Auch mit Mozart sind uns wieder lustige Sachen passiert, der literatwoische Zufall könnte man sagen, hat auch dieses Mal wieder zugeschlagen. Wir haben vor kurzer Zeit zum Roman Mozarts letzte Arie gegriffen und genau zur gleichen Zeit, hat uns Clara Luisa Demar ein paar von ihr selbst verfasste Geschichten geschickt. In einer davon geht es um Mozart, es ist mal wieder unglaublich, wie das Leben so spielt.

Wir haben uns mehr als gefreut, stecken wir doch sozusagen mitten im Thema. Was für ein Zufall, manchmal können wir es einfach nicht glauben, wie die Kreise sich um die Bücher ziehen. Clara Luisa Demar hat bei uns wie ihr wisst schon eine Ode für Oda verfasst und nun könnt ihr lesen, was sie über Mozart zu erzählen hat.

Vorhang auf…

Persönliche Begegnungen und Erlebnisse mit Komponisten und ihrer Musik

Meine Kindheitserinnerungen an Wolfgang Amadeus Mozart sind eher bedrückender Natur. Mein gestrenger Klavierlehrer liess viel Mozart spielen. Sauber, fehlerfrei und langweilig, wie eine Spieldose ohne Charme. Er pflegte zu sagen, dass man Mozart „makellos“ spielen müsse.

Unter diesem Druck streiften die Finger natürlich andauernd unpassende oder überflüssige Tasten und verunreinigten die makellose Langeweile empfindlich. Ein Fehler spannte die Nerven und rief dem nächsten Fehler, bis man sich in einem grauenhaften Knäuel von Missgeschicken befand.

Das war so, bis ich eines Tages ins Kino ging, wo es den Don Giovanni aus der Felsenreitschule in Salzburg unter der Leitung von Wilhelm Furtwängler gab.

Ich sass da und staunte mit offenem Mund in eine lebendige Musik- und Opernwelt.

Das Ereignis begann. Während der Ouvertüre faszinierte mich Furtwänglers Dirigentenstab. Er vibrierte, als ob ihn eine Energie, die vom Inneren des Dirigenten ausging, in Schwingung versetzte. Er versetzte alles in lebhafte, lebendige Bewegung.

Die einleitende Musik teilte Don Giovannis Wesen und Sein mit, bevor er auch nur die Bühne betreten hatte. Man spürte, da war einer, der wollte alles, – allen Genuss, alle Frauen, allen Reichtum. Er beugte sich keiner Grenze, keiner Moral, keiner Rücksicht, keiner Vernunft, keinem Gesetz. Ausser ihm war nichts.

Die Geschichte begann. Man hatte den Eindruck, dass Donna Anna, Donna Elvira, Giovanni selbst ihre Häuser und Paläste hätten, die um einen Platz in einer Stadt stünden. Die Felsenreitschule ermöglichte dieses Spiel mit der Realität. Die Leute kamen heraus, trafen sich, gingen nach Hause. Es wirkte, wie das echte Leben. Auch die Sänger wirkten absolut real. Die Geschichte war wirklich, ohne dass man mit bühnenpsychologischen Mitteln und Symbolen nachgeholfen hätte, – wie man das heute versucht.

Die Schönheit der Stimmen von Lisa della Casa und Elisabeth Grümmer war überwältigend. Cesare Siepi war Don Giovanni, – niemand konnte sich seiner dämonischen Ausstrahlung entziehen. Man glaubte ihm ohne weiteres, dass jede Frau seinetwegen die unglaublichsten Torheiten begehen musste.

Die Echtheit der Ereignisse wurde gespeist von der Musik. Ich verstand: „Mozart ist das Leben“.

Giovanni trieb es auf die Spitze. Er ermordete einen Menschen, er verführte und verliess zahllose Frauen, er gab sie der Lächerlichkeit preis. Das Unheil nahm seinen Lauf. Der Geist des von Giovanni ermordeten Komturs erschien. Die Ewigkeit der anderen Welt umgab ihn. Mir wurde eiskalt. – Giovanni sollte bereuen. Er sagte drei Mal: „No!“. – Dann verwandelte sich die Felsenreitschule in ein flammendes Inferno. Teufel rannten durch die Galerien. Sie setzten alles in Brand. – Mit einem Schrei versank Giovanni in der Tiefe. Die Mächte der Finsternis zerrten ihn herunter.

