Monat: Februar 2017

Unendlichkeit

Ein bisschen wie Unendlichkeit ~ Harriet Reuter Hapgood

Unendlich schön. Richtig schön. Einfach schön. Mit diesen Worten habe ich das Buch beendet. Lange habe ich kein „Jugendbuch“ mehr gelesen, da ich gerade eine Art „Gegenwartsromanphase“ habe. Bevor ich euch mehr erzähle, erzähle ich euch vom Ende, was auch gleichzeitig der Anfang ist oder doch die Mitte? Ihr werdet gleich verstehen und keine Angst – ich spoiler ganz bestimmt nicht.

„Nimm ein Stück Papier und schreibe darauf: „Um zu erfahren, wie ein Perpetuum Mobile funktioniert, bitte wenden.“ Dann schreibe auf die andere Seite: „Um zu erfahren, wie ein Perpetuum Mobile funktioniert, bitte wenden.“ Lies, was du gerade geschrieben hast. Folge den Anweisungen. Mach einfach weiter.“ (Seite 379)

Unendlich schön. So ein Ende. So ein Anfang. Und nun zum Buch und zwar JETZT. Ohne es überhaupt zu merken, versank ich tiefer und tiefer im Roman, obwohl ich nach den ersten Seiten immer skeptischer wurde. Es braucht Geduld, um in dieses Buch einzusteigen. Geduld die wohl nicht jeder Leser hat. MIch zog es immer tiefer in das Leben von Margot Hella Oppenheimer, auch Gottie gerufen. Die Namen – furchtbar, zumindest für ein 17-jähriges Mädchen, so meine Gedanken und erste Empfindungen. Aber was sind schon Namen, wenn die Geschichte zuschlägt, so ganz langsam und wenn sie zudem aus ihrer anfänglichen Eckigkeit immer runder wird. Sagenhaft. Unendlich schön.

Ein bisschen wie Unendlichkeit ~ Harriet Reuter Hapgood

Lebensformel

Ist ja gut, ich erzähl euch ja schon, um was es ganz grob geht, was mich so bewegt hat und warum ihr es lesen müsst. Gottie versteht die Welt nicht mehr. Es passiert einmal, es passiert zweimal und dann passiert es immer und immer wieder und sie fragt sich „Warum?“. Sie versucht den Grund herauszufinden. Zeitreisen. Rückfälle in die Vergangenheit. Zeitschleifen. Filmrisse. Wurmlöcher. „Es“ hat viele Namen. Vergesst jetzt bitte gleich jegliche Zeitreiseromane. Und NEIN – das Buch hat keine fantastischen Elemente. (Das Cover ist allerdings „fantastisch“. Ich mag es sehr.) Alles ist real, auch wenn es überhaupt nicht so klingt. Vielleicht sollte ich sagen, dass Gottie Tagträume hat, gedanklich in die Vergangenheit flüchtet und viele Dinge einfach noch nicht verarbeitet hat.

Aber mal ehrlich, einige Dinge können wir nicht gleich erfassen, vor allem, wenn es schmerzliche Verluste sind. Wenn man einen Menschen für immer verloren hat, wenn man einen besten Freund, einen Seelenverwandten verliert, ohne genau zu wissen wieso und wenn in der Zeit auch noch der Bruder nicht nur aus- sondern weg zieht. Thematisch überladen und unplausibel? Keinesfalls!

Gottie liegt unter einem Apfelbaum. Es sind Ferien. Und sie stellt fest, dass doch nicht alle Dinge mit einer Formel erklärt werden können. Weder die Liebe, noch die Freundschaft und der Tod erst Recht nicht.

Ein bisschen wie Unendlichkeit ~ Harriet Reuter Hapgood

JETZT

Klingt das jetzt zu überladen oder thematisch zu schwer? Übersetzerin Susanne Hornfeck hat die Worte von Autorin Harriet Reuter Hapgood in ein sagenhaft authentisches Deutsch übersetzt. Wir lesen nicht über Gottie, wir leben mit ihr und sie ist ein Teenager mit allem drum und dran. Worte und Tiefgründigkeit werden mit Leichtigkeit von uns Lesern inhaliert. Wie ihr diese dann in euch verarbeitet, steht auf einem anderen Blatt. Bei mir steht: „Unendlich schön, sagenhaft komplex und doch verständlich und durch und durch emotional nachvollziehbar.“

An dieser Stelle würde ich euch so gern mehr erzählen, so gern, denn ich bin immer noch bewegt und habe bisher kein Buch gelesen, was diese bestimmten Verlustmomente so realistisch wiedergibt, ohne uns mit der Nase in den Schmerzbrei zu drücken. Am Ende steht einfach das Verstehen, das Verarbeiten und vor allem das LEBEN im JETZT. Ihr werdet nicht schwach zurückgelassen, aber ihr werdet „Lachenweinen“ und das tut verdammt gut.

