Ihr lest den Auster? Das ist ja mal eine Hausnummer und ich glaube, ich trete gern in euren Buchclub ein und ja, ich bin beim Auster dabei. Die nicht vorhandene Lesezeit für „andere Bücher außer der Literatworeihe“ hielt mich wohl ab, in den Literaturclub Novelle in Dresden einzusteigen. Der Auster lockte mich letztendlich und es macht wirklich großen Spaß, über so ein Meisterwerk, so einen Wälzer, zu sprechen. Okay, bei über 1000 Seiten ist es nicht so einfach, einen Anfang zu finden, erst Recht nicht, wenn es 4 verschiedene Leben darin zu finden gibt und doch hat es richtig gut funktioniert. 4321…
Was will ich dir jetzt hier eigentlich über den Auster erzählen? Gute Frage – ich fange einfach mal mit meinen Gefühlen an und dann wirst du schon merken, ob du weiter liest oder nicht. Ganz egoistisch möchte ich hier nämlich für mich festhalten, wie es mir erging und locker darüber schreiben, was dieses Buch mit mir gemacht hat.
4321 – meins
Boahr – was für ein dickes Buch mit wahnsinnig dünnen Seiten. Stolze 1300 Gramm bringt der Auster auf die Waage, nicht immer gut zu halten – ein Kraftakt. Auch lesend? Nein – ich glaube inzwischen sogar, dass dicke Bücher richtig gut mit mir harmonieren. Ich sag nur die gute „Brilka“ oder „Ein wenig Leben„. Zwei Romane die ebenfalls mehr als 1 Kilogramm Gewicht mitbringen und den Leser mit vielen Worten füttern, bekräftigen und stabilisieren. Der Auster passt perfekt neben die zwei benannten Bücher und hat mich genauso wenig enttäuscht. Klar, es gibt immer ein paar Längen in einem Buch oder einige Themen gehen nicht ganz mit unseren Interessen Hand in Hand. A B E R – darum lesen wir doch, um uns zu erweitern und um neue Weg zu begehen. Zumindest geht es mir so.
Knapp über 14 Tage habe ich in „4321“ gelesen. Ja, ich hatte Urlaub und doch hätte ich wohl nicht wesentlich länger gebraucht, denn ich habe mich recht schnell in die vier verschiedenen Leben eingelesen und Archibald Ferguson ist mir ans Herz gewachsen. Alle 4? Hier muss ich natürlich ganz klar sagen: J A E I N.
Die Leben vom jugendlichen Protagonisten sind natürlich nicht komplett gegenteilig. In jedem der Erzählstränge sind ein paar Parallelen zu finden und Ferguson ist schon irgendwie Ferguson. Nach den ersten knapp 160 Seiten kennst du alle vier Archies. Ich lege dir gleich ans Herz, dir eine Übersicht zu erstellen. Natürlich bist du hier nicht in der Schule und du willst das Lesen genießen und keine wissenschaftliche Ausarbeitung machen – A B E R – die Übersicht wird dir sehr helfen. Ich habe mich anfangs wirklich gesträubt, da ich einfach nicht der Typ Leser bin, der sich bestimmte Verläufe aufschreibt. Mich stresst das irgendwie, da ich mir lieber die Stellen im Buch markiere.
4x Archibald Ferguson
Paul Austens Werk ist besonders und es ist auf jeden Fall richtig fordernd. Das bedeutet nicht, dass du nicht gut unterhalten wirst, aber wenn du 4x dem selben Charakter begegnest, er sich aber immer anders verhält und vor allem die vier Leben ganz anders verlaufen, ist es schon praktisch zu wissen, was im jeweiligen Kapitel davor passierte. Als ich zum Beispiel am Anfang von Kapitel 2.2. stand, war es richtig schön kurz die Stichpunkte aus Kapitel 1.2. zur Hand zu nehmen und mir DIESEN Archie in Erinnerung zu rufen.
Paul Auster hat hier ein echtes Werk für uns geschrieben, was sich in die Reihe der Lebensbücher einreiht. Im Leseclub haben wir da recht ähnliche Ansichten. Und wir haben uns fast alle in den gleichen Archie verliebt. Der dritte Archie, der auch der rebellischste und extremste ist, hat mein Herz erobert. Ich habe eben eine Vorliebe für das Extreme und die Seiten habe ich nur so verschlungen. Was für ein krasses und aufregendes Leben. Keinesfalls sind die anderen drei langweilig, falls das jetzt so klang. Sie sind schlicht und ergreifend normaler.
Wie wäre nur mein Leben oder gar dein Leben, wenn wir immer irgendwie der oder die Selbe bleiben würden, aber die Leben so anders verliefen? Ich habe oft mich selbst betrachtet und mit meinem Leben andere Variationen durchgespielt – beruflich, privat – stundenlang könnte man darüber nachdenken und doch haben wir nur das eine Leben, was ja auch irgendwie gut so ist. Es ist so verdammt faszinierend, vier verschiedene Leben eines einzigen Protagonisten zu erlesen. Was muss Auster für einen Spaß beim Schreiben gehabt haben. Jeder Archie erlebt die Liebe, einige Schicksalsschläge, ist bescheiden, kämpferisch, künstlerisch, politisch und muss sich dem Unglück stellen. So viele Facetten, so viele außergewöhnliche Begegnungen, Gefühle und Situationen.
Chapeau – Herr Auster!
Dieser Roman ist einfach ein Meisterwerk. Jeder der ihn gelesen hat, hat keine Seite bereut, keine Leseminute verschwendet – zumindest ist mir nichts Gegenteiliges bekannt. Doch welcher Archibald Ferguson ist denn nun der richtige?
Das verrät uns Paul Auster. Natürlich aber erst am Ende und natürlich nicht auf einem Tablett serviert, sondern mit einem geschicktem Kunstgriff. Mich hat er überrascht, auch wenn ich voller Vorahnung war. Und ja, es tat weh, sich nach und nach von den drei anderen Archies zu trennen. Jeder ist so verdammt besonders.
Und das Treffen mit den Mädels und Jungs aus dem Leseclub? Es war ganz klasse. Es waren noch nicht alle fertig, aber das war keinesfalls schlimm. Wir haben alle so viele Stellen markiert, dass man szenenweise und in kleinen Gruppen darüber sprechen konnte. Zudem haben wir unsere Stichpunktzettel, Stammbäume und Diagramme verglichen. Total herrlich, wie jeder seinen Leseweg und vor allem die vier Leben von Archie festgehalten hat. Ein bunter Abend und immer wieder wurde eine neue Stelle gefunden, über die man unbedingt sprechen musste. Einfach richtig grandios, genau wie das Werk selbst.
Du solltest den Auster gelesen haben, glaub mir. Und wenn du ihn schon kennst, lies Brilka von Nino Haratischwili.
Wenn dir der dicke Wälzer zu teuer ist oder du sowieso lieber Taschenbücher magst, dann kannst du seit März zugreifen. Ich empfehle allerdings das Hardcover, da der Buchrücken nicht geknickt wird und es bei dem Gewicht einfach handlicher ist. Verrate mir doch im Kommentar, welcher Archie dir ans Herz gewachsen ist oder warum du bisher „4321“ von Auster noch nicht kennst.