Selbst wenn du mich belügst ~ Jessica Alcott
Selbst wenn du mich belügst ~ Jessica Alcott

Vor kurzer Zeit wurde ich gefragt, ob es auch vorkommt, dass ich Bücher kritisch bewerte oder sogar sehr negativ bespreche. Ich konnte verneinen, da ich meist zu Werken greife, die mich bereits vom Klappentext her ansprechen und ich mir ziemlicher sicher bin, dass ich meine Lesezeit mit einem guten Buch verbringen werde. Enttäuschungen mag keiner und gezielt zu Werken greifen, die vielleicht nicht so gut sein könnten, möchte kein leidenschaftlicher Leser. Auch durch Empfehlungen vom Verlag selbst oder von anderen Leserinnen und Lesern lasse ich mich gern leiten und kann mir zu 99% sicher sein, dass keine Enttäuschung hinter den Seiten lauert. Aber es kommt doch vor – so ist lesen eben…

Manche Werke werden nicht zur richtigen Zeit gelesen, aber dann liegt es nicht am Werk. Doch wie verhält es sich bei Selbst wenn du mich belügst von Jessica Alcott, wenn ich gleich zu Beginn von Enttäuschung schreibe?

Als ich Protagonistin Charlie zum ersten Mal traf, war sie 17 Jahre jung. Der Sommer neigte sich dem Ende zu und der erste Schultag nahte. Charlie ist eine Aussenseiterin und hat bis auf ihre beste Freundin Lila nicht wirklich viele Freunde. Männliche erst recht nicht, außer ihrem Vater, denn Charlie ist nicht besonders hübsch. Zumindest empfindet das Charlie selbst. Sie steht sich und ihrem Körper sehr kritisch gegenüber und distanziert sich gern von ihrem Umfeld. Sie hat keine große Lust auf Schwimmbad und Co., denn vor allem in Lilas Gesellschaft geht sie mit ihren charakterlichen Zügen unter. So sieht sich Charlie jedenfalls. Warum in einen Jungen verlieben, wenn ihn Lila sowieso bekommen wird? Charlie zieht sich lieber zurück, als erste Schritte zu unternehmen.

Selbst wenn du mich belügst ~ Jessica Alcott
Selbst wenn du mich belügst ~ Jessica Alcott

Bei Mr. Drummond ändert Charlie allerdings zum ersten Mal in ihrem Leben ihr Verhalten. Der neue Lehrer an ihrer Schule hat wahnsinnig viel Ausstrahlung und obendrauf ist er ebenso begeistert von der Literatur wie sie und seine inneren Werte entsprechen ihr total. Täglich wird er ihr mit seiner humorvollen Art sympathischer und schließlich beginnen in Charlies Bauch die Schmetterlinge zu toben…

Eigentlich klingt dieser kurze Einblick nach einem absolut romantischem Jugendbuchleseerlebnis. Auf jeden Fall und bis dahin steigerte sich das gute Lesegefühl immer weiter. Es hat sogar selbst in meinem Bauch gekribbelt, als sich Charlie, liebevoll von ihm Chuck genannt, mit ihrem Lehrer trifft. Doch dann stellte sich der Bruch ein, denn Charlie wurde immer anstrengender. Allgemein ist sie schon eine schwierige Persönlichkeit, die nicht jeder Leser ins Herz schließen wird. Ich mag schwierige Protagonisten und ich mag es, wenn es kribbelige unalltägliche Situationen in Büchern gibt. Die Liebe zwischen einer Schülerin und einem Lehrer ist ungewöhnlich und kommt doch sehr oft vor. Aber…da ist es wieder, dieses verflixte „ABER“.

Selbst wenn du mich belügst ~ Jessica Alcott
Selbst wenn du mich belügst ~ Jessica Alcott

Charlie steigert sich immer mehr in ihre Unzufriedenheit. Sie findet sich hässlich und hat immer mehr Probleme sich im sozialen Umfeld zu integrieren. Dabei legt sie sich stellenweise bewusst Steine in den Weg und badet ausgiebig in ihren problematischen Gedankenwelten. Natürlich geht dass einigen Mädchen so, vor allem in der Jugendzeit, in der Zeit vor dem richtigen Erwachsenwerden. Und natürlich trägt auch das Umfeld dazu bei, welches bei Charlie sogar ihre eigene Mutter ist, denn ihr entspricht sie nicht wirklich. Sie zieht sich nicht so an, wie die Mutter es gerne hätte, sie schminkt sich nicht und sie könnte an ihrer Figur diverse Dinge ändern. Das ist harter Tobak, wenn solche Worte von der eigenen Mutter kommen.

Auch Lila ist keine beste Freundin im Sinne von bester Freundin, aber zumindest besitzt sie stellenweise mehr Feingefühl. Doch Charlie ist vor allem taub, wenn es um Komplimente geht. Sie hat sich so sehr in ihre Rolle hinein gebohrt, dass wahre und ehrlich nette Worte an ihr vorbeiziehen, ohne den Gehörgang zu streifen. Irgendwann erhofft man sich als Leser eine Wendung, ein kleines bisschen Einsicht, eine Stufe der Weiterentwicklung. Fehlanzeige.

Einzig Mr. Drummond kann in Charlie etwas bewegen. Er löst regelrechte Besessenheit in ihr aus und lässt sie schließlich aus sich ausbrechen. Doch dieses Ausbrechen ist nicht das Ausbrechen, was ihrer aufkeimenden Beziehung gut getan hätte…

Die Person des Mr. Drummond ist im Gegensatz zu Charlie einfach genial. Er ist witzig und gleichzeitig tiefgründig und jede Schülerin würde sich so einen Lehrer wünschen. Seine Kreativität ist grenzenlos und mit seiner Art hat er sogar mich um den Finger gewickelt. Ich bin ihm sehr gern über den Weg gelaufen und Mitglied in der Literatur-AG wäre ich ebenso gern geworden. Logisch.

Selbst wenn du mich belügst ~ Jessica Alcott
Selbst wenn du mich belügst ~ Jessica Alcott

Allerdings habe ich mich am Ende des Buches gefragt, worauf die Autorin hinaus wollte. Das Werk hatte aus meiner Sicht das Zeug dazu, richtig brilliant zu werden. Der Beginn war stark, die Steigerung ebenso und eine Szene war sogar gewaltig. Allerdings hat diese Szene auch den Unmut auf die Protagonistin Charlie in die Höhe getrieben. Der bittere Beigeschmack hat allerdings am Ende überhand genommen und schließlich ist der reißende Fluss zu einem dahinplätscherndem Rinnsal ohne Aussage, ohne ein zufriedenstellendes Ende, geworden.

Doch nichts desto trotz regt der Roman zum Diskutieren an und vielleicht begegne ich einem Leser oder einer Leserin, die das Diskussionsfeuer entfacht und mir eine Sichtweise aufzeigt, die das Ende mildern und so abwandeln kann, dass ich den Roman doch noch ins Herz schließen kann…

Eure
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