Anschliessend trafen sich die anderen, um über die Vernichtung des Bösewichts zu frohlocken. Es schien aber niemand so richtig froh zu sein. Nie wieder habe ich ein solches Opernerlebnis gehabt. Man gibt sich heute viel Mühe. – Man entwirft originell sein wollende Bühnenbilder. Alles wirkt meist etwas mühsam und weit hergeholt.

Natürlich, eine wenn auch noch so grosse Bühne kann nicht die Spielmöglichkeiten der Felsenreitschule und der Kamera ersetzen.

Faszinierend ist auch, dass man sich in dieser Inszenierung die Mühe gemacht hatte, die Kostüme und das Decor der ersten Don Giovanni-Aufführung unter Mozart in Prag neu herzustellen.

Vor allem aber sind es der Dirigent und die Darsteller, die den kochenden, in tausend Schattierungen brodelnden Strom von Mozarts Musik nicht so empfangen können, wie Furtwängler und seine Leute es taten. Was sie auf der Bühne lebten, ist Wirklichkeit.

Es kam mir nun der Verdacht, dass Mozarts Klaviersonaten auch nicht  makellos und langweilig gemeint waren.

Vorsichtig untersuchte ich das Notenbild. Alsbald entlockte ich ihm Passagen, die an ergreifende Arien erinnern, an wirkliche Freude, an tieftraurigen Kummer. – Plötzlich gerät das Ganze in Bewegung, – heimlich und piano, als ob Intrigen gesponnen würden, dann wieder fröhlich ausbrechend, Durcheinander und Verwicklungen menschlicher und allzu menschlicher Art beschreibend.

Mozarts Opernkomödien, „Figaro“, „Cosi fan tutte“, sind nie leerer Schwank. Sie öffnen hinter dem kommödienhaften Treiben Abgründe der menschlichen Seele. Ebenso tun es die reinen Musikstücke. Es sind kleine, fest gefügte Dramen mit einem musikalischen Thema, das sich entwickelt und verwickelt. Die Probleme werden bearbeitet, verwandelt, in ihr Gegenteil verkehrt, geläutert. Es ist voller Gefühl, es ist lustig, ohne oberflächlich zu sein, – es wird dramatisch, tragisch, kommt zu einem Ende, das Gutes und weniger Gutes vereinigt.

Jedes Musikstück Mozarts ist ein Stück menschliches Leben, oft in sehr opernhafter Form. Man kann ganze Koloraturarien darin hören. Immer ist alles aber auch klangschön, ein Ohrenschmaus, sinnlich, durchgeistigt, wie die immer wechselnden Erscheinungen des Lebens.

Ich durchstreifte mit jugendlicher Neugier die reiche Welt von Mozarts Sonaten, Fantasien, Orchesterwerken, – und ich entdeckte Leben ohne Ende.

Mozart wurde als Wunderkind von seinem Vater durch ganz Europa geschleppt. Später vermochte er in Wien beruflich nicht richtig Fuss zu fassen. Er soll eigentlich immer fröhlich gewesen sein. Er starb mit sechsunddreissig Jahren…

Er sagte: “Wenn ich komponiere, geht es in mir zu, wie in einem schönen, lebhaften Traum.“

In die Zeit meiner spannenden, jugendlichen Erlebnisse und Erfahrungen mit Mozart fällt ein interessanter Traum.

Ich muss etwa vierzehn Jahre alt gewesen sein. Da träumte ich gegen morgen von Mozart. Er erschien plötzlich und mit ungeheurer Kraft. Er war zwischen Kind und Erwachsensein und trug ein rotes Kostüm, besser gesagt eine Kleidung aus jener Zeit. Ausserdem trug er eine Perücke. Ich glaube, sie hatte keinen „Zopf“. Er war da, ich fühlte mich gepackt, von seiner Energie mit Leben  erfüllt. Und er brachte eine Schüssel  „Pommes frites“.

