Monat: Januar 2017

Die Helle(rauer) Zelle – Ausgesetzt 1/2017

Die Helle(rauer) Zelle

Nun war es soweit, ich habe es wieder getan und ja, es war nicht ganz einfach. Aber hey, ich habe es dennoch souverän gemeistert, das Aussetzen von 6 Büchern.

Das Gefühl in mir wuchs und wuchs und dann nahm ich es in Angriff – ich stellte mich vor mein Bücherregal und überlegte von Buch zu Buch, ob ich mich davon trennen kann oder nicht. Mein Ziel sollte es sein, mit Stoffbeutel Knigi aus dem Hause Diogenes, zur hellen Zelle in Hellerau zu spazieren. Natürlich voll gefüllt mit Büchern. Ich habe das Ziel erreicht, wie ihr auf nachstehendem Bild sehen könnt.

Zitternd nahm ich die Bücher aus dem Beutel und zitternd entstand das unscharfe Bild. Es war sehr kalt und ja, der Trennungsschmerz – kennt ihr ja. 😉

Wie kannst du nur…

Na, wer von euch hat gerade so gedacht? Ihr fragt euch, warum ich genau diese 6 Bücher ausgewählt habe? Mein Buchgefühl hat so entschieden.

Die Helle(rauer) Zelle

6x Buchgefühl

Apocalypsia von Andreas Izquierdo – ich habe es gelesen, aber nie richtig geliebt. Und doch habe ich es geliebt. Wenn ich es sehe, denke ich an die Lesezeit, daran, dass Gott sterben musste und mir geistert Luzifer im Kopf herum. Dennoch musste es gehen und lässt viel Platz für mindestens zwei schmale neue Bücher zurück. Worte zu Apocalypsia findet ihr in meiner Rezension auf Lovelybooks.

„Das Sexleben meiner Tante“ von Mavis Cheek – fragt mich mal, woher ich das Buch habe. Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.

Die Liebe ist ein schlechter Verlierer von Katie Marsh – Das wohl jüngste Buch, zumindest an der Zeit, die es bei mir wohnte, gemessen. Ich wollte es lesen, denn das Cover ist fröhlich und es geht um die Liebe. Aber ich lasse anderen Lesern den Vortritt.

Malavita“ von Tonino Benacquista – es wollte einfach in die Freiheit. Dem zukünftigem Leser lege ich zum Buch noch den Film ans Herz. Einfach herrlich. Buch und Film mag ich sehr. Im Artikel [FUCK] Jetzt wirds „mafiös“ bei uns… nachzulesen. Peng. 😉

„Die Tochter des Schmieds“ von Selim Özdogan – Ungelesen. Nach über 5 Jahren im Regal (wenn das überhaupt reicht), sollte es endlich mal gelesen werden.

„Die Alchemie der Nacht“ von Heike Koschyk – 2011 steckte ich im historischen Genre. Ich habe den Roman sehr gern gelesen.

Helle(rauer) Zelle
Die Helle(rauer) Zelle

Helle(rauer) Zelle

Seit über einem Jahr besuche ich die Zelle nun regelmäßig und ich freue mich immer und immer wieder, wie oft ich dort ausgesetzte Bücher von mir wieder treffe. Überhaupt ist in der Zelle ein reger Büchertausch. Es wird fleißig im Dresdner Stadtteil Hellerau gelesen.

Auch in diese ausgesetzten Bücher habe ich wieder literatwoische Lesezeichen gelegt und ich freue mich, wenn ich mal einen Leser kennenlerne, der mit einem meiner Bücher eine schöne Lesezeit verbracht hat und mir dies sagt/schreibt. Traut euch. 😉

Es ist ein schönes Gefühl, die Bücher dort gelassen zu haben und vielleicht schaffe ich es in diesem Jahr mal monatlich, über meine Besuche zu berichten. Einige Zeilen konntet ihr schon in den Artikeln Die Hellerauer Zelle, Bücherzelle vs. Geocaching und Welttag des Buches 2016, über die Helle(rauer) Zelle lesen.

Na, verratet ihr mir, welche Bücher ihr zuletzt ausgesetzt habt?

