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Auch im August gibt es mal einen bitterkalten Nachmittag

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Es ist Sommer, ganz richtig. Es ist auch kein Hochsommer der eine Abkühlung in literarischer Form braucht, dennoch kommt hier eine winterliche Rezension. Mal etwas anderes und außergewöhnliches mitten im Jahr. Aber warum nicht, dachte ich mir und somit gibt es für euch einen heißen Buchtipp für die hoffentlich noch nicht bald wieder beginnenden kalten Jahreslesetage. Das Team Literatwo hatte wundervolle Lesestunden mit Gerard Donovan seinem Debüt, welches allerdings erst nach seinem Erfolgsroman „Winter in Maine“ in Deutschland veröffentlich wurde.

Es war warm, Kerzen brannten, es duftete weihnachtlich, meine Stimmung war froh, besinnlich und ich war ruhig und habe diese Zeit genossen.

„Richte das Teleskop aus.“

Von Zeit zu Zeit begab ich mich aber in die Kälte.
Draußen war es kalt, es schneite, die Temperatur sanken weiter und ich zitterte. Dieses Gefühl war mir aber auch ohne den Schritt nach draußen gegeben, denn, während ich laß, verstärkt sich dieses immer mehr. Gerard Donovan ließ mich auf seine zwei Hauptprotagonisten treffen. Diese sind der Lehrer und der Bäcker. Handlungsort ist ein Feld, auf dem der Bäcker graben soll. Er soll graben, und zwar ein tiefes Loch. Während er dies tut, werden immer mehr Menschen herbeigeschafft. Herbeigeschafft auf das Feld, den Schauplatz, auf dem sich Lehrer und Bäcker gegenüber stehen. Stumm hören die Menschen dem Gespräch zu, was langsam zwischen den beiden, an diesem bitterkalten Nachmittag entfacht. Es ist Bürgerkrieg, es ist kalt, die Stimmung unerträglich eisig. Und es wird etwas passieren, die Handlung an einem Ort, an dem nicht ausschweifend gehandelt werden kann, wird sich ausdehnen.

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Steiniges Teamwork was alles andere als steinig ist..

…denn es geht um die Leinwand. Keine Leinwand an sich, sondern „Die Leinwand“ als Buch…wobei…

Bücher verbinden. Man kann Bücher alleine lesen, aber auch zu zweit lesen macht Spaß und ist vor allem effektiver. Es verbindet ungemein und ruft eine Themenvielfalt auf, die mit wenig Worten einfach nicht abgehandelt ist.
So begaben wir uns mal wieder auf eine ganz andere buchige Ebene und nahmen uns die Leinwand, also „Die Leinwand“ als Buch des Buches vor.

Viel mehr muss hier nicht gesagt werden, denn eine gemeinsame Rezension ist das Ergebnis eines wunderbaren Erlebnisses. Nicht nur das Lesen des Buches, sondern die verschiedenen Sichtweisen, ein Treffen mit dem Autor und eine große Anzahl Gespräche sind der große Gewinn des Projektes – „Die Leinwand“.

Binea und Mr. Rail erzählen von Ihrem ganz persönlich-leinwandig- buchigen Erlebnis.

Rezension – „Die Leinwand“ von Binea und Mr. Rail

BINEA:

Wie liest man die Leinwand? Wo ist vorne? Wo ist hinten?

Gute Frage.

Als Benjamin Stein meine Leinwand signierte, kamen diese Fragen auf. Selbst er meinte, ja wo ist denn vorn? Letztendlich ist für mich selbst die Frage auch nicht geklärt und somit habe ich beide Seiten signieren lassen.

Für mich ist die Leinwand kein normales Buch, eher ein Projekt, eher ein gemeinsames Hineinfühlen und Reinleben in zwei verschiedene Personen. Die absolute Leseerfüllung, zu zweit dieses Buch lesen und von verschiedenen Seiten beginnen. Also ich für meinen Teil begann mit der Geschichte des Amnon Zichroni und ließ mich darin gleich zu Beginn fallen. Nach den ersten Seiten Lesevergnügen war ich dennoch versucht, nach Gesprächen mit meinem Lesepartner, jetzt und sofort in die Geschichte des Jan Wechsler einzusteigen. Ich wollte auch wissen, wie er gerade lebt und denkt, wer er ist, gleichzeitig aber auch Seite an Seite die ersten Lebensschritte mit Zichroni gehen. Wo steckt der tiefe Sinn des Buches, was haben der schwarze Pilotenkoffer auf der einen, was die weißen Handschuhe auf der anderen Seite zu bedeuten? Dennoch kam für mich ein Springen zwischen den Kapiteln, zwischen den Leben der beiden Protagonisten nicht in Frage, ich wollte jeden Lebensweg einzeln gehen und nach und nach die Verbindungen erfühlen und mich jeweils mit dem Einen dem Anderen entgegen treiben lassen.

