Seit wenigen Tagen haben die heiligen Messehallen ihre Pforten geschlossen und eine wahre Flut von Eindrücken geistert durch die bibliophilen Hirnwindungen der geneigten Besucher. Was macht die Magie und den Reiz dieses Mega-Events aus? Warum fahren wir Jahr für Jahr nach Frankfurt, um uns in überfüllten Hallen an den mit literarischen Leckerbissen verzierten Verlagsständen vorbeitreiben zu lassen?
Es ist das ganz besondere Gefühl…! Das „Wir sind Buchmesse-Gefühl“, das wir so sehr suchen und vermissen. Wie man dieses Gefühl erkennt, möchtet ihr wissen. Ganz einfach! Hier sind einige der wichtigsten Indikatoren, die euch das deutliche Gefühl vermitteln, Teil des großen Ganzen zu sein…
Du merkst dass du auf der Buchmesse bist:
Wenn du auf Repräsentanten eines großen Verlagshauses triffst, die auf eine Frage nach den besten Neuerscheinungen des nächsten Quartals schier in sich versinken, visionär schauen und dann entscheiden, dass ihr jeweiliges Gegenüber genau diese Informationen in diesem Trubel gar nicht verkraften könnte. „Steht im Internet“ – klasse Antwort… womit der Grund zum Messebesuch ad absurdum geführt werden könnte.
Wenn du Menschen dabei beobachten kannst, die sich während eines INTERNETionalen Treffens VERappleN, indem sie voneinander Fotos machen, sich um den Hals fallen und anschließend fragen, mit wem sie es denn eigentlich zu tun hatten. Der Sinnzusammenhang wird kurze Zeit nach kollektiver Befragung wieder hergestellt, indem alle Bilder dieses Meetings ungefiltert mit frisch recherchierter Namensangabe des Gegenübers im Internet landen….
Wenn du Besucher erlebst, die definitiv nicht an Informationen interessiert sind, sondern nach erster aggressiver Annäherung an einen Messestand mit fordernder Stimme fragen „Haben sie Geschenke?“ Ja klar – das ist ja auch das Wesentliche, was die Verlage nach Frankfurt zu karren haben. Tonnenweise Giveaways für die treue Kundschaft.
Wenn du auf Menschen stößt, die händeringend versuchen miteinander ins Gespräch zu kommen und dabei erörtern, unter welchen Namen sie sich eigentlich ansprechen sollen. Username in einem Forum, Facebook-Nick oder Twitter-ID…. Bloß bitte nicht mit dem richtigen Namen… der passt nämlich selten zur erlebten Realität.
Wenn du Zeuge des folgenden Gespräches bei einer Signierstunde wirst:
- Leser: „Schreiben sie rein: Für Uschi von Klaus! Uschi mit SCH und so dass man es lesen kann.“
- Autorin zur Mitautorin: „Wir gehen gleich wieder in das Kämmerchen – es beginnt jetzt echt zu nerven.“
- Leser: „Und dann noch hier auf die Karte nur ihre Unterschrift. Davon brauche ich dann fünf.“
- Autorin: „Jetzt ist aber bald gut…“ und verteilt weiter Kärtchen auf denen sie mit Grinsekuchengesicht und lustigen Klamotten die halbe Welt vor lauter Euphorie zu umarmen scheint.
Wenn du auf hunderte von Kleinverlegern triffst, die sich für einige tausend Euro einen Miniaturstand mieten und sich bis zum Ende der Messe darin verstecken. Hinter Rechnern oder Papier, den Blick nach unten gerichtet und abwesend, als würden sie Gespräche mit der geneigten Kundschaft nur noch via Gedankenübertragung führen.
Wenn du Menschen begegnest, die mit kriegstauglichen Messetrollis bewaffnet ein Ben Hur ähnliches Wagenrennen veranstalten. Besonders spaßig an dieser Art der Bücherfortbewegung sind die jeweils meterlangen Zuggestänge dieser Vehikel, über die man dann wie beim modernen Hürdenlauf springen kann, um Kollisionen mit ahnungslosen isländischen Ehrengästen zu vermeiden.
