„Er liebte sie, wie man einen Vogel liebt, einen seltenen Vogel, der dir von weit her zugeflogen ist und der sich in deiner Hand ein Nest gebaut hat.“ (S. 174)
„>Ein Leben mehr< ist ein beseelter und berührender Roman[…]. Ein Roman wie das Leben selbst: traurig und schön.“ (Klappentext)
Nach diesen Worten von Annaluise Erler zur Weinlesung in ihrer Buchhandlung war es um mein Leserherz geschehen. Es stand fest, dieses Buch musste sofort in meine Leserhände übergehen.
Gesagt, getan. Das erste Adventswochenende stand nun ganz im Zeichen des vierten Romans der Schriftstellerin Jocelyne Saucier.
Bereits nach den ersten Zeilen war ich tief im Wald. Zurückgezogen leben dort drei alte Männer, die ihre eigenen Entscheidungen treffen, in Freiheit und in Würde leben und sterben wollen. Es ist die Geschichte von Charlie, Tom und Ted, die zusammen gut und gerne 250 Jahre sind und ihren Lebensabend in selbst gebauten Holzhütten verbringen wollen.
„Man ist frei, wenn man sich aussuchen kann, wie man lebt. Und wie man stirbt.“ (S. 7)
Für die Welt sind sie tot, spurlos verschwunden, ausgelöscht. Und doch findet eines Tages eine junge Fotografin den Weg zu ihnen. Sie sucht Überlebende der großen Brände von Matheson im Jahr 1916, um sie deren Geschichte kennenzulernen, Ted ist einer, wenn nicht sogar der berühmteste von ihnen. Er ist der Junge, der durch die Flammen ging, denen seine gesamte Familie zum Opfer fiel, der noch tagelang nach dem Brand scheinbar ziellos und blind durch die Trümmer lief, als suche er etwas oder jemanden. Seine Geschichte fehlt der Fotografin noch, doch sie kommt zu spät, Ted ist tot. Charlie und Tom hoffe, dass ihr Interesse damit erschöpft ist, doch das Gegenteil ist der Fall. Das exzentrische Einsiedlerleben der beiden fasziniert die Frau und sie kommt wieder. Und nicht nur sie, denn „der kleinen Gemeinschaft am See stehen große Veränderungen bevor“…. (S. 88)
„Ein Leben mehr“ (Suhrkamp) ist ein wunderbar sanftes, feinsinniges und philosophisches Buch, was perfekt in diese Zeit der Besinnung und Ruhe passt. Jocelyne Saucier zeigt, dass man zu jeder Zeit seines Lebens selbstbestimmt leben kann, Entscheidungen nur für sich treffen kann, ohne darüber nachzudenken, was andere davon halten. Selbst der Tod verliert in diesem Buch, obwohl es mit der Geschichte um die großen Brände so viel Schreckliches zeigt, sein Grauen.
„Sie fanden den Tod weder traurig noch schlimm, er war einfach nur eine Möglichkeit, die sie beiläufig erwähnten.“ (S. 45)
Jocelyne Saucier erschafft in ihrem Roman Charaktere, die originell und liebenswert sind. Es sind keineswegs drei liebe alte Opis, die im Wald leben, sondern drei Männer, die von ihrer jeweiligen Lebensgeschichte tief, vielleicht sogar zu tief, gezeichnet worden sind. Und doch haben sie nicht aufgegeben, sondern neue Wege zu leben gefunden.
„Zum Glücklichsein braucht es nicht viel, man muss es nur wollen.“ (S. 192)