Wer sind wir, was sagen unsere Erinnerungen aus und was können diese bezwecken?

„Mit jedem Erinnern formen wir um, filtern, trennen und verbinden, fügen hinzu, sparen aus und ersetzen so im Laufe der Zeit das Ursprüngliche nach und nach durch die Erinnerung an die Erinnerung. Wer wollte da noch sagen, was einmal wirklich geschehen ist?“

Amnon Zichroni ist in Meah Shearim, Yerushalayim, geboren und hat in seinen jungen Jahren eine im wahrsten Sinne des Wortes, Schlüsselszene mit seinem Vater. Daraufhin wird er zu seinem Onkel Nathan Bollag nach Zürich in die Schweiz geschickt. Nicht der wirkliche Onkel ist es, sondern ein Steinschleifer und Juweliergeschäftbesitzer, bei dem Amnon nun fortan wohnte und dort die jüdische Jungen-Schule besuchte. Für ihn blieb kaum Zeit für Träume, sein Leben war oft lückenlos verplant. Sein weiterer Lebensweg verschlug ihn nach Pekesville, Baltimore, wo er Medizin studierte und ihm vor allem auf der psychologischen Ebene seine Begabung viel weiterhalf. Der Verknüpfungspunkt, die Verbindungsfigur zwischen den beiden Hauptprotagonisten, ist der jüdische Geigenbauer Minsky. Amnon Zichroni nimmt sich seiner an und arbeitet Schritt für Schritt Minskys Vergangenheit auf und animiert ihn zum Niederschreiben seiner Vergangenheit. Diese Erinnerungen Minskys lebt Zichroni teilweise mit, er spürt hautnah die Kindheit in der Nazizeit und in den Vernichtungslagern. Das Buch wird bekannt, ist in aller Munde und erste Preise sind gewonnen. Genau an diesem Punkt wendet sich das Blatt. Denn ein Journalist namens Jan Wechsler tritt auf die Bühne des Lebens und behauptet, das Buch sei frei erfunden.

„Geduld, sagte er, sei auch eine der Übungen auf dem Weg der Frommen. Denn Ungeduld rühre immer von einem Ego her, das sich wichtiger nimmt als die Aufgabe, die ihm zugedacht ist.“

„Was ist eine Wahrheit, die tötet, wert gegenüber einer Wahrheit, die jemanden leben lässt?“

Benjamin Stein gibt dem Leser tiefe Einblicke in die jüdische Kultur, in das Leben mit seinen Sitten, Bräuchen und Gewohnheiten. Er zeigt viele Facetten im damaligen wie auch im heutigen jüdischen Leben auf und bringt diese dem Leser durch den kontrastreichen Wechsel von humorvollem Schreibstil und ernsteren Themenhintergründen nahe. Mit dieser Leinwand werden viele Fragen aufgerufen, denen sich der Leser stellen muss und welche er nach diesen beiden Büchern weiterhin in sich trägt und ständig darüber nachdenken muss. Das Glossar im Anhang klärt viele Begriffe auf, dennoch enthalten beide Geschichten viele Fragen und diffizile Situationen, die nicht von jetzt auf gleich entwirrt werden können. Die weißen Handschuhe und der schwarze Pilotenkoffer tragen dazu wohl den größten Teil bei.

Amnon Zichroni und Jan Wechsler sind für mich teils vergleichbar mit den Bewohnern auf dem Nordpol und auf dem Südpol. Der Pol ist die Gemeinsamkeit, dennoch ist ein Rollentausch oder die richtige Begegnung auf vorbeischwimmenden Schollen nicht möglich. Oder doch?

Mr. Rail:

Die Leinwand von Benjamin Stein zu lesen ist mehr als eine Herausforderung aber auch Vergnügen zugleich. Ein Buch beginne ich normalerweise Vorne! Dieses Vorne ist bei Büchern gar nicht so schwer zu finden. Und ich beende es eigentlich auf der letzten Seite. Eine einfache Übung. Sollte man denken.

