Oh thank heaven for 7-Eleven – Amerika: vom Tellerwäscher zum Millio…äh…Drogendealer??
Darf ich vorstellen: Matt Prior. Durchschnittlich groß, durchschnittliches Aussehen. Wohnhaft in einem hübschen Reihenhaus, verheiratet, 2 Kinder, Nissan Maxima.
Ein stinknormales Leben, ein Durchschnittsamerikaner. Könnte man denken, wäre da nicht die schicksalhafte Begegnung an einem 7/11, einem Supermarkt, mitten in der Nacht.
Wieder einmal fehlt die Milch für das morgendliche Müsli, wieder einmal muss Matt zu einem 7/11 fahren, um überteuerte Milch zu kaufen, die er sich eigentlich gar nicht mehr leisten kann, denn die Gläubiger sitzen ihm mit einer Forderung von 30.000 Dollar im Nacken. Treibt er dieses Geld nicht auf, verliert er sein Haus.
Doch wie soll er dies schaffen ohne Job, erst vor kurzen wurde ihm gekündigt. Und zu allem Überfluss weiß seine Ehefrau von alldem nichts. Und es wäre vielleicht auch nicht so günstig, die ganze finanzielle Misere auszubreiten, denn auch die Ehe wackelt bedrohlich.
So steht Matt also frustriert an der Kasse, ohne Ausweg, ohne Lösung, als er zwei Jugendliche bemerkt, die offensichtlich stoned auf der Suche nach Red-Bull und Tortilla-Chips sind.
„…vielleicht ist es der Geruch des Dope….oder vielleicht ist es auch nur dieses wirbelnde Gefühl der Lockerheit…“(S.12)
…aber ehe sich Matt versieht ist, er mit beiden, Jamie und Skeet, wie sich später herausstellen wird, ins Gespräch gekommen, raucht seinen ersten Joint seit Jahren, geht auf eine Party und findet sich am Ende zwar ohne Schuhe, aber mit einer neuen, aufkeimenden Geschäftsidee zuhause wieder.
Wie beschafft man sich ohne Job und noch dazu in einem Land, das von so hoher Arbeitslosigkeit und Entlassungen gebeutelt ist, schnell mal 30.000 Dollar…na klar mit Gras…Und der Wahnsinn nimmt seinen Lauf.
Wahnsinn ist ein gutes Stichwort, wenn man den neuen Roman „Die finanziellen Abenteuer des talentierten Poeten„ (Blessing) von Jess Walter beschreiben will. Denn nicht nur die Idee des Romans, einen Mittvierziger, Vater und Ehemann, aus finanziellen Gründen zum Drogendealer werden zu lassen, ist wahnsinnig gut, sondern auch Walters Stil.
Jedes Wort des Romans sitzt perfekt und knallt wie ein Peitschenhieb. Allein die Beschreibung, die Matt vom Büro seines Finanzberaters erstellt, ist eine gnadenlose Abrechnung mit dem Umgang der USA mit der Finanzkrise.
„Der Empfangsbereich […] ist zugemüllt mit Magazinen wie Forbes, Business Week und Investors Daily: Krisenpornografie voller schmuddeliger Verbalonanie mit Überschriften wie „Verborgene Chancen des Abschwungs“ und „Profitieren von der Krise“, freizügigen Diagrammen sowie Fotos von schweißnassen, aber immer noch geldgeilen Investment-Experten, die mit weit aufgerissenen Augen auf eine dicke Finanzspritze hoffen.“ (S: 48)
Jede Seite des Romans ist gespickt mit messerscharfen Kommentaren, die die utopische Ideologie des amerikanischen „way of life“ entlarven und bloßstellen. Und Jess Walter geht da auch gerne über die Schmerzgrenze, wenn er beispielsweise von seinem Zeitungsverleger, von ihm nur in einer herrlichen Anspielung als M bezeichnet, als „perfekten, budgetkürzungswütigen, wahnhaften Jargon-Nazi“ (S. 97) spricht mit Vorgehensweisen „geradewegs aus dem Maßnahmenkatalog der Roten Khmer“ (S.97) und einem „Taj Mahal der Büros“ (S.98). Oder aber wenn im Roman 7/11 und 9/11 gleichgesetzt, scheinbar verwechselt oder in den Bedeutungen ausgetauscht werden.
Das sind Momente, wo einem als Leser das Lachen etwas im Hals stecken bleibt. Der Roman ist zum Schreien und Weinen komisch, denn er ist brutal ehrlich und wahr.
Doch bei allem Zynismus bleiben die Komik und die Menschlichkeit nicht auf der Strecke. Die Szenen, in denen sich der biedere Matt auf sein erstes Treffen mit dem Drogenboss vorbereitet und er sich einige Beispiele aus „Der Pate“ als Vorbereitung zu Hilfe nimmt, sind einfach göttlich. Auch Matt als Typ ist ein durchaus sympathischer Mensch. Seine verzweifelten Bemühungen, seine Familie zu ernähren und seine Frau nicht zu vergraulen, sind bei aller Situationskomik auch zutiefst nachvollziehbar.
Jess Walter bietet dem Leserherz in seinem neuen Roman vieles: beißenden Zynismus, witzige Situationskomik, tolle Charaktere und obendrauf eine Mittvierziger, der mit nassen Socken stoned durch die Gegend läuft – was will man mehr.
Oh thank heaven for 7-Eleven.