Eure
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Bodentiefe Fenster

Bodentiefe Fenster ~ Anke Stelling

Das ich überwiegend keine bodentiefen Fenster habe, liegt vielleicht daran, dass ich nicht in einem Haus mit mehreren Generationen, in einem Berliner Wohnprojekt, wohne. Tatsächlich haben aber Menschen ohne bodentiefe Fenster ebenfalls Probleme und kommen auch in solche Lebenschräglagen, wie Anke Stellings Protagonistin.

Stopp – eigentlich wollte ich mit dem letzten Satz des Buches beginnen, wobei der erste, „Ich bin wie meine Mutter“ (Seite 7) ebenso eindringlich und wegweisend ist. Er lässt uns ein wenig erahnen, was uns erwartet, der letzte Satz allerdings auch und wahrscheinlich noch viel mehr:

„Ich weine, weil ich weiß, dass das in erster Linie eine Sehnsucht ist und auch bleiben wird. (Seite 249)

Jetzt ist euch der erste und letzte Satz bekannt, dazwischen passt ein ganzer Lebensauszug der Berlinerin Sandra. Ich selbst hatte in den letzten Tagen nicht viel Lesezeit und habe festgestellt, dass es sich in „Bodentiefe Fenster“ schnell ein und austauchen lässt, denn man muss nur das Rollo hoch oder eben herunterziehen. Sobald man wieder durch die bodenlosen Fenster nach draußen sehen kann, tobt das eigene Leben und vor allem das Leben im Wohnprojekt weiter.

Sandras Leben ist ein Spalt – ein Zwiespalt. Und Sandras Leben ist eine Art Schwebebalken, auf dem sie mal gefährliche Schräglage bekommt und dann wieder standfest geradeaus gehen kann.

Bodentiefe Fenster ~ Anke Stelling

Zwiespalt Wohnprojekt

Ein Wohnprojekt ist keine leichte Sache, obwohl es die doch eigentlich sein sollte. Nie einsam in der anonymen Großstadt sein, eine harmonische Hausgemeinschaft, andere Kinder für die eigenen Kinder zum Spielen. Herrlich – ein rundum Lebenspaket. DENKSTE! Neid, verschiedene Erziehungsmethoden, viele (Über-) Mütter, unterschiedliche Charaktere und Lebensmodelle und dazu noch die eigenen Vorstellungen vom perfekten Leben. Ein bodenloser Kreisel voller Gefühl, Realität und Traum. Wenn obendrauf noch die Ideale der Mutter im Hinterkopf toben, ist der eigene Untergang, namens Depression, vorprogrammiert.

Bessere Welt – wo bist du? Gibt es dich überhaupt? Sind wir gemeinsam wirklich stärker oder rennen wir nur noch der Zeit und den Ansprüchen Fremder hinterher und wo stehen wir eigentlich selbst?

Anke Stelling lässt uns Sandras innerliches Chaos erlesen und gibt uns damit über das eigene Leben zu denken. Aber keine Angst – wir stürzen lesend keinesfalls ab und graben uns ein, nein. Dafür gibt es zuviel schwarzen Humor und das ganze facettenreiche Leben, was die Lücke zum Absturz nicht zulässt.

Wer vor hat, demnächst in ein Wohnprojekt umzusiedeln, dem lege ich Sandras Leben ans Herz. Sie schildert auf jeden Fall treffend, was man als Bewohner erwarten darf und auf was man nie zu hoffen braucht. Wer in einem Wohnprojekt lebt oder allgemein in einem Mehrfamilienhaus, wird sich zwischen den Zeilen wiederfinden, zumindest was die Erfahrung mit einigen Begebenheiten anbelangt. Ach, und wer ganz einsam still und leise im Grünen wohnt, der muss es unbedingt lesen. Keine Angst vor Sandras Leben, auch wenn sie viel beobachtet und mit sich selbst zu tun hat und dazu recht unglücklich ist, es lohnt sich immer, in ein anderes Leben zu lesen.

Unterhaltsam. Nachdenklich. Pures Lebenschaos.