Ihr könnte jetzt aufhören meine Worte zu lesen, denn ihr solltet dringend zum Buch greifen. Die nächsten Worte sind nicht an euch, sondern ans Gottie adressiert. Gottie – als sich dein Wunsch erfüllte, sah ich mich gedanklich bei der kleinen Omi am Bett – ich hatte auch so einen Wunsch. Man bereut Wünsche immer, wenn sie gleichzeitig der Abschied für immer sind und doch für den Menschen selbst, die Erlösung. Nun laufen mir Tränen übers Gesicht. Du hast alles richtig gemacht. Wir haben alles richtig gemacht, wir müssen das nur begreifen und uns dabei unterstützen lassen. Okay – du hast einiges nicht gewusst, was im nachhinein zusätzlich schmerzt.

Ach Gottie – fühle dich umarmt und du bist ein klasse Mädchen, da du nun hier bist. Im JETZT. Ich bin froh dich zu kennen, deine Geschichte zu kennen, denn du bist so verdammt realistisch, so nah und ich würde dich gern mal umarmen.

Eure
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Ein wenig Leben(sgedanken)

Ein wenig Leben ~ Hanya Yanagihara

Dieser Artikel ist nur für mich, Leben(sgedanken) an das Buch. Nicht mehr und nicht weniger, denn dieses Buch kann ich weder empfehlen, noch davon abraten. Und ich möchte es euch auch nicht empfehlen und ich möchte euch auch nicht davon abraten. Zudem verrate ich hier genauso wenig über den Inhalt, wie auf der Seite vom Hanser Verlag.

Danke für euer Verständnis.

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Jeder liest es. Überall wo ich hingucke, sehe ich dieses Buch. Instagram ist regelrecht tapeziert mit Buchbildern. Lesen? Nichtlesen? Eigentlich habe ich keine Zeit für 960 Seiten. Eigentlich würde ich mir die Zeit aber gern nehmen. Blöde Buchhypes. Neugierig bin ich aber. Und dann liegt Ein wenig Leben bei unter einem Pulli auf dem Sofa. Versteckt. Ich soll nicht mehr fluchen und überlegen, denn es ist ja jetzt da.

Binea liest es. Also stürze ich mich ins Buch und freue mich auf die kommenden 960 Seiten, die bei vielen LeserINNEN verdammt viele Tränen erzeugt haben und schockierten und es letztendlich geschafft haben, als DAS Buch des Jahres und DAS Buch überhaupt, hervorzugehen. Nungut, dann mal los.

Ein wenig Leben ~ Hanya Yanagihara

Jude & JB & Willem & Malcolm

Nach über 200 Seiten bin ich immer noch gespannt und warte darauf, was denn nun passieren wird. Was wird schockieren und sich einbrennen. Ich warte und warte und lese und lese. Zwischendurch bin ich etwas gelangweilt, aber dennoch nicht abgeneigt, Hanya Yanagiharas Worten weiter zu folgen. Sie schreibt gut, sie erzählt gern sehr ausschweifend, in langen Sätzen, und ich werde immer vertrauter mit den vier jungen Männern, die sich auf dem College kennengelernt haben und jetzt in New York leben. Alle vier haben es letztendlich geschafft ins Berufsleben einzusteigen. Jude ist Jurist, JB ist Künstler, Willem Schauspieler und Malcom ist Architekt. Vier Männer – eine Freundschaft.

