Eurotrash ~ Christian Kracht

Zugegeben, einem Christian Kracht habe ich mich lesend bisher nie genähert. Selbst im Buchladen hätte mich das Cover nicht zum Zugreifen eingeladen. Geschmäcker sind eben verschieden und das Covermotiv „Man with Cherries“ von Karien Deroo macht auf mich keinen sympathischen Eindruck. Aber das ist meine subjektive Meinung. Viel härter als das Cover haben mich die Antworten der Literaturszene auf meine Fragen: „Was erwartet mich denn beim Kracht? Wie ist der Kracht denn? Was ist deine Meinung zum Kracht?“, getroffen. Das vermehrte Echo schmetterte mir entgegen, dass er ein weißes, privilegiertes und arrogantes A… ist. Ups, na prima. Wirklich? Darf ich das hier überhaupt schreiben?

Ich begleite sein Buch unter dem Hashtag #buchpreisbloggen bis zum Buchpreis, schwerer hätte mich das Los wohl nicht treffen können. Und doch lockten mich diese Worte ganz neugierig zwischen die Seiten. Wer ist dieser Kracht? Schließlich hat er es auf die Longlist geschafft…

Eurotrash

Ich bringe es gleich vorweg, dabei ist es mir erst nach den 224 Seiten aufgefallen. Der Klappentext entspricht 1:1 dem Beginn des Romans. Wie einfallslos und kreativ zugleich und einen Roman mit „Also“ zu beginnen, ist mir direkt sympathisch. Nach den ersten Zeilen konnte ich mich immer noch nicht ganz auf den Inhalt konzentrieren, da Kracht in der alten Rechtschreibung schreibt. Ob das in Verbindung mit seinem Roman „Faserland“ steht, kann ich nicht beurteilen. Dieses Stilmittel ist befremdlich und abenteuerlich zugleich. Und dann die meterlangen Sätze – grandios!

Doch viel wichtiger – hat Kracht mich überzeugt und über was schreibt er in „Eurotrash“? Korrekt, wie der Name schon sagt, schreibt er über den Müll der Europäer, über ihr Verhalten und ihren Lebensstil. Ganz korrekt wird es, wenn ich ihn zitiere, denn im Roman selbst macht sich seine Mutter darüber Gedanken, was wäre, wenn der Taxifahrer ihre Gespräche, die sie innerhalb der 12 Stunden geführt haben, in einem Roman niederschreiben würde:

„Wen würde das denn interessieren? Eine Geschichte, in der absolut gar nichts passiert, außer daß sich eine alte Frau ab und zu mit ihrem Sohn streitet.“ (Seite 197)

Eurotrash ~ Christian Kracht

Roadtrip durch die Schweiz

Ganz so schlicht ist der Roman natürlich nicht und für uns Leser*innen passiert eine ganze Menge. Der Unterhaltungsfaktor ist hoch, denn Krachts Mutter ist einfach liebenswert mit ihrer schrägen Art, die weder ihre Tablettensucht noch ihr Alkoholproblem einschränkt. Von ihrem Stoma ganz abgesehen, welches als Running Gag regelmäßig einen Platz zwischen den Themen findet. Und Christian Kracht ist auch nicht ohne, selbst wenn das Kleingedruckte zu Beginn des Romans sagt, dass die Figuren, ihre Eigenschaften, ihre Handlungen und die Ereignisse und Situationen, die sich dabei ergeben, fiktiv sind. Who knows…

Also, Christian Kracht oder eben der Ich-Erzähler begibt sich mal wieder auf den Weg in die Schweiz, genauer nach Zürich, die Stadt der Angeber und der Aufschneider und der Erniedrigung (Seite 13), zu seiner Mutter. Mit ihr gemeinsam startet er einen Roadtrip durch die Schweiz an einen ganz entscheidenden Ort. Die Reise selbst ist es, die das bisherige Leben von Sohn und Mutter gnadenlos und oft hartherzig offenlegt. Beide reisen nicht nur körperlich an Orte aus ihrer Vergangenheit, sondern reisen durch ihre Erinnerungen, ungeschönt und robust offen. Die Familiengeschichte taucht an die Oberfläche und wird umleuchtet, beleuchtet und durchleuchtet. Krachts Gedanken über sein Leben, sein Umfeld, seine Gefühle und seinen Roman Faserland finden Platz zwischen den Seiten. Und er kann es nicht lassen, sich selbst auf die Schippe zu nehmen, sich selbst neu zu entdecken und Humor in Sätze zu pressen, was ihn sympathisch macht. Nicht zu vergessen – Geld regiert die Welt.