Eure
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Die Holunderschwestern treffen drei Bloggerinnen

Die Holunderschwestern ~ Teresa Simon
Die Holunderschwestern ~ Teresa Simon

Teresa Simon hat es erneut geschafft. Sie hat mich letzten Sommer erneut mit ihren Worten gefesselt und mir die Holunderschwestern vorgestellt. Zuletzt war ich in Dresden bei den Frauen der Rosenvilla unterwegs. Da es mir dort gut gefallen hat, wusste ich schon vorab, dass ich wohl erneut begeistert sein werde. Julia von Ruby´s Cinnamon Dreams (J) und auch Yvonne von Lesende Samtpfote (Y) haben sich mit mir (B) ans Lagerfeuer gesetzt und über die Holunderschwestern geplaudert.

Holunderschwestern am Lagerfeuer

B: Ich habe „Die Frauen der Rosenvilla“ von Teresa Simon verschlungen. Als ich von ihrem neuen Roman „Die Holunderschwestern“ (Heyne) erfuhr, war mir klar, dass ich es ebenso lesen muss. Ist es euch auch so ergangen? Kennt ihr die Frauen der Rosenvilla?

J: Aber natürlich kenne ich „Die Frauen der Rosenvilla“. Schon allein, dass es in meiner Wahlheimat Dresden spielt und noch dazu von meiner Herzensautorin geschrieben wurde, war Grund genug, es lesen zu müssen! Und ich habe es verschlungen, geliebt, inhaliert. Ich mache ja selbst oft Pralinen, liebe Rosen und habe so viele Orte wiedererkannt. Ein wirklich buschiger Traum!

Y: Mir hat Julia dieses Buch empfohlen und mir gesagt, dass es in Dresden spielt. Da war mir klar, dass ich es auch lesen musste und auch ich habe es einfach geliebt. Diese Geschichte mit den Tagebüchern war einfach packend!
Der Schauplatz der Holunderschwestern gefällt mir auch. Ich wollte schon immer mal nach München.

Die Holunderschwestern ~ Teresa Simon

Histofiktion

J: O ja, da sagst du was. Vor allem, wie immer Historie und Fiktion mit dem jeweiligen Schauplatz verknüpft sind.

Y: Hast du es nicht so treffend Histofiktion genannt?

J: Ich glaube, ja 🙂

B: Ich bin wahnsinnig schnell in die Geschichte eingetaucht und konnte mich auch sehr schnell mit den Protagonisten anfreunden. Wenn ich euch frage, ob ihr eher mit Fanny oder eher mit Fritzi warm geworden seid – wie fällt die Antwort und die Begründung aus?

Y: Also vom Beginn des Buches her eher mit Fanny. Eifersüchtige Schwestern sind nicht so mein Fall.
Aber vielleicht ändert sich mein Bild noch.

B: Das stimmt – ich mag auch keine eifersüchtigen Schwestern. Fritzi ist kein einfacher Charakter, ich möchte sie auch nicht geschenkt bekommen. Die Autorin hat sich überhaupt wieder tief in ihren Charakteren fallen gelassen und einmalige Persönlichkeiten gezaubert. Oder wie sehr ihr das? Auch die männlichen Protagonisten sind speziell-interessant – nicht wahr?

Die Holunderschwestern ~ Teresa Simon

Charakterstarke Protagonisten

J: Aber ich mag Fanny auch lieber, wobei ich mich auch in gewisser Weise gut in Fritzi hineinversetzen konnte. Sie wurde von der engsten Person zurückgelassen, schwer verletzt, auf dem kleinen Dorf während die Schwester in der Großstadt scheinbar ein fantastisches Leben führt – so stelle ich mir zumindest die Fantasien der kleinen Fritzi vor. Das wollte sie auch haben!
Männliche Protas sind herrlich! Mein Alex ❤ und die Alpakabesitzer – beide so göttlich, was hab ich da schmunzeln müssen!

Y: Ja, die männlichen Protagonisten sind schon ganz okay, auch wenn sie am Anfang irgendwie alle ein bisschen merkwürdig auf mich wirkten. Das ist schwer zu erklären, aber ich als Frau hätte glaub ich sowohl um Alex als auch um die Alpakabesitzer einen großen Bogen gemacht. Aber dafür gefallen mir die tollen Rezepte.

B: Oh ja – die zwei Männer. Beim Alpakabesitzer gebe ich dir Recht, bei Alex…er wurde schon „lecker“ beschrieben. Jetzt aber mal wieder zum Buch zurück – welchen Lesern würdet ihr es empfehlen?

