Girl on the Train – diese Worte genügen, um mich gedanklich in einen Zug zu katapultieren. Binea im Zug? Wann fahre ich denn mal Zug? Richtig – eigentlich nur zu besonderen Treffen und zur Buchmesse, aber diese Fahrten haben mich geprägt und ich verbinde das Zugfahren mit einem ganz bestimmten Menschen.
Doch wie kam ich überhaupt in diesen Zug und wieso sitze ich nicht alleine im Zug? Wie kam es eigentlich überhaupt, dass ich mich nach Überlegungen doch für das Werk entschied?
Bei diesem Roman trifft der Satz: „Bücher finden ihre Leser“ gewaltig zu. Ich habe oft überlegt, ob ich ihn mir hole. Überall, vorwiegend auf Instagram, lesen Freunde und Menschen denen ich „folge“ gerade dieses Werk. Auf dem Buchcover klebt ein Aufkleber „DER SPIEGEL BESTSELLER“ der ins Auge sticht und Leser magisch anzieht. Mit Lesern meine ich Menschen, die hin und wieder ein Werk lesen, die nicht täglich den Buchmarkt nach neuem Stoff abgrasen. Menschen die lesen wollen, in eine Buchhandlung gehen und gezielt nach Werken suchen, die gerade in aller Munde sind, die gelesen werden, die angeprangert werden, die vor allem einfach gut sein müssen.
Wir wollen alle keine schlechten Bücher lesen, denn wenn wir lesen, wollen wir genau DAS Buch, was genau DANN fesselt.
Bestseller?
Als Literaturbegeisterte die ständig die Augen offen hält, verhält sich die Wahl der Bücher leicht anders. Bestimmte Aufkleber schrecken ab und an sogar ab, eben weil sie so angepriesen werden und ab und zu greift man daneben, weil man sich leicht blenden lassen hat. Dies ist natürlich nicht die Regel, um Gottes Willen nein, aber es passiert. Ich lese nicht gern Mainstream, suche lieber nach noch ungefundenen Buchperlen. So kennt ihr mich, so kennt ihr Literatwo seit Jahren.
Durch mein Überraschungspaket der Aktion #liesdichweg von Thalia bin ich zu Paula Hawkins Werk gekommen. Es kam zu mir und ich sah es und wusste, genau jetzt sollte ich es lesen. Ich musste nicht lange warten, denn meinen aktuellen Roman hatte ich fast beendet und so setzte ich mich in den Zug. Doch in dem Zug saß ich nicht alleine, Arndt saß schon drin, er hatte schon Vorsprung und wusste, was mir passieren wird.
Ich setzte mich also in den Zug und war bereit auf eine Fahrt, mit mehreren Unterbrechungen. Gedanklich konnte ich mich gut in die Rolle des Pendlers versetzen, denn Arndt hat mich oft auf seinen Fahrten mitgenommen und mir von seinen Beobachtungen und den Fahrgästen um ihn herum. Zudem bin ich selbst schon nach London gependelt, zwar nicht um dort zu arbeiten, aber um die Stadt anzusehen.
Gänsehaut
Der Zug wird auf offener Strecke halten, ich werde nicht zwischen die Seiten, sondern aus dem Fenster schauen, so wie Protagonistin Rachel. Doch schon auf Seite 14 befällt mich die erste Gänsehaut. Nicht weil der Roman, welcher für mich nicht nur ein Roman, sondern absolut durch und durch ein Thriller ist, sofort die volle Geschwindigkeit erreicht hat, nein, weil mir das Datum, 08. Juli 2013, ins Auge sticht. Ich schaute an den Kalender – 08. Juli. Mir ist es zwar schon oft passiert, dass sich der Monat im Roman mit dem Lesemonat deckt, aber so genau, nein, dies kam noch nicht wirklich vor. Die nächste Welle ereilte mich gleich auf Seite 32, als ich mein Geburtsdatum erblickte.
Es sollte nicht die letzte Gänsehaut sein, denn zufällig verwendet Paula Hawkins Tage, die tief mit meinem Leben verbunden sind. Zufall? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass mir dadurch das Werk sofort noch näher stand, obwohl ich nicht wusste, ob ich es wirklich mögen werde.
Girl on the Train
In bestimmten Momenten ist das Leben schön, vor allem dann, wenn es nach außen hin, normal scheint. Rachel beneidet Jess und Jason, wenn sie aus dem Zugfenster blickt. Fast jeden Morgen auf ihrem Weg zum Job, sieht sie die beiden – oft glücklich miteinander. Sie hat ihnen die Namen gegeben, sie malt sich aus, welchen beruflichen Tätigkeiten die beiden nachgehen, was sie wohl in der Nacht getan haben werden, sie malt sich ihr Leben bunt und vor allem liebevoll. Die beiden sind für Rachel das perfekte Paar und sie genießt den Blick auf ihr perfektes Haus, ihren perfekten Tagesrhythmus – sie freut sich für die zwei.
