Bodentiefe Fenster ~ Anke Stelling

Das ich überwiegend keine bodentiefen Fenster habe, liegt vielleicht daran, dass ich nicht in einem Haus mit mehreren Generationen, in einem Berliner Wohnprojekt, wohne. Tatsächlich haben aber Menschen ohne bodentiefe Fenster ebenfalls Probleme und kommen auch in solche Lebenschräglagen, wie Anke Stellings Protagonistin.

Stopp – eigentlich wollte ich mit dem letzten Satz des Buches beginnen, wobei der erste, „Ich bin wie meine Mutter“ (Seite 7) ebenso eindringlich und wegweisend ist. Er lässt uns ein wenig erahnen, was uns erwartet, der letzte Satz allerdings auch und wahrscheinlich noch viel mehr:

„Ich weine, weil ich weiß, dass das in erster Linie eine Sehnsucht ist und auch bleiben wird. (Seite 249)

Jetzt ist euch der erste und letzte Satz bekannt, dazwischen passt ein ganzer Lebensauszug der Berlinerin Sandra. Ich selbst hatte in den letzten Tagen nicht viel Lesezeit und habe festgestellt, dass es sich in „Bodentiefe Fenster“ schnell ein und austauchen lässt, denn man muss nur das Rollo hoch oder eben herunterziehen. Sobald man wieder durch die bodenlosen Fenster nach draußen sehen kann, tobt das eigene Leben und vor allem das Leben im Wohnprojekt weiter.

Sandras Leben ist ein Spalt – ein Zwiespalt. Und Sandras Leben ist eine Art Schwebebalken, auf dem sie mal gefährliche Schräglage bekommt und dann wieder standfest geradeaus gehen kann.

Bodentiefe Fenster ~ Anke Stelling

Zwiespalt Wohnprojekt

Ein Wohnprojekt ist keine leichte Sache, obwohl es die doch eigentlich sein sollte. Nie einsam in der anonymen Großstadt sein, eine harmonische Hausgemeinschaft, andere Kinder für die eigenen Kinder zum Spielen. Herrlich – ein rundum Lebenspaket. DENKSTE! Neid, verschiedene Erziehungsmethoden, viele (Über-) Mütter, unterschiedliche Charaktere und Lebensmodelle und dazu noch die eigenen Vorstellungen vom perfekten Leben. Ein bodenloser Kreisel voller Gefühl, Realität und Traum. Wenn obendrauf noch die Ideale der Mutter im Hinterkopf toben, ist der eigene Untergang, namens Depression, vorprogrammiert.

Bessere Welt – wo bist du? Gibt es dich überhaupt? Sind wir gemeinsam wirklich stärker oder rennen wir nur noch der Zeit und den Ansprüchen Fremder hinterher und wo stehen wir eigentlich selbst?

Anke Stelling lässt uns Sandras innerliches Chaos erlesen und gibt uns damit über das eigene Leben zu denken. Aber keine Angst – wir stürzen lesend keinesfalls ab und graben uns ein, nein. Dafür gibt es zuviel schwarzen Humor und das ganze facettenreiche Leben, was die Lücke zum Absturz nicht zulässt.

Wer vor hat, demnächst in ein Wohnprojekt umzusiedeln, dem lege ich Sandras Leben ans Herz. Sie schildert auf jeden Fall treffend, was man als Bewohner erwarten darf und auf was man nie zu hoffen braucht. Wer in einem Wohnprojekt lebt oder allgemein in einem Mehrfamilienhaus, wird sich zwischen den Zeilen wiederfinden, zumindest was die Erfahrung mit einigen Begebenheiten anbelangt. Ach, und wer ganz einsam still und leise im Grünen wohnt, der muss es unbedingt lesen. Keine Angst vor Sandras Leben, auch wenn sie viel beobachtet und mit sich selbst zu tun hat und dazu recht unglücklich ist, es lohnt sich immer, in ein anderes Leben zu lesen.

Unterhaltsam. Nachdenklich. Pures Lebenschaos.

Eure
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