Y: Ich würde es all denen empfehlen, die gern einen guten Roman lesen, die tragisch-spannende Geschichten mögen, die schon die Frauen der Rosenvilla geliebt haben und auch denen, die sich für das Leben zwischen den Kriegen interessieren. Aber wenn ich es mir recht überlege, würde ich es auch allen anderen empfehlen 😊

J: Empfehlen würde ich das Buch allen Freunden spannender und komplexer Familienromane mit einem Hauch von Geschichte und viel Gefühl 🙂

Konnten wir euch mit unserem Gespräch neugierig machen oder kennt ihr die Holunderschwestern schon?

Eure
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3x kurz = 1x lang

3 x kurz = 1 x lang

3x kurz = 1x lang – klingt logisch oder?

Nachdem ich euch am 31.12.2016 meine Altlasten gezeigt habe, präsentiere ich euch heute zwei weitere Altlasten aus dem Jahr 2016 und gleich zu Beginn ein ganz aktuelles Buch. Die drei Bücher sind aus drei ganz unterschiedlichen Genres, wie ihr gleich merken werdet. Lasst euch drauf ein und springt kurz und knapp von einem brandaktuellen und sehr pornösen Buch in den Sommer und lasst euch durch dessen vier Jahreszeiten treiben, um am Ende im Jugendbuch aufzutauchen.

Es dürfte also für jeden Leser ein Buch dabei sein und ich freue mich schon jetzt über eure belebenden Kommentare zu dieser buchigen Mischung.

Der große rote Sohn ~ David Foster Wallace

Jedes Jahr findet im Caesars Palace in Las Vegas die Verleihung der Adult Video News Awards statt, der Oscars der Pornoindustrie. Im Auftrag der Zeitschrift Premiere besucht David Foster Wallace 1998 die Preisverleihung sowie die zugehörige Pornomesse und lässt sich dort von Branchenjournalisten mit so schönen Namen wie Dick Filth die subtilen Hierarchien, erbittertsten Branchenfehden und wildesten Gerüchte dieser ziemlich flamboyanten Parallelkultur näherbringen. Er schreibt über geklaute Trophäen, größenwahnsinnige Regisseure, naturschöne Darstellerinnen, wahre Klischees und das Pornobusiness als gänzlich ironiefreie Zone.

[© Text/Inhaltsangabe Kiepenheuer & Witsch]

Pornös genial

Gibt es das? Was habe ich gelacht und gestaunt und vor allem habe ich meinen ersten, nein, zweiten Wallace gelesen. Gemeinsam mit Arndt, auch den Wallace-Kenner genannt, habe ich mich auf die Preisverleihung begeben und zugehört, wie sich Darsteller zweideutig bedanken, „ihren Mann zu stehen, sich gesundzustoßen oder im Kommen zu sein.“ Und dabei geht doch alles so ernst los, in dem über US-Amerikaner gesprochen wird, die sich kastriert haben. Ohje, immer diese unkontrollierte Triebbefriedigung. Ihr werdet lachen, ihr werdet staunen und ihr erlebt David Foster Wallace und seine Kommentare in den Fußnoten, welche sich gern mal über mehrere Seiten strecken. Schon wenn ich an Seite 45 denke, haken sich meine Mundwinkel bei den Ohren ein und mir tut der Bauch vor lachen weh. Lest rein, lest euch durch und treibt es nicht zu bunt und vorher geht ihr noch bei Arndt nachlesen, was er über den großen roten Sohn schreibt. Er hat ihn mal so „richtig in die Hand genommen“ und tobt sich nicht jugendfrei aus. Also zieht euch was drüber, ähm, warm an. 😉

Die vier Jahreszeiten des Sommers ~ Grégoire Delacourt
Die vier Jahreszeiten des Sommers ~ Grégoire Delacourt

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Schlaflose Nacht

Schlaflose Nacht ~ Magriet De Moor
Schlaflose Nacht ~ Magriet De Moor

Ihr kennt schlaflose Nächte? Margriet De Moors namenslose Protagonistin ist mit diesen Nächten vertraut. Richtig intensiv, seitdem ihr Mann tod ist. Nachts ist die Welt anders, nachts sind die Gefühle anders und die Gedanken auch.

