Endlich, endlich konnte ich mich einer meiner Lieblingsepochen zuwenden, dem Realismus.
„Die realistische Dichtung löste in Deutschland seit etwa 1850 die romantische ab. […] Das Leben wurde gezeigt, wie es ist, nicht, wie es nach den Klassikern sein sollte, nicht wie die Romantiker es erträumten.“[1]
Genau das liebe ich an dieser Epoche: sie bildet die Wirklichkeit ab, ohne großen Schnick-Schnack, präzise, auf den Punkt und dennoch so tiefgreifend, dass man sich in diesen Werken geradezu verlieren kann, allen voran natürlich im Werk Fontanes. Wie kein zweiter vereint der gelernte Apotheker so viele verschiedene Genre meisterhaft in seinem künstlerischen Schaffen.
Wer kennt sie nicht, die so traurige Ballade des tapferen Steuermannes „John Maynard“. Als mein Deutschlehrer diese in der 7. Klassen vortrug, standen mir die Tränen in den Augen, so ergriffen war ich. Vielleicht wurde da der Grundstein gelegt für meine Liebe zu Fontane gelegt. Besiegelt wurde diese aber dann, als ich seine wunderbaren Frauenfiguren kennenlernen durfte, die tragische Effie Briest und die großartige, willensstarke, unglaublich modern anmutende Lene aus „Irrungen, Wirrungen“, einem meiner liebsten Fontane-Romane.
Dieses Jahr habe ich mich nun einem mir bisher weitgehend unbekannten Schaffensgebiet Fontanes zugewandt, der Reiseliteratur. In dem kleinen Büchlein „Im Paris des Nordens“, das alle Texte über seine Reisen nach Kopenhagen und Dänemark vereint, habe ich einen ganz neuen Autor kennengelernt. Einen scharfsinnigen und z.T. auch scharfzüngigen Beobachter, einen präzisen Kriegsberichterstatter, der ohne überbordenden Patriotismus gesellschaftliche Zustände schildert, einen enthusiastischen Kunstliebhaber, der detailliert jede Kirche beschreibt und vor allem einen wundervollen Landschaftsillustrator.
„Man sieht nur, was man weiß.“(S.206) Treu nach dieser Devise reist Fontane durch ehemalige Kriegsgebiete, besucht Kopenhagen oder auch Frederiksborg. Seine Schilderungen lesen sich allesamt sehr flüssig, was ungewöhnlich ist, da es sich um Texte unterschiedlichen Genres, zu unterschiedlichen Zeiten verfasst, handelt. Aber genau daran erkennt man wieder den meisterhaften Schriftsteller, der alles wie aus einem Guss wirken lässt.
Eine weitere dichterische Größe des Realismus ist ohne Zweifel Friedrich Hebbel, schuf er mit „Maria Magdalene“ das erste soziale Drama überhaupt, ein Drama, welches den Konflikt in der bürgerlichen Gesellschaft selbst entwickelt und nicht aus Standesunterschieden evoziert. Doch es war nicht das dramatische Werk, was mich interessiert, sondern das lyrische. Während des Schmökerns darin, stieß ich auf dieses poetische Kleinod. Schöner geht’s fast nicht mehr.
Ich und Du[2]
Wir träumten voneinander
Und sind davon erwacht.
Wir leben, um uns zu lieben,
Und sinken zurück in die Nacht.Du tratst aus meinem Traume,
Aus deinem trat ich hervor,
Wir sterben, wenn sich Eines
Im andern ganz verlor.Auf einer Lilie zittern
Zwei Tropfen, rein und rund,
Zerfließen in Eins und rollen
Hinab in des Kelches Grund.
Euer realistisches Lesebienchen
[1] aus: Deutsche Literaturgeschichte. hrsg. von Haerkötter/Trautmann. Winklers 2008, S. 98/99
[2] aus: http://www.gedichte.levrai.de/gedichte_von/hebbel_friedrich_hebbel_gedichte.htm, Stand 12.09.2015