Diese „Pommes frites“ nährten mich einige Jahre. Meine schöpferische und menschliche Entfaltung ging voran. Ich erreichte einen Höhepunkt. Dann geschah in meinem Leben eine schwere Erschütterung. Es war, als ob mein Wesen, meine Persönlichkeit, unter dem Druck der tragischen Ereignisse zerbrechen würde. Eine Freundin beschrieb es etwas später. Sie sagte, ich sei in jener Katastrophenzeit gewesen wie ein Kind, das stirbt. In jener Zeit träumte ich wieder von Mozart. Er brachte mir Erdbeeren. Erdbeeren schmecken süss, – aber eigentlich bestehen sie zum grossen Teil aus Wasser. Sie vermochten mich nicht mehr zu „nähren“, wie die „Pommes frites“ von einst.

Es vergingen Jahre, bis die Schöpferkraft sich in meiner Seele befreite und von neuem zu schaffen begann. Sie strömt seitdem ungehindert und gibt meinem Leben Sinn. – Es erfüllt mich mit Dankbarkeit.

Matthias Wolf, Kater Murr (E. T: A: Hoffmann) und Hauskatze Noel

Viele Jahre waren vergangen. Eines Tages erhielt ich von einem zwölfjährigen Mädchen ein sehr besonderes Geschenk. Das Kind schnitt in einen rotbraunen Pelz, und ein Wolf entstand, – ein sprechender Wolf. Er kann den Mund öffnen und schliessen.

Der Wolf wurde ohne ersichtlichen Grund Matthias genannt. Ich fühlte mich verpflichtet, das so kostbare Geschenk zum Sprechen zu bringen. So entdeckte ich die Kunst des Bauchredens.

Matthias war zunächst ein Kind. Er hatte eine hohe Stimme, redete, wie ein fleissiger Schüler, war wirklich brav und hilfsbereit, verstand etwas von Mathematik, weil ich nichts davon verstehe, und machte mir und anderen viel Freude. Schon bald entwickelte er eine manchmal peinliche Eigenschaft. Er begann im bauchredenden Geplauder hie und da Leuten schmerzhafte Wahrheiten ins Gesicht zu sagen, – seltsamerweise Dinge, die ich nicht wusste und auch gar nicht wissen konnte. Ich vermute, dass das Unterbewusstsein manchmal Dinge auffängt, die die bewusste Kontrolle blockiert. Die Puppe sagt es dann, während man selber es verdrängt. Aber eigentlich weiss ich nichts Genaues über dieses Phänomen.

Matthias wurde älter. Seine Stimme wurde tiefer, eine richtige tiefe Wolfsstimme. Matthias wurde ernsthaft und erwachsen. In dieser Zeit fragte man mich für ein Konzert in einem Kinderkrankenhaus in Paris.

Was sollte ich den Kindern vorspielen und erzählen? Mozart, Mozart kam mir in den Sinn. Die Geschichte von der „Zauberflöte“, von jener zauberstarken Flöte, die so viel verändern kann, die wilde Tiere besänftigt, die schwerstgeprüfte Menschenkinder auf harten Wegen zu führen vermag. Tamino und Pamina wurden von der Flöte durch harte Prüfungen und Lebenserfahrungen hindurch getragen. Das mochte die kranken Kinder trösten und ihnen in ihrer schweren Lebenslage Mut machen.

Ich verfertigte Zeichnungen zu der bewegenden Geschichte. Dann suchte ich nach einem geeigneten Begleiter, der mir helfen sollte, den Kindern diese Dinge verständlich zu machen.

Ich sprach mit Matthias, und er gestand mir nun, warum er so geduldig und freundlich war, und wer ihm die Sprache geschenkt hatte.

Einst war er der wildeste aller jungen Wölfe gewesen. Furcht und Schrecken gingen ihm voran. Dann hörte er eines Tages eine wunderschöne Musik. Sie ergriff sein wildes Wolfsherz und verwandelte ihn völlig, – ganz gegen seinen Willen. Sanfte Gefühle empfand er, Reue und Mitgefühl.

Mozart,  Mozart war es gewesen, der ihn mit seinen Zauberklängen so verwandelt hatte. Ihm zu folgen und zu dienen schien ihm nun  Lebenssinn zu sein.