„Freundschaft bedeutete, sich geehrt zu fühlen, dass man einen anderen in seiner größten Verzweiflung auffangen durfte, und zu wissen, dass man selbst in seiner Gegenwart verzweifeln sein durfte.“ (Seite 303)

Hätte ich das Vorwissen nicht, dass das Buch gehypt wird, dann hätte ich es wahrscheinlich schon nicht weiter gelesen. Sowas passiert mir selten und letztendlich weiß ich nicht, ob ich es gemacht hätte, aber ich hätte es gewiss unterbrochen und ein anderes Buch dazwischen geschoben. Meine Neugierde war einfach zu groß, außerdem merkte ich, dass mir die vier immer mehr ans Herz gewachsen sind. Ich wollte bei ihnen sein, wobei, ich wollte mehr bei Jude und Willem sein, denn JB und Malcolm drifteten immer mehr in den Hintergrund ab. Anfangs ging es um alle vier recht gleichmäßig, dann kristalisierten sich die zwei benannten heraus.

Ein wenig Leben ~ Hanya Yanagihara

Instagram & Leben(sgedanken)

Ein weiterer Punkt, der mir beim Lesen sehr viel Freude bereitete, war der Austausch auf Instagram. Nie zuvor habe ich mit so vielen Menschen parallel im gleichen Buch gelesen. Das ist wohl der richtig positive Effekt bei einem Buch was in aller Munde ist. Über Direktnachrichten, aber auch unter vielen Bildern, wurde spoilerfrei geschrieben. Ein echter Pluspunkt und gleichzeitig ein völlig neues Lesegefühl.

Und dann ging es los. Dann kam ich zu der Stelle, in der die Schmerzen begannen. Und als ich versuchte mit den Schmerzen umzugehen, kamen neue dazu. Immer und immer wieder und ich musste das Buch weglegen. Ich habe mich geekelt, ich war kurz davor mich zu übergeben. Gleichzeitig wollte ich Jude nicht alleine lassen, ihm weiter zu hören, ihm beistehen, ihm Schmerzen nehmen und ich musste weiter lesen. Während ich das schreibe, spielen sich sämtliche Szenen vor meinem inneren Auge erneut ab und ich habe Schmerzen. Ja, die habe ich. Sie kommen aus dem Buch, sie kommen aus dem eigenen Leben, sie kommen von Freunden, von Bekannten. Jeder Leser wird merken, dass die Schmerzen auch Schmerzen aus dem eigenen Leben dazuholen. Das ist Literatur, sie greift uns an, sie macht uns nackt und Literatur darf das, soll das dürfen.

Schock & Schmerz

Doch Jude fügt sich auch selbst Schmerzen zu. Selbst als er schon ein erwachsener Mann ist und sogar dann bekommt er die Schmerzen erneut zu spüren, die er als Kind schon zu spüren bekommen hat. Ich könnte jetzt weiter und weiter schreiben, da ich merke, dass es jetzt erst alles raus kann. Es arbeitet noch in mir und ich gestehe, dass ich nicht geweint habe. Ich war zu schockiert, stellenweise habe ich geahnt, dass es so wird, wie es letztendlich geworden ist und jetzt – jetzt weine ich. Jetzt. Erst. Diese unerschütterliche Gewalt wirkt nach und bringt einfach an die Grenze des Ertragbaren.

Ja, man will über das Buch reden, aber nicht erst hinterher, sondern auch zwischendurch. Es kommt die Frage auf, ob dieses Buch nicht eigentlich eine „Triggerwarnung“ verdient, weil es eben richtig heftig ist. Vielleicht würde diese spoilern, aber sie wäre hier vielleicht ein hilfreicher Schutz.

Puh, was habe ich noch zu sagen. Ich mag das Buch, auch wenn es furchtbar ist. Ich konnte für mich selbst einiges mitnehmen. Mir bestimmte Dinge klar machen, so will ich es formulieren. Nun, ich könnte es aber auch etwas schlecht machen, denn so viel Leid, wie Jude erfahren ist, kann niemandem erfahren. Nicht so intensiv, zeitlich so lang und immer wieder. Eine literarische Übertreibung, das hoffe ich einfach. Ich könnte sagen, dass ich nicht alle vier, sondern nur zwei richtig intensiv nach diesen 960 Seiten kenne und ich könnte sagen, dass alle vier einen Lebensstandart haben, der in Betracht aller Hintergründe, nicht völlig plausibel ist.

