Die Nachtigall ~ Kristin Hannah
Die Nachtigall ~ Kristin Hannah

Ihr kennt die Redewendung mit der Nