskanal. Macht den Kopf aus und seid Erik. Lebt diese letzten geilen Sommerferien und macht so viel Scheiß, wie ihr nur machen könnt. Die Sehnsucht nach Blödsinn, jeder Menge Alkohol und Rauschmittel wird definitiv befriedigt.

Und ich musste immer wieder laut aus dem Buch vorlesen, ich musste meine Umgebung davon in Kenntnis setzen, welchen Stoff ich gerade lesend konsumiere und mir musste man zuhören. Es ging einfach nicht anders. Ich wollte mehr und mehr und weiter und weiter und schaltete meinen Kopf aus – Unterhaltung pur. So geil, Alter. So geil.

Aber wisst ihr, aus dem größten Spaß, aus viel Blödsinn und jeder Menge Drübersein, kann auch Ernst werden. Wenn der Gashahn des Lebens dann trotzdem nicht losgelassen werden will, kann das böse enden. Irgendwann geht es einfach nicht mehr weiter, auch wenn man sich gegen Neues sträubt. Irgendwann bekommt jeder Anfang ein Ende und jedes Ende einen Anfang.

Es brennt – in allen Ecken, nicht nur vom Alkohol in der Kehle. Neben jeder Menge flotter Sprüche und dem locker flockig Ferienleben, gibt es Dialoge zu finden, die voller Tiefe strotzen. Auch Jungs haben emotionale Seiten und vor allem Jungs können sich untereinander genauso heftig und kurz streiten, wie versöhnen. Es gibt Brüche, es gibt Klebestellen und dann gibt es das Ende der Sommerferien, was verschieden definiert werden kann.

Wenn du ohne Bremse durch ein Buch rasen willst, dann solltest du „Wenn´s brennt“ lesen – aber Vorsicht – verbrenn dich nicht…

Wenn´s brennt ~ Stephan Reich
Wenn´s brennt ~ Stephan Reich

…und dann kommt plötzlich der Draht zum Autor ans Glühen. Auf meine Frage hin, ob er spontan Fragen an mich, eine Leserin hat, wurden drei Fragen an ihn. Natürlich so pur, wie er schreibt, ganz ohne Korrektur:

Welcher Leser sollte an deinem Buch auf keinen Fall vorbei gehen?

am buch sollte niemand vorbeigehen, der lust hat auf eine tragische geschichte, die humorvoll erzählt wird. alle, die lust auf krawall haben, universen, die explodieren, wodka auf dem schuldach, schläge aufs maul und der erste sex. alle, die das 16. lebensjahr überlebt haben und gerne noch einmal dorthin zurückkehren wollen. alle, die spaß an temporeichen, derben, knallenden texten haben.

In „Wenns brennt“ stecken wieviel % Stephan Reich?

prozentual kann ich gar nicht sagen, wieviel von mir im buch oder in den figuren steckt. es gibt eine gewisse schnittmenge mit finn und erik, etwa in sachen zynismus und weltekel. ansonsten weist das dorf, in dem sie leben, strukturelle ähnlichkeiten mit Melsungen auf, der kleinstadt, in der ich groß wurde, allerdings in einer abstrahierten form (wir hatten z.b. einen ähnlichen schulberg). im text tauchen auch immer wieder kleinere randgeschichten auf, davon sind einige wenige geschichten aus meiner jugend. etwa die kleinstadtlegende mit dem lehrer, der im schrank eingesperrt wurde oder die geschichte von micha, der beim anblick seines ersten pornos kotzen muss. insgesamt ist es aber natürlich keine autobiographische geschichte. glücklicherweise, muss ich sagen.

Ist der Titel dein Wunschtitel und für was steht er?

der titel kam vom verlag. ich war zunächst nicht sonderlich begeistert, mit der zeit aber begann ich ihn zu mögen. denn er trifft ja sehr gut zu. mit dem plot verhält es sich wie mit nelsons monolog über den backdraft. alles schwelt und es braucht nur einen funken, eine leichtfertig geöffnete tür, und alles explodiert.

Danke Stephan!

Eure
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