Ein wenig Leben ~ Hanya Yanagihara

Hell & dunkel

Aber ich möchte das nicht, ich möchte nicht bemängeln, auch nicht die Vorhersehbarkeit, die manchmal da war. Ich möchte das Buch so lassen, nicht anzweifeln, nicht unzufrieden sein. Es ist besonders, so viel steht fest und ich staune über mich selbst, dass ich während des Lesens nicht geweint habe. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch und gerade das Thema zerrt an meinen Nerven und belastet und die Gedanken darüber können nicht schnell auf Seite gepackt werden. Ich schiebe es einfach auf den Schock und den Ausgleich, denn das Buch ist nicht nur dunkel, es wird tatsächlich mitten in der Finsternis ein wenig hell. Richtig schön ist die lebenslange Freundschaft. Klar, es gibt Zeiten die sind nicht so intensiv, aber egal wie, die Freundschaft war immer da. Und die Liebe auch.

„Ich glaube, der Trick bei Freundschaften besteht darin, Menschen zu finden, die besser sind als man selbst – nicht klüger, nicht cooler, sondern liebenswürdiger und großzügiger und nachsichtiger -, und sie dann für das wertzuschätzen, was sie dir beibringen können, und ihnen zuzuhören, wenn sie dir etwas über dich sagen, ganz egal wie schlecht – oder gut – es ist, und ihnen zu vertrauen, was der schwierigste Teil ist. Aber auch der beste.“ (Seite 284)

Das Glück war zum Greifen nahe, die Euphorie war da, die Hoffnung war groß. Doch es kam der Punkt, an dem ich losgelassen habe, an dem ich begriffen habe, dass man nicht alle Menschen retten kann. Die für mich wohl größte und schlimmste Erkenntnis. Im Buch und im Leben. Manche Kämpfe sind von Anfang an erfolglos, egal was man tut. Auch Andy und Harold und die anderen Herzmenschen mussten einsehen.

„Er wusste, er würde ihn nie heilen können. …seine Aufgabe war nicht, ihn wieder gesund zu machen, sondern in weniger krank zu machen.“ (Seite 759)

Richtig schön ist die Offenheit. Liebe, Freundschaft, egal ob gleichgeschlechtlich oder nicht, egal welche Hautfarbe, findet Platz, wird nicht kommentiert und als selbstverständlich angesehen.

50% Langatmig & 50% schnell

Anfangs noch langatmig, dann wahnsinnig schnell. Ab der Mitte des Romans beschleunigte ich mein Lesen immer mehr und stellte gleichzeitig fest, dass es die anfängliche Langsamkeit brauchte. Hanya Yanagihara hat gerade durch das weite Ausholen, tiefe Anker in uns gesetzt und viele Kleinigkeiten und Geschichten aus der Kennenlernphase zum Schluss hervorgeholt und damit unser Herz getroffen wie der Dartpfeil das Bulls Eye. Sagenhaft.

Der Roman hat einfach alles und im Nachhinein wird mir immer mehr bewusst, wie viele Facetten er beinhaltet. Es arbeitet in mir und wie. So viel Liebe, so viel Schmerz, , so viel Schuld, einfach viele Extreme – fiktiv und realistisch, über- und untertrieben, aber doch sowas von menschlich.

960 Seiten die fest umarmen, aber auch fest in den Arsch treten.

Und nun? Ich weine, seufze und denke und weine und seufze und denke…

Schaut gern bei pinkfisch und Literatourismus vorbei, wenn ihr von viel Gefühl und spoilerfreiem Inhalt lesen wollt.

Eure
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Luana

Luana ~ Luiza Sauma

Wenn es dir so wie mir geht, dann greife zu Luana.

Ich suchte ein Buch, was mich weit weg bringt, was mich tief in ein anderes Leben versetzt und mich richtig gut unterhält. Ein wenig vorhersehbar ist, Überraschungsmomente in sich trägt und ganz viel Leben mit dunklen und hellen Momenten in sich hat. So ein rundum Paket, was gut tut und gleichzeitig berührt.