Mutter und Sohn

Tiefgründig wird es immer dann, wenn Geheimnisse oder Vorfälle ans Licht kommen, die Mutter und Sohn bisher voreinander geheim gehalten oder schlichtweg nie erfahren haben. Wie die Vergewaltigung der Mutter. Das großspurige Leben des Vaters findet einen Platz gleich neben der großen Plastiktüte mit Geld, die die beiden bei sich tragen. Aber auch Krachts Kindheit und die NS-Zeit werden thematisiert. Mutter und Sohn ergründen sich selbst und gegenseitig. Große Zeitsprünge finden zwischen den Gesprächen statt, treffen auf eine im Vergleich kurze Reisezeit mit dem Taxi. Die Krönung der Gespräche sind die Geschichten, die der Ich-Erzähler nach Aufforderung seiner Mutter immer wieder erzählt und die Überraschungen, die sich aus den Dialogen immer wieder herauskristallisieren. Nicht zu vergessen – die ausufernden Sätze und die bildlichen Beschreibungen, die seine Worte überkronen. Die Gespräche mit dem Taxifahrer und natürlich die Erlebnisse an ihren Raststationen, dürfen nicht unerwähnt bleiben.

Aber jede Reise hat schließlich ein Ende und an diesem Ende merkte ich, dass mich Kracht tatsächlich mit seiner Geschichte berührt hat.

Eurotrash ~ Christian Kracht

Christian Kracht

Es ist nicht gelogen, dass mir der Einstieg in Krachts Roman schwerfiel, was ich inzwischen auf die Mischung aus Unkonzentriertheit, Respekt und Schlafmangel zurückführe. Nach den ersten zwei Kapiteln konnte ich mich kaum von „Eurotrash“ (Kiwi) trennen, da ich beide Charaktere sofort in mein Herz schloss. Vor allem, weil weder der Erzähler, noch seine Mutter pflegeleicht in ihren Denk- und Lebensweisen sind. Sperrig kompliziert und doch sympathisch trifft es am besten. Der herausstechende Sarkasmus setzt dem Roman die Haube auf.

Und wie ist der Kracht nun? Gut! Ja, er ist wirklich gut. Mr. Kracht hat mich wahrlich gut unterhalten, ich habe mich regelrecht amüsiert und gespannt verfolgt, was auf dem Roadtrip alles passiert. Zudem habe ich ständig gemutmaßt, welche Sätze nicht fiktiv sind, wo Mr. Christian Kracht, wie er sich auf seinem Instagramkanal nennt, zu finden ist. Ich habe es regelrecht genossen, auf seinen Worten zu schwimmen, mich treiben zu lassen und immer wieder über verschiedene Situationen zu lächeln. Genau wie ich es genossen habe, über plötzlich hochtrabende Worte zu stolpern und auf flapsigen Floskeln auszurutschen. Es wäre nicht richtig, wenn ich sagen würde, dass ein Platz auf der Shortlist unverdient ist. Am 21. September wissen wir mehr.

Shortlist?!

P.S. Ich bin glücklich mit meinem Patenbuch und letztendlich ist mir egal, wer wie über Mr. Kracht denkt. Sein Roman hat mich mit seiner komplizierten Einfachheit überzeugt und unterhalten. Darauf kommt es mir persönlich an. Also, zugreifen, lesen und den Deutschen Buchpreis mitverfolgen!

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1 Comment on Deutscher Buchpreis ~ Kracht auf der Longlist

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