Vater und ich ~Dilek Güngör

Da ist es auch schon – das perfekte schmale Buch für Leser*innen die eine geballte Ladung Gefühle haben möchten. Die gern wenige und dafür tiefgründige Charaktere mögen, lieber einen statt viele Schauplätze wollen und überhaupt die Intimität feiner Romane bevorzugen.

Gleichzeitig ist der Roman „Vater und ich“ (Verbrecherverlag) von Dilek Güngör genau diese Art Roman, der einfach nach 100 Seiten endet, dem einfach die nächsten 900 Seiten fehlen. So berührend, so humorvoll und emotionsgeladen. Eine absolute Vater-Tochter-Geschichte, wie ich sie nicht schöner hätte lesen können.

Ipek ist zu Hause, auf Besuch bei ihrem Vater. Die Mutter ist mit ihren Freundinnen eine Wohlfühlwoche im Schwarzwald. Alles ist wie immer – ihr Kinderzimmer, die Geräusche ihres Vaters, die Abläufe und das Schweigen. „Ich muss aufpassen, an unserem Schweigen nicht zu ersticken.“ (Seite 9) Früher war das anders, inzwischen ist es so. Einfach passiert und doch ist sich Ipek nicht sicher, ob sie das einfach doch weiter so möchte oder einfach gern ändern würde. Deshalb ist sie im Elternhaus.

Vater und ich

Ihr Vater – so nah und doch so fern. Schon das Abholen am Bahnhof ist kein Abholen, wie man sich das vorstellt. Ipek und ihr Vater freuen sich, aber nicht, wie man sich freut, sondern so:

Wir freuen uns, so beiläufig, so verdeckt, dass es keiner sieht. Nicht einmal wir.“

Seite 9

Die gemeinsamen Tage beginnen und der ehemalige Gastarbeiter ist keinesfalls herzlos, aber doch anders, anders interessiert an seiner Tochter. Obwohl er früher mit Ipek total innig war, kann er es mit der erwachsenen Ipek nicht mehr sein. Ipeks Mutter kann es doch auch – ist das zwischen Vater und Tochter so – gibt es eine Art Bruch in der Pubertätsphase? Als die Nähe ging, ging auch die Sprache oder lag es daran, dass die Sprache ging und somit auch die Nähe?

Vater und ich ~Dilek Güngör

Wir sagen nicht du, nicht Papa, nicht Vater, nicht Baba und du nicht Ipek. Wir sprechen miteinander ohne Ansprache. Ich quäle mich mit dir. Und mit mir selbst. Ich weiß nicht, womit du dich quälst.“

Seite 22

Was für eine schöne, nein schmerzhafte, ach falsch – schöne Geschichte zwischen zwei Menschen, die sich irgendwie abhandengekommen sind und doch irgendwie auch nicht. Was habe ich geschmunzelt und sogar gelacht. Dilek Güngör lässt Protagonistin Ipek so schön erzählen. Über ihre Mutter, über früher, über ihre Kindheit und Entwicklung ins Hier und Jetzt. Es ist grandios, wie sie trotz des Schweigens alles beschreibt und dennoch eine Art Kommunikation zwischen ihr und ihrem Vater aufzeigt. Ein echtes Gefühlsband, dass hin und her schwingt, bis in die Kindheit des Vaters.

Bewegtes Schweigeband

Ipek und ihr Vater sind in der Zeit nicht durchgehend alleine, was den Roman noch mal ein Sahnehäubchen aufsetzt. Zwei kurze Besuche bringen das Schweigeband in Bewegung.

„Schreien hätten wir sollen. Jetzt ist es zu spät, denn wer zu lange schweigt, dem wächst der Mund zu und geht nie mehr wieder auf.“

Seite 60

Grandios, grandios, grandios – vielleicht habe ich mich an einigen Punkten auch selbst gefunden und ziemlich wahrscheinlich könnte es dir genauso gehen. Beklemmend starke Sätze, viel Ruhe und Leben zugleich, wortlose Gefühlsverbindung und lauernde Nähe. Volltreffer inklusive Tränen (bei mir) am Ende.

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