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Literatwo hat sich das Schreiben „Gegen das Vergessen“ auf die literarische Fahne geschrieben. Bücher, die geschrieben wurden, um uns die Vergangenheit vor Augen zu führen und die dafür Sorge tragen, dass Begriffe wie Holocaust, Genozid, Deportation und Verfolgung nie in Vergessenheit geraten, stehen hierbei im Vordergrund.

Sie bilden für uns die Ausgangssituation, ein neues Aufflammen solcher Ideologien schon in unserem Denken für alle Zukunft einzudämmen und viele dieser Neuerscheinungen oder Klassiker sollten zur Pflichtlektüre in unseren Schulen erhoben werden, da sie nicht nur stilistische Meisterwerke sind, sondern eine Botschaft transportieren, an der man nicht achtlos vorübergehen darf!

Mit dem Roman „Als gäbe es einen Himmel“ von Els Beerten nähern wir uns diesem Herzensanliegen diesmal von einer Seite, die für diktatorische Systeme idealtypisch ist. Die Beeinflussung Jugendlicher, ihre Verführung und die kollektive Verblendung sowie die lebenswichtige Entscheidung zwischen Mitlaufen, Kollaborieren oder Widerstand sind die zentralen Themen des zeitlos bewegenden Jugendbuches.

Ich habe meine Freunde nie verraten.
Wer das dennoch tat, wurde schwer bestraft.
Denn man überlebt dank der Freunde.

Und nicht trotz seiner Freunde…

Kein Zitat aus dem Roman „Als gäbe es einen Himmel“ trifft den Kern der geschilderten Geschehnisse treffender – kein Satz bleibt länger im Gedächtnis als dieser.

Belgien kurz nach der Besetzung des Landes durch deutsche Truppen im zweiten Weltkrieg. Die Geschwister der Familie Claessen leben im wohlbehüteten Kokon einer kleinen Schutzinsel namens „Wegschauen“ und „Nicht Auffallen“. So versucht der Vater seine kleine heile Welt zu bewahren. Verbunden durch die gemeinsame Leidenschaft zur Musik und im Kontakt mit den Angehörigen des kleinen Orchesters muss die kleine Familie allerdings schnell realisieren, dass ihre geschlossene Gemeinschaft im Dorf so langsam zu bröckeln beginnt.

Das nationalsozialistische Gedankengut beginnt wie ein Spinnennetz zu wuchern und um den Kokon der Familie einen zweiten zu legen, der umso undurchdringlicher scheint, je mehr Zeit ins Land geht. Es wird eng im Dorf. Das Misstrauen geht auf wie eine gut gedüngte Saat.

Mitläufer, Kollaborateure und die Widerstandsbewegung stehen in härterem Kampf gegeneinander, als ein vereinigtes Belgien der Flamen gegen die Deutschen stehen könnte.

Die Strategie der Machthaber scheint aufzugehen. Nur die Familie Claessen versucht allen äußeren Einflüssen zu trotzen. Bis Ward erscheint. Ein brillanter Saxophonist, der mit seiner Mutter ins Dorf kommt. Er ist so anders, faszinierend und charismatisch. Bei einer Orchesterprobe lernt er die Geschwister Claessen kennen.

Er bringt das Leben der Familie durcheinander. Die Tochter Renée verliebt sich in ihn, der ältere Bruder Jef wird zu seinem Weggefährten und der jüngere Bruder Remi träumt davon, Wards bester Freund zu werden, wenn er nur endlich älter wäre. Doch besonders an Ward gehen die Parolen der NAZIS nicht spurlos vorüber und aufgestachelt durch Lehrer und die gemeinsame Angst vor einem noch viel mächtigeren Feind aus dem Osten, beschließt er, seine Zukunft in die eigene Hand zu nehmen und auf Seiten der Deutschen gegen die Russen zu kämpfen. Er wählt den Weg in die Waffen-SS.

Eine Entscheidung, die beide Kokons der Familie zu zerreißen droht. Denn im Widerstreit der unterschiedlichen Parteien ist ein behütetes Zuschauen nicht mehr möglich und jede individuelle Entscheidung ist eine für oder gegen das eigene Land – und auch eine Entscheidung für oder gegen Ward. Und eine Entscheidung gegen Ward ist die Entscheidung für den Widerstand.

Alles entscheidet sich in einer einzigen Nacht – alles gipfelt in einer Katastrophe – alles verändert sich in der Stunde, in der Besatzer und die Resistance aufeinandertreffen und Jef zum Helden wird…. Zumindest aus Sicht der Widerstandsbewegung.

Als gäbe es einen Himmel…. Als gäbe es jenen Himmel, zu dem jeder betet, den jeder in seinen gequälten Stunden sucht, an den jeder seine Hoffnungen richtet und der sich doch für alle Beteiligten so sehr zu verdunkeln scheint. Als gäbe es jenen Himmel, versucht jeder seinen Weg durch die Katastrophe des Krieges zu finden… aber es gibt keinen Himmel im Belgien der Jahre 1940 – 1945. Es gibt nur Wolken und Blitze, Donner und Niederschlag. Es gibt keinen Himmel – zumindest keinen gemeinsamen.

Ein multiperspektivischer Roman, der gerade durch die wechselnden Sichtweisen die Dynamik des Lebens in einem zerrissenen Dorf hervorhebt. Jeder kommt zu Wort – jeder sieht das Geschehen nur aus seiner Sicht und jeder erkennt nur seine Wahrheit. Wir Leser besitzen das Privileg das Prismenglas dieser Perspektiven scharf stellen zu können und im brutalen Fokus der gebündelten Lichtstrahlen der einzelnen Handlungsstränge die EINE Wahrheit zu erkennen, die zum völligen Desaster führt.

Ein großer Roman über Vorverurteilung, Heldenverehrung und ein Leben in der letzten Konsequenz der eigenen Entscheidung. Ein großes Buch der Missverständnisse und vertanen Chancen. Ein wichtiges Buch. Es trägt dazu bei, sich über den Gräbern von einst die Hand zu reichen… Ein nicht zu unterschätzender Beitrag, den die Literatur heute zu leisten vermag!

5 Comments on Als gäbe es einen Himmel…

  1. Hallo Bini,

    eine tolle Rezi und das Buch wandert gleich mal auf meine Liste.
    Hoffentlich findet es die Leser, die es verdient und noch ein paar mehr….so wichtig!!!

    Liebe Grüße
    Anja

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