Diese etablierte Vorgehensweise ist bei der „Leinwand“ nicht möglich, hat das Buch doch zwei unterschiedliche Frontseiten und damit auch verschiedene Lesewege, die zum Ende in der eigentlichen Mitte führen.

Ich entschied mich schnell für meinen Weg. Ein Einstieg im „Jan Wechsler“ Teil und ein schnurgerades Befolgen dieses Weges – das sollte meine Richtung werden. Unterstützt wurde ich von Binea, die das „Pferd“ andersrum aufzäumte, damit wir gleichzeitig lesend doch von unterschiedlichen Erfahrungen berichten konnten.

Jan Wechsler, orthodoxer Jude in München, erhält eines Tages einen Pilotenkoffer mit einem Inhalt der ihm nicht das Geringste zu sagen scheint.

Ein Paar weiße Handschuhe
Einige Bücher
Eine Sammlung von Zeitungsausschnitten
Ein Schmuckkästchen mit einem wertvollen Edelstein
Eine medizinische Fallstudie
Rituelle jüdische Kleidungsstücke

Der Kurier bedauerte, dass es so lange gedauert habe, bis der Koffer seinen Besitzer schließlich, nachdem er auf einer Rückreise von Israel nach Deutschland verloren gegangen war, wieder gefunden hatte.

Nur – Jan Wechsler war in letzter Zeit nicht in Israel gewesen, seine einzige Reise dorthin liegt mehr als zehn Jahre zurück, und er hatte niemals einen solchen Koffer verloren. Die Sichtung des Inhaltes lässt ihn aufschrecken. Neben dem Kofferanhänger mit seiner Adresse und in seiner Handschrift geschrieben findet sich auch ein Buch mit dem Titel Maskerade von Jan Wechsler. Dabei hat er nie ein Buch geschrieben. Maskerade handelt von der Enthüllung eines Betrugsfalles in dem ein gewisser Minsky angegeben hatte, als Opfer die Konzentrationslager Nazi-Deutschlands überlebt zu haben. Jener Jan Wechsel konnte das widerlegen und zerstörte damit die schriftstellerische Karriere Minskys. Aber Jan Wechsler kennt keinen Minsky.

Was soll dies alles – was passiert gerade – diese zentrale Frage treibt Jan Wechsler um, als er sich entscheidet dem Verlag zu schreiben, der Maskerade herausgegeben hatte. Die Antwort ist beunruhigend, denn der Verleger bittet Jan in alter Verbundenheit, doch keine Späße mit ihm zu veranstalten, sondern auf dem Boden zu bleiben.

Ist Jan Wechsler wirklich Jan Wechsler – warum erinnert er sich nicht an sein eigenes Buch – diese Frage beschäftigte mich eindringlich. Gemeinsam begeben wir uns auf die Suche, reisen spontan nach Israel und ich erlebe, wie Jan Wechsler festgenommen und verhört wird. Hierbei geht es auch um den Verfasser der medizinischen Fallstudie, einen gewissen Amnon Zichroni, der nach einem Einbruch vor kurzer Zeit als vermisst gilt.

Und als Binea mir im Telefonat erzählte, dass sie auf dem anderen Weg durchs Buch erfahren hatte, wer den Koffer an Jan Wechsler geschickt hat, da war ich endgültig gepackt – gebannt und getrieben durch das Labyrinth einer einzigartigen Geschichte um Identität und deren schmerzhaften Verlust. Und mich beschäftigte die Frage, warum Binea sprachlos war, als ich erzählte, dass ich mit der medizinischen Fallstudie Zichronis noch nichts anzufangen wisse.

Nicht nur Jan Wechsler suchte – auch Rail und Binea. Ein einzigartiges Buch – ein Erlebnis und wir haben gefunden wonach wir suchten.

„Und angesichts eines solchen Beweises bleibt dann von meinen Erinnerungen nicht viel mehr als ein literarischer Irrtum.“

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Das soll aber nur der Anfang sein, denn auf dem Blog.Lovelybooks.de geht es weiter ! Ein Blick hinter die Kulissen, weitere persönliche Erfahrungen und viel mehr…

Viel Spaß und mal so ganz nebenbei…„Die Leinwand“ – ein MUSS.