Wir reisten nach Paris. Der Wolf erzählte in tiefer Bewegung von Wolfgang, dem Amadeus, von dem, den Gott liebt. Die Kinder staunten. Die Geschichte von der Zauberflöte schlug sie völlig in Bann. Ich flog auf der Bühne. Es war, als ob mich eine geheime Kraft ergriffen hätte. Die Kinder jubelten. Dann kam jemand vom Krankenhaus tränenüberströmt zu mir. Ein Wunder sei geschehen. In diesem Krankenhaus wurde ein Kind betreut, das seit Jahren keine Reaktionen mehr zeigte. Es war ihm und seinen Eltern ein schwerer Autounfall geschehen. Beide Eltern waren sofort tot.

Das Kind sprach nicht mehr seitdem, es musste gefüttert werden, es bewegte sich nicht und sass mit leeren Augen da.

Als die Musik Mozarts erklang, bewegte das Kind sich plötzlich. Es begann die Umstehenden zu stossen und zu knuffen. Leben kam in seine Augen, –  es war wieder „da“!

Man brachte Matthias zu dem Kind. Erstaunt streichelte es den weichen, pelzigen Wolf. Es streichelte ihn mit Zärtlichkeit.

Diese Geschichte hat sich wahr und wahrhaftig ereignet. Sie ist ja auch viel zu seltsam, als dass man sie erfinden könnte. Was war es, das die vom Grauen erstarrte Seele dieses Kindes befreite? Es muss in Mozarts Musik etwas sein, das zärtlich und geheimnisvoll heilend wirkt, und Kraft und Leben spendet.

Matthias ist später ein grosser „Mozartsänger“ geworden. Ich entdeckte, dass ich nicht nur bauchreden, sondern auch bauchsingen kann. Matthias singt nun die Papagenoarien, Bariton, Originallage. Es ist ein besonderes Bauchsingkunststück.

Damit macht Matthias vielen Leuten immer wieder Freude. Er hält sich an das Versprechen, das er einst Mozart gab, als er ihn mit seiner Musik verwandelte. Er folgt ihm nach und dient ihm. Er schenkt auf seine Weise Kraft und Freude.

0 comments on „Unter dem Gesang der Sterne“ von Clara Luisa Demar

  1. Ganz herzlichen Dank für die wunderschöne Präsentation meiner Geschichte mit dem grossen Mozart und für die so freundlichen Kommentare.
    Matthias Wolf möchte sich auch äussern:
    „Liebe Leser, vielleicht werdet Ihr die Geschichte vom kranken Kind in Paris gar nicht glauben können. Aber vertraut mir. Es hat sich so und nicht anders ereignet. Die Musik vom grossen Mozart hat grosse und geheimnisvolle Macht, wenn man sich ihr öffnet. Wenn Ihr das selbst erfahren wolltet, würden wir uns sehr freuen.“
    Matthias Wolf

    • Luisa – das haben wir sehr gern getan, fiel uns bei diesem Text von dir auch mehr als leicht. Ein spannend-musikalisches Lesen und was Matthias Wolf damals passiert ist, ist wirklich der Wahnsinn.

      Wir danken dir. Deine Literatwos.

  2. Clara Luisa Demars Geschichte ist wunderschön zu lesen und Ihre Schilderung der ‚Erweckung’ eines Kindes in einem Pariser Kinderspital durch Mozarts Zauberflöte sehr berührend.
    Als meine Tochter etwa zehn Jahre alt war, haben in unserem Umfeld etliche Menschen in einer Zauberflöte – Inszenierung im Alters- und Pflegeheim Rüttihubelbad in Walkringen mitgewirkt. Ein Chor von an die 100 Menschen hat die Inszenierung mit zu einem grandiosen Erlebnis gemacht. Angehörige durften dort wiederholt Proben und Aufführungen erleben. Starke Eindrücke wie Papageno, die Königin der Nacht und zum guten Ende ‚die Strahlen der Sonne, die die Nacht vertreiben’, haben die Kinder wochenlang bewegt und bei uns zu Hause erklangen wunderschöne Ariengesänge von träumenden 4.Klässlerinnen.

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