Bereits im Jahr 1989 erblickte die Novelle von De Moor das Licht der Buchwelt. 27 Jahr später, fast so lang wie mein eigenes Leben, wurde das Werk rundum erneuert und in meine Hände gelegt.

Und sie? Sie gibt es noch, natürlich. Sie ist von „Auf den ersten Blick“ in „Schlaflose Nacht“ (HANSER) gezogen, ihr Schicksal ist das Gleiche. Ihr Mann ist tot, in ihrem Bett liegen fremde Männer, sie bäckt mitten in der Nacht und sie wohnt immer noch dort.

„Und dann?“

Dann hätte ich geantwortet: „Dann begann meine Suche, mein Wahnsinn.“ (Seite 74)

Schlaflose Nacht ~ Magriet De Moor
Schlaflose Nacht ~ Magriet De Moor

Schlafloses Kuchenbacken

Auch nach dreizehneinhalb Jahren ist die Suche nicht beendet. Ihr Mann Ton nahm sich das Leben und es bleibt die Suche nach dem Grund. Es bleibt das Warum und die Leere in ihrem Leben. Nach nur 14 Monaten Ehe machte sie ein Schuss, ganz ohne Vorwarnung und Hinweise, zur Witwe. Ein Schuss der lebenslang lastet und nicht zur Ruhe kommen lässt.

Im Backen findet sie Ablenkung und gleichzeitig die Möglichkeit Gedanken nachzuhängen und diese zu sortieren. Der Backofen ist dank ihres Mannes in Kopfhöhe und ermöglicht eine recht bequeme Bedienung. Herrnhuter Sandküchlein, Apfelkuchen, Bretonische Schinkenquich – für die 1,84 m unglückliche Frau ein nächtliches Kinderspiel.

Doch wir Leser bleiben nicht in der Küche. Wir gehen mit ihr und durchleben mehrere Ebenen. Es gibt keine Kapitel, aber Abschnitte, die Szenenwechsel beinhalten, uns gedanklich springen lassen und die Grundspannung aufrecht erhalten. Die Suche macht mürbe, die Eifersucht bekommt Macht. Aber auch die Wut brennt sich durch die Oberfläche und das Gefühl, den Mann nicht richtig gekannt zu haben.

Gefühlssee

Ein See der Gefühle – nachvollziehbar und traurig zugleich. Und während wir in diesem See tauchen, mit der Protagonistin verschmolzen sind, liegt ein Mann unweit entfernt von der Küche, in ihrem Bett. Eine Nacht…

Schlaflose Nacht ~ Magriet De Moor
Schlaflose Nacht ~ Magriet De Moor

Die „Schlaflose Nacht“ könnte ewig andauern. Aus dem Nichts kommend, ins Nichts entlassend und doch so aufsfüllend wichtig und ergiebig. 128 Seiten die aufwühlen, in eine andersartige Stimmung versetzen und nie hätten enden müssen. Lebensecht, intim, poetisch – eine Mischung die kein Literaturgenießer verpassen darf.

Margriet De Moor stellt den Küchenwecker und entführt in die Nacht. Sie lockt mit dem Kuchenduft und legt uns die Zutaten bereit, die es braucht, um gut unterhalten und gedanklich gefordert zu werden. Sie rührt tief um, experimentiert stellenweise und sucht nur Zutaten aus, die nicht mit Gewohnheit zu vergleichen sind.

Backen ist nicht gleich backen und schreiben ist nicht gleich schreiben. Die Autorin liefert die Beweise.

Eure
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Realitätsgewitter

Realitätsgewitter ~ Julia Zange

Abgedrehter konnte das Realitätsgewitter zu Silvester wohl nicht sein. Okay, so krass wie Protagonistin Marla bin ich nicht, denn mein Vorsatz lautet nicht, meine Eltern ignorieren, aber ich lese gern krass und es ist immer wieder abgefahren, wenn sich der Zeitraum im Buch mit dem Zeitraum der Realität gleicht. Zumindest geht es mir so und aus diesem Grund habe ich die 152 Seiten wohl auch recht schnell inhaliert. Angestachelt hat mich zudem eine Leserin, die den Roman zu ihrem Flop 2016 zählt.