Luana

Aber alles begann eigentlich mit dem Brief der mich erreichte. Der Brief mit dem der Roman beginnt…

„Lieber André,

vor ein paar Wochen habe ich zum ersten Mal im Internet nach Dir gesucht. Es war kinderleicht, Dich zu finden. … Denkst du manchmal an uns? … Ich werde Dir wieder scheiben. Ich habe dir eine Menge zu erzählen. Ich werde Dich warten lassen, so wie Du uns hast warten lassen.“

Seid ihr jetzt auch so neugierig wie ich es war, als ich den Brief / das Buch in den Händen hielt? Ich konnte kaum abwarten zu erfahren, wer Luana ist, warum sie jetzt erst schreibt und vor allem, warum sie so schreibt, wie sie schreibt. Ich möchte wissen, wer sie warten lassen hat und warum derjenige jetzt warten muss…

Luana ~ Luiza Sauma

Rio de Janeiro / London

Andrés lebt inzwischen in London. Seine Kindheit verbrachte er in Rio de Janeiro, aber das ist schon lange her. 1985 verlor er seine Mutter bei einem Autounfall, auch das ist schon lange her. Nun ist er Vater zweier Töchter und hat eine Frau. Doch sein Leben ist kein ruhiges Leben, es ist im Umbruch und mitten in dieser Zeit erreicht ihn ein Brief von Luana.

Luana – lange ist es her, 30 Jahre sind eine verdammt lange Zeit. Gedanklich reist André zurück in seine Jugend, nach Rio de Janeiro und denkt an Luana, das Dienstmädchen in das er sich damals verliebte. Eine heimliche Liebe, eine unmögliche Liebe.

Klingt das jetzt irgendwie verkitscht oder nach einem typischen Liebesroman im Stil von „In der Jugend verliebt, getrennt, jeder glücklich mit seinem Partner bis zum Tag x, man trifft sich wieder, verliebt sich erneut und wird glücklich bis ans Lebensende?“

Oh nein, da liegt ihr hier ganz weit daneben. Wer sich so einen Roman erhofft, wird enttäuscht. „Luana“ von Luiza Sauma (Hoffmann und Campe) hat eine tiefgründig angelegte Geschichte zu erzählen. Sie bringt uns nach Rio de Janeiro und stellt uns Luana und André in jungen Jahren vor und zeigt uns, dass hinter so einem Brief ganz viel mehr stecken kann. Nicht nur Luana, auch André hat uns viel zu erzählen.

Luana ~ Luiza Sauma

Schwarz-weiß & bunt

Jede Seite habe ich genossen. Wirklich jede der 302 Seiten.

Schon der Anblick des Covers entführt uns weit weg. Autorin Luiza Sauma schreibt schwarz-weiß, um dann diese Worte mit bunten Nuancen anzureichern, so mag ich es ausdrücken. Sie färbt uns ihre noch farblosen Protagonisten immer weiter ein und lässt uns schließlich sehen, welche Erlebnisse in beiden schlummern. Sie teilen viele gleiche Momente und auch Geheimnisse miteinander, aber nicht alle.

Luana hat sich in mein Herz geschlichen, genau wie André. Ich habe mit beiden mitgefiebert, versucht zu verstehen, letztendlich verstanden und schwer daran geknabbert. Aber ich habe mich auch gefreut, gelacht und einfach den Sommer, allgemein das Leben in Brassilien, genossen.

„Du warst zu jung, um zu wissen, was du tatest und ich war zu jung, um dich davon abzuhalten.“ (Seite 298)

Eine große Geschichte die berührt, eine Geschichte die gelesen, gelebt, geliebt und genossen werden will.

Eure
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Suleika öffnet die Augen

Suleika öffnet die Augen ~ Gusel Jachina

Suleika öffnet die Augen.

Als ich die Augen öffnete und mit diesen die ersten Worte des Romans berührte, konnte ich nicht mehr atmen. 45 Seiten lang hielt ich förmlich die Luft an, genau wie es mir Arndt von Astrolibrium vorher gesagt hatte. Die geballte Ladung Leben ließ mich erstarren, die geballte Ladung Gefühl im Buch verharren. Was für ein starker Auftakt eines Romans. Autorin Gusel Jachina hat mich sofort an Suleikas Seite geholt, nein, noch näher. Sie hat mich zu Suleika gemacht und intensiv spüren gelassen, wie wertlos ich bin.

Über 500 weitere Seiten lagen nun noch vor mir, welche ich nicht einsam und still laß. Nein, ich machte mich vorwiegend gemeinsam mit Arndt auf die Reise ins kalte Sibirien. Mal ging ich hinter ihm her, dann lief ich vor und markierte den Weg und letztendlich kamen wir gemeinsam am Zielort an. Wir gingen nicht freiwillig, aber wir versuchten das beste daraus zu machen und sammelten unsere Kräfte, um das kommende Leben zu ertragen.