Wenn man sich nicht entscheiden kann, welches der unzähligen Bücher das meiste Aufsehen erregt. „Sei schlau – stell dich dumm“ von Daniela Katzenberger sprengte so manches enge Messekorsett und geriet in harte Konkurrenz zur LEBENSLAUFbeichte der kachelmännischen Gerichts-Reporterin Emma Alice Schwarzer. Beate Uhse – Autobiographien hingegen brachten das Publikum aufgrund fehlender mitgebrachter Verlagsgeschenke (s.o.) nicht so recht zum vibrieren.
Wenn man dem Supermodel Eva Padberg bei ihrer Lesung aus ihrem Model-Ich (nein – nicht Moppel-Ich. Das ist wenigstens Fröhlich) dabei zuhören darf, dass es nicht schlimm ist moppelig zu sein. Auch sie habe ja schließlich mit ihren 39 Kilogramm darauf verzichtet, noch mehr abzunehmen und dabei einen Job bei Karl Lagerfeld ausgeschlagen. Viele Zuhörerinnen sind sich angesichts dieser tröstenden Worte schluchzend vor Erleichterung um die zentnerschweren Hälse gefallen.
Wenn du in der heimeligen Fachbesucherumgebung folgenden Satz aufschnappst: „Isch hab` bei minger Additierung nur Lesemutti jeschribbe – datt prüft doch hier kein Schwein….“ Worauf deine Illusionsseifenblasen platzen, da sich die Dame mit geschätzten sieben Bruttoregistertonnen gestohlener Lektüre in den nächsten Messestand wuchtet.
Wenn du im Audipavillion dabei zusehen kannst, wie unendliche Rechnungsstreifen von der Decke rieseln und du dir überlegst, ob dein Budget wirklich für die gesamte Messe ausreicht. Und wieso eigentlich Audi, wenn sich jeder vernünftige Leser als Opfer der Buchpreisbindung nur noch ein Fahrrad leisten kann?
Wenn du im Laufe eines Tages an allen Ecken und Enden der ausufernden Messehallen immer auf den gleichen Erfolgsautor triffst, der mit elitärem Wissergrinsen im Gesicht fragt: „Warum pupsen Frösche, kann man in einem Moor versinken und warum bin ich reich und du nicht?“ Mit dieser multimedialen Quizshow hat er wirklich so manchem Hoffnungsautor in Frankfurt den RANGar abgelaufen…. Glaubscht du net? Jo ISCH Wahr !
Wenn du feststellst, dass es im Gegensatz zur Buchmesse in Leipzig immer noch nicht möglich ist, während der gesamten öffentlichen Veranstaltung Bücher käuflich zu erwerben. Kein Problem eigentlich. Kann man doch die noch nicht erschienenen Werke einfach von zuhause mitbringen um sie auf der Messe von lustigen Autoren (s.o.) signieren zu lassen. Dafür freut man sich am Sonntag über das Heuschreckenhappening geplünderter Verlagsstände und den matten Applaus aller Beteiligten beim abendlichen Schlussgong.
Wenn du eine Autorin, die mit einer endlosen Schlange wartender Signierjunkies konfrontiert wird, dabei beobachtest wie sie sich langsam darüber im Klaren wird, dass niemand – aber auch wirklich niemand – bei ihr stehen bleibt, sondern der Schlange folgend zu einer anderen Autorin strebt um endlich eine prominente Unterschrift zu erhalten. Richtig schlimm wird es dann, wenn sie auch noch gefragt wird „Sie sinn doch gar nich die Poznanski – oder?“ Manchmal kann man einem Menschen Mordlust an den Augen ablesen.
Wenn du dabei sein darfst, wie hautnah man Spitzenpolitiker erleben kann, die ihr Buch am Messestand präsentieren und dabei Bürgernähe demonstrieren! Abends um 18 Uhr nach Schließung der Messe abgeschirmt von Securities und fotografiert bei einer fiktiven „Bad in der Menge“ Signierstunde… großes Kino…
Wenn du erlebst, wie selbst standfeste und loyale Verlagsmitarbeiter nach mehrtägigen Lippenbekenntnissen, wie klasse das eigene Programm im Vergleich zu dem anderer Verlage sei, am Sonntag in zügelloser Tauschwut über die Messe jagen und „ihre“ Premiumprodukte feilbieten – nur um einen echten Fitzek zu bekommen…
Wenn du endlich wieder zuhause bist und in einer ruhigen Minute bemerkst, dass dir genau dies alles fehlt und du die Tage zu zählen beginnst, bis endlich wieder Buchmesse ist….. schluchz…