Schlesenburg ~ Paul Bokowski
Schlesenburg ~ Paul Bokowski

Schlesenburg – na endlich, der erste Roman von Paul Bokowski ist da. Folge ich ihm doch schon lange auf Instagram und sofort war mir klar, dass ich die Burg unbedingt selbst erkunden muss. Kein leichtes Abenteuer, aber ein Abenteuer, was sich auf jeden Fall gelohnt hat!

Schlesenburg

Es ist nicht schlimm zu sagen, dass mir der Einstieg in den Roman nicht so leicht fiel, da ich einen roten Faden erhofft habe, den ich so nicht fand. Wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden, kann das für einen Roman unglücklich enden. Anders bei Bokowski, denn schnell merkte ich, dass ich mich darauf einlassen muss, dass mir die junge Erzählstimme – der Junge auf dem Cover? – das erzählen wird, wonach ihm ist, ganz egal in welcher Reihenfolge. Es sind die Erinnerungen, die in seinem Kopf wahllos abgerufen werden, wir kennen das alle, vor allem dann, wenn wir uns an unsere Kindheit zurückerinnern. Es flimmern Szenen auf, wir versuchen uns an genaue Wortlaute und Abläufe zu erinnern. Und genau das macht der kleine Bokowski, der sich hier nicht genau zu erkennen gibt. Vermutlich ist der Inhalt aber doch eng mit dem Autor verknüpft, zumindest möchte das die Erzählstimme in meinem Kopf so. Die lies sich beim Lesen nämlich nicht beeinflussen.

Es hat gebrannt in der Festung – daran kann er sich erinnern, der kleine Junge und mit diesem Brand flammt auf, was noch alles in der Schlesenburg passiert ist. In der Burg, in der sich sechzig Familien überwiegend aus Polen zusammengefunden haben. 1989 war das – als auch die Angst kam, dass aus dem Asylbewerberheim Rumänen und Russlanddeutsche kommen. Für den jungen Erzähler eher nebensächlich, aber die Gespräche der Eltern sind nicht zu überhören. Es ist Apolonia, das Mädchen, welches sich in seinen Fokus schiebt und gleichzeitig ist es das Verschwinden von Darius, was ihn umtreibt. In der Schlesenburg gibt es keine Ruhe, sondern ein Miteinander, ein Gegeneinander und ein Füreinander und natürlich seine Eltern, die ganz eigene Pläne haben. Pläne, die nicht sehr schnell zu durchschauen sind.

Schlesenburg ~ Paul Bokowski
Schlesenburg ~ Paul Bokowski

Zerklüftete Geschichte

Wie ich erzählte, das machte sie verrückt, hat sie gesagt. … Dass ich ständig durch die Zeiten sprang, dass ich mich in den dümmsten Details verlor, dass ich manchmal anfing, aber plötzlich ging… Seite 198

Seine Mutter macht es verrückt, uns LeserInnen eröffnet sich aber eine neue kleine Welt, wenn sich eine zerklüftete Geschichte um die andere windet und sich letztendlich doch verbindet. Eine entzündete Erinnerung breitet sich aus, springt über und nach und nach ergibt sich aus vielen Brandflächen ein ganzes Geschichtsfeld. Bokowski lässt uns puzzeln und jedes Teil steckt voller Gefühl – von Wehmut über Freude, Angst und Ungewissheit. Es liegt auf der Hand, dass Geschichten, die von jungen Protagonisten erzählt werden, nah gehen. Natürlich hatte ich beim Lesen Gänsehaut und sogar Tränen in den Augen, denn die Mutter seines Freundes verliert ihr Baby. Und doch schafft es der Autor selbst, die dunkelsten Szenen in ein angebrachtes Licht zu rücken. Seinen Humor kann Bokowski in seinem Roman nicht unterdrücken, was wichtig, aber auch authentisch ist. Sein Händchen für Charaktere ist beeindruckend, denn alle haben mindestens eine Ecke, die einen Kratzer hinterlässt, der sich in eine Erinnerung wandelt. Grandios!

Herkunftsroman

Herkunftsromane eröffnen neue Welten und so öffnet der junge Erzähler uns und vor allem sich nach und nach seine Welt und integriert uns darin. Auch wir fangen an abzuschweifen, indem wir uns bei bestimmten Szenen oder bei bestimmten Handlungen an unsere Kindheit erinnern. Es sind die feinen Zwischentöne, die gehaltvollen Sätze, die kurzen Dialoge und die liebevollen Eigenheiten der Charaktere, die den Roman richtig schmackhaft machen. Die polnischen Kapitelüberschriften machen deutlich, wie es dem jungen Erzähler geht – wie viele LeserInnen versteht er nicht jedes polnische Wort. Deutschland ist seine Heimat, Deutsch seine Muttersprache, aber die Muttersprache und die Heimat seiner Eltern sind eine andere.

„Schlesenburg“ (btb) – ein Roman, der seine Zeit bekommen möchte und laut Autor selbst nicht am Stück verschlungen werden sollte. Und damit hat er recht, denn die Wirkung der etwas über 300 Seiten wird intensiver. Und trotzdem gibt es ab einer bestimmten Seite keine Bremse mehr, denn dann übernimmt die Spannung die Oberhand.

Trauen sie sich in die Schlesenburg, denn sonst werden sie nie erfahren, was es mit „Runter oder raus?“ auf sich hat.

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