Nun hat sich das Realitätsgewitter ein wenig gelegt und ich habe Marla in Berlin zurück gelassen. Wie es ihr geht? Keine Ahnung, denn das erfahren wir Leser am Ende nicht wirklich. Ich hoffe aber, dass es ihr gut geht und sie endlich einen Stamm gefunden hat, an den sie sich lehnen kann.

Einsamkeit in Gesellschaft

Marla ist einsam und merkt es nicht. Sie treibt durch Menschenmassen, ist immer umgeben von vielen Leuten, sie ist online, sie treibt sich auf angesagten und weniger angesagten Partys herum und versucht aufzufallen, mitzumischen, sich einzubringen. Was bleibt ist die allumfassende Einsamkeit, die regelrecht aus den Buchseiten herausgeströmt kommt. Marla hat sich selbst noch nicht gefunden. Eher sucht sie andere, die ihren Tag beleben, egal wie. Ob mit tanzen, oberflächlichen Gesprächen, Sex oder gar der ein oder anderen Droge. Wobei sie bei letzterem standhaft bleibt, denn zuviel Elend treibt schon um sie herum auf dem See der Gesellschaft.

Marla will einfach nur geliebt werden. Und sie braucht Geld, denn im Geld ausgeben ist sie wirklich gut. Ihr unorganisiertes Chaos-Leben will finanziert sein und bisher hat sich das Portemonnaie des Elternhauses immer geöffnet. Wenn es nicht mehr auf geht, muss ein Job her. Der findet sich bei einem Modemagazin. Wer sich allerdings nicht findet, ist Marla.

Realitätsgewitter ~ Julia Zange

Letztendlich trifft Marla doch auf ihre Eltern und die Situation eskaliert und Marla flüchtet auf Sylt. Von der Mutter als Prostituierte bezeichnet zu werden, bringt das eigene Lebensseil ganz schön ins Schwingen.

Schwarz und gelb

Schwarz und gelb, wie die Augen einer Katze, ist das Realitätsgewitter. Marla will nur Liebe und gekuschelt werden, wie eine Katze. Sie sucht Geborgenheit und Wärme, sicheren Schutz vor der lauten Welt. Die Traurigkeit umspannt sie und Julia Zange stellt uns eine Protagonistin an die Seite, die immer mehr bricht und bricht und letztendlich ganz unten liegt. Und die Welt? Unsere Welt? Die tobt ohne kurz innezuhalten weiter und weiter und ist dabei brandaktuell. Großstadt, Anschläge, Merkel, Emoji Lindt Schokolade, Brexit und unsere Sprache die immer mehr gemischt wird. Wir beginnen den Satz in Deutsch und beenden ihn mit Englisch und dabei vergessen wir ab und an die Tiefe.

Realitätsgewitter hat mir gezeigt, was ich im letzten Jahr wieder und wieder erkennen durfte. Sei kein sozialer Schmetterling, sondern lebe vor allem für dich und die Menschen, die zu schätzen wissen, dass es dich gibt. Sonst wir die Welt zu groß.

Realitätsgewitter ~ Julia Zange

Flop oder Top – weder noch, kann ich sagen. Anfangs suchte ich Provokation im Buch, doch ich fand Marla. Dennoch kenne ich Marla nicht wirklich, ihre Mitmenschen allerdings überhaupt nicht. Der Roman ist wie Marlas Leben. Wild, schnell, einsam, aber auch zäh und nie wirklich richtig tief, denn dafür fehlt einfach die Ruhe, die sich eine Katze längst genommen hätte.

Wer das Realitätsgewitter erlesen hat, wird ein wenig anders denken. Die Welt von der anderen Seite beleuchten, sich selbst neue Fragen stellen und sogar lernen, den Regen- oder Sonnenschirm im richtigen Moment zu öffnen. Also schalt einfach mal das Handy mit allen sozialen Verlockungen aus und begebe dich ins Leben.

Hin und wieder musste ich beim Lesen an Ronja von Rönne mit ihrem Buch Wir kommen denken. Außerdem liebe ich das Wort Realitätsgewitter!

Eure
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