Früher lebte sie selbst in einem der Häuser, sie wäre vielleicht mit den beiden befreundet, sie wären fast Nachbarn. Früher hatte Rachel ein perfektes Leben, einen perfekten Mann, perfekte Zukunftspläne und einen perfekten Job – früher…
Heute ist Rachel einsam, lebt ihre Tagträume, pendelt wie gewohnt mit dem Zug in die Stadt und geht in London ihrem eigenen Tagesrhythmus nach. Am 15. Juli 2013 zerbricht die perfekte Lebensblase von Jess und Jason in ihrem Kopf. Rachel spürt den Knall förmlich, denn die Schlagzeile „SORGE UM VERMISSTE FRAU AUS WITNEY“ konnte nur bedeuten – Jess ist weg, verschwunden, wird vermisst. Ihre Jess die sie täglich beobachtet. Wie wird es Jason gehen? Sie sorgt sich, hat Mitleid und fühlt sich nicht als Randfigur, sondern als Zeugin, denn sie weiß, dass es nicht nur Jason in Jess ihrem Leben gab…
Stalking
Der Artikel im Internet tauft Rachels ausgedachte Namen um, in Megan und Scott Hipwell und gibt ein paar Informationen zu ihr preis. Zudem findet Rachel die Aufforderung, dass die Polizei Hinweise entgegen nimmt. Rachel kennt Hinweise, sie hat den fremden Mann, der weder Jason noch Scott hieß, gesehen, aber…
Aber ist Rachel wirklich DIE Rachel? Würde die Polizei ihr glauben?
Würde ich ihr glauben, glaube ich ihr? Diese Frage stellte ich mich in den bestimmten Schlüsselszenen. Paula Hawkins hat mich verwirrt, entführt und mich immer und immer wieder unsicher gemacht. Wem soll ich glauben – kenne ich Rachel wirklich?
„Das Leben ist kein Absatz, und der Tod ist keine Klammer.“ (Seite 19)
Genau dieses Verwirrspiel drückt den Roman ins Genre Psychothriller.
Genau dieses Verwirrspiel lässt den Leser beim Lesen nicht pausieren.
Genau dieses Verwirrspiel sorgt, wenn es perfekt bis zum Ende des Werkes gespielt wird, für die Begeisterung.
Packende Spannung
Die Autorin hat mich gepackt und nicht erst in der Mitte ihres Romans, sondern von Anfang an. Sie steigerte die Spannung, indem sie geschickt zwischen ihren Protagonisten wechselte. Natürlich gibt es nicht nur Rachel im Roman, auch wenn sie wohl als Hauptprotagonistin den größten Teil der Geschichte einnimmt und der Dreh- und Angelpunkt ist. Es gibt neben ihr natürlich die verschwundene Megan, aber auch eine bisher völlig unerwähnte, aber nicht unbedeutende Persönlichkeit – Anna.
Doch nicht nur die wechselnden Perspektiven sorgen dafür, dass die Seiten vor Spannung knistern, sondern auch die Rückblicke, welche sich in die aktuelle Handlungszeit verflechten. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die ein großes Spannungsfeuer entfachen und uns Leser einfach außer Kraft setzen.
Einige Leser haben mir geschrieben, als sie sahen, dass ich im Werk lese, dass sie nicht so begeistert sind, ihnen einige Dinge zu langweilig waren, einige Stellen zu zäh. Dies kann ich nicht bestätigen. Gerade Rachel lebt in ihrer Schicksalswelt und hat ein Laster zu tragen, welches ihren Tag bestimmt und nicht so einfach in den Griff zu bekommen ist…
Psychothrillerempfehlung
„Girl on the Train„ (blanvalet) habe ich inhaliert und jeder der Psychothriller mag, wird es lieben, denn Hawkins Schreibe und ihre verschiedenen Blickwinkel faszinieren. Ihr dürft mir glauben und ich bin gespannt, wie eure Eindrücke sind. Lest – vielmehr – steigt in den Zug und fahrt mit Rachel mit.
Update: Inzwischen kann ich auch den Film loben, denn ich war im Kino. Top oder Flop – hier die Antwort.
P.S. Mein Lieblingszitat möchte ich euch nicht vorenthalten. Ich mag es sehr, es ist tief und es ist wahr und vielleicht teilt jemand diese Stelle mit mir. Ich hoffe es einfach…
„Manchmal lassen einen Menschen, mit denen man eine gemeinsame Vergangenheit hat, nicht wieder los, man kann sich ihnen einfach nicht entziehen, man kann sich von ihnen nicht befreien, sosehr man sich auch bemühen mag. Und vielleicht gibt man sich in so einem Fall irgendwann einfach geschlagen.“ (Seite 366)
Eure