Milchmann ~ Anna Burns

Heute ist der Tag, an dem ich nun endlich über den Milchmann reden mag und auch kann. Tja, „Milchmann“ von Anna Burns, was für ein Roman. Bedruckt mit „Weltbestseller“, „National Book Critics Circle Award 2018“, „Man Booker Prize 2018“, „Orwell Prize for Political Fiction 2019“ und Metro zitiert „Brillant. Die beste Booker-Preisträgerin seit Jahren“. Da wachsen die Erwartungen ins Unermessliche, vor allem wenn man als Leser weiß, dass es zudem große Marketingkampagnen geben wird. Der Roman ist nämlich eines der literarischen Ereignisse des Jahres.

Okay…

„Der Tag, an dem Irgendwer McIrgendwas mir eine Waffe auf die Brust setzte, mich ein Flittchen nannte und drohte, mich zu erschießen, war auch der Tag, an dem der Milchmann starb.“ (Seite 7)

Ein recht guter Beginn? Ja, aus meiner Sicht schon. Und ja, er ist auch gewöhnungsbedürftig, aber das muss ja nicht zwangsläufig schlecht sein.

Milchmann

Anna Burns schreibt von irgendwo im Nirgendwo, in einer Stadt in Irland. Namen sind und bleiben Schall und Rauch. Die 18-jährige Frau, die Protagonistin, hat viele Geschwister, sie selbst bezeichnet sich als Mittelschwester und sie liebt es, lesend durch die Straßen zu laufen. Dieses Merkmal zeichnet sie aus, für sie ist es ein Genuss, ein Abtauchen, „absichtlich nichts wissen wollen“ und sie erregt mit diesem Alleinstellungsmerkmal das Interesse der Stadtbewohner. Sie zieht die Aufmerksamkeit des echten Milchmanns auf sich, der kein Milchmann ist?!, und löst damit einen Strudel von Gerüchten aus.

Milchmann ist alt, hartnäckig, gefährlich und verhält sich wie ihr Schatten. Doch viel schlimmer ist das wachsende Interesse an ihrer Person, das Geschwätz der Stadtbewohner, die zwischen ihr und ihm eine Beziehung sehen und diese immer weiter ausschmücken. Ein Fantasiegerüst das große Gefahr innehält und in den Büschen bei den Stauteichen und in der vergangenheitausgebomten Zehnminutengegend ertönen die Geräusche von Kameras. „Klick“. Doch wo nichts passiert, gibt es kein Opfer. Korrekt?!

Namenslose Charaktere

Es gibt Vielleicht-Freund an ihrer Seite, es gibt falsche Religionen, es gibt Schwager, es gibt das Tablettenmädchen. Es gilt sich als Frau unterzuordnen und es gibt Kämpfe in der Stadt, in der es Staatsverweigerer und Staatsbefürworter gibt. Widerstand liegt im dunklen Heimatort in der Luft. Ihre Mutter schwimmt auf der Welle der breiten Masse mit. Frauen haben zu heiraten und möglichst schnell Kinder zu gebären. Sich zu unterwerfen ist vorbildlich, Liebe ist nebensächlich, die Falsche-Partner-Sache ist Fakt. Ihre Mutter sieht in ihr das bindungs- und hemmungslose leichte Mädchen, wirft ihr verächtliche Worte an den Kopf und hat nicht das geringste Interesse an ihr. Sie glaubt den Gerüchten und hilft, diese weiter zu schüren.

Milchmann ~ Anna Burns

„Das Leben hier, sagte Echter Milchmann, muss einfach in Extremen gelebt und gestorben werden.“ (Seite 188)

Anna Burns hat mich immer wieder gepackt und genauso schnell fallen gelassen. Warum ich den unbequemen Roman letztendlich doch bis zum Ende gelesen habe, kann ich mir selbst nicht erklären. Er ist weder einfach geschrieben, noch gut zu verstehen. Die 452 Seiten verlangen hohe Konzentration und wirklich viel Durchhaltevermögen. Einige Sätze haben mich regelrecht dazu verleitet, dem Buch das Fliegen zu lernen. Es gibt eine Seite mit Sätzen, die bspw. fast durchgehend auf „sagte er“ enden. Die Sprache selbst ist kompliziert und doch einfach. Viele Sätze haben den gleichen Rhythmus und sind mehrere hundert Wörter lang.

Wahrscheinlich wollte ich nicht akzeptieren, dass ich nicht verstehen kann, warum dieser Roman so viele Auszeichnungen erhalten hat. Ich suchte den Fehler in mir, gab Anna Burns immer wieder die Chance, mich zu überzeugen, was nur ruckartig klappte.

KLICK

Immer wieder kehrte ich in die Dunkelheit zurück, um nach der namenlosen Frau zu schauen. Ich preschte lesend vorwärts und freute mich, dass ich endlich entflammt war. Doch dann erlosch das Feuer, ausschweifende Rückblenden ohne wirkliche Bewegungen, Geschichten über das Stadtbild und die Stadtbewohner, ließen mich fast über den Worten einschlafen. Ich langweilte mich, schüttelte den Kopf, war richtig genervt, um dann wieder mit einem „Klick“ zu erwachen und sehr spannende und aufreibende Seiten vorzufinden. Ich kann nicht sagen, was mich am Lesen hielt, ich kann nicht ausführlich wiedergeben, um was es in Milchmann geht, dazu geht es um zu viel…

„Milchmann“ (Tropen) ist ein nerviger, außergwöhnlich anstrengender Roman, in dem wenig passiert, aber trotzdem weit ausgeholt wird. Wie gemacht für einen Lesekreis, denn Gesprächspotenzial ist definitiv vorhanden. Burns Worte sind dunkel, bedrückend und für ihre junge Protagonistin gibt es keinen Anker, sie ist sich selbst überlassen und versucht, ein selbstbestimmtes Leben in einer verstörenden Stadt, mit einer haltlosen Familie und einem anstrengenden Umfeld, zu führen. Das Ende des farblosen Romans,  hatte es dann doch ein wenig ins sich.

Anna Burns hat in mir zwar immer wieder das Lesefeuer entfacht, sie hat es aber nicht durchgehend aufrecht erhalten können. Ich fühlte mich lesend wie eine Kerze im Wind. An. Aus. An. Aus. Aus. Aus.

Eure
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