Schon über 15 Jahre weilt die erst 30-jährige Suleika an der Seite ihres Mannes und somit auch an der Seite ihrer furchteinflößenden Schwiegermutter, der alten Hexe, der Upyricha.

Suleika öffnet die Augen ~ Gusel Jachina

Suleika funktioniert

Sie muss sich beugen, sie muss gehorchen, sie muss funktionieren. Eigene Entscheidungen konnte sie in ihrem Leben kaum treffen, für sie wurde entschieden. Bei allen Tätigkeiten spürte sie den scharfen Blick der Upyricha in ihrem Rücken, hörte die bösen Worte in ihren Ohren. Suleika öffnet die Augen von Tag zu Tag und verrichtet immer wieder die gleichen Dinge, oftmals zur gleichen Tageszeit. Auch die Taubheit und Blindheit konnten die Alte nicht verändern, sie blieb übermächtig und führte Suleika unermüdlich vor, wie sie sie hasste.

„Du kannst überhaupt nichts. Weder schlagen, noch töten, noch lieben. Die Bosheit schläft tief in deinem Inneren und wird nie mehr aufwachen. …du bist und bleibst ein nasses Huhn.“ (Seite 39)

Ein Schuss erlöste Suleika aus ihrem Alltag. Ein Rotarmist erschießt ihren Mann und Suleika öffnet ihre Augen und blickt auf ein völlig neues Leben. Ein besseres Leben? Sie ist allein am Anfang eines neuen Weges. Sie wird deportiert und wir begleiten sie.

Doch nicht nur wir und Suleika kommen in Sibirien an, auch Iwan Ignatow, besagter Rotarmist. Auch er hat ein Schicksal zu tragen. Ein Charakter den wir beide fest ins Herz geschlossen haben.

Suleika öffnet die Augen ~ Gusel Jachina

Sibirien

Autorin Gusel Jachina beschreibt sehr bildhaft, wie es in Sibirien aussieht, sie beschreibt detailliert, was zu tun ist, um in der Kälte anzukommen und Behausungen zu errichten. Doch nicht nur die Umgebung und die Menschen beleuchtet sie, auch deren Gefühle und besondere Ereignisse, die wir miterleben dürfen. Regelrechte Wunder – ein neues warmes Leben auf altem kaltem Grund. Doch wir erleben auch Wunder in hohem Alter, eine Wiedergeburt eines Arztes, die uns Tränen in die Augen trieb. Aber auch Wunder der Kunst, welche uns sehr bewegt haben.

Gusel Jachina entfaltet genau dort Emotionen, wo wir sie am wenigsten erwarten. Einige Längen gehören in den Roman, aber diese werden auch gebraucht, denn das Leben dort ist nicht schnell, es entschleunigt uns Leser und am Ende des vierten Teils werden wir belohnt und werden Zeuge davon, dass es auch an kalten Orten ein klein wenig Wärme gibt.

Wir dürfen so einige Überraschungen erleben, aber auch Suleika selbst. Mehr möchte ich nicht verraten, den aus meiner Sicht verrät der Klappentext schon viel zu viel. Ich habe ihn erst im Nachhinein gelesen, vielleicht haltet ihr es auch so.

Suleika öffnet die Augen ~ Gusel Jachina

„Die Freiheit ist wie das Glück…den einen schadet sie, den anderen nützt sie.“ (Seite 200)

Zieht euch warm an, bevor ihr die ersten Seiten lest. Festes Schuhwerk, warme Sachen und nehmt viel innerliche Wärme mit, denn die werdet ihr brauchen. Vielleicht habt ihr auch einen Lesekompass und ihr lest gemeinsam, so wie wir. Lasst euch in diesem Werk fallen, wenn ihr eine starke Frau namens Suleika kennenlernen, die unberührte Natur Sibiriens spüren und euch der Rauheit zwischen von Stalin Ausgesiedelten Menschen stellen wollt.

Mein absolutes Lieblingszitat möchte ich euch noch mit auf den Weg geben.

„Im Herzen wohnt das Gefühl, nicht die Vernunft.“ (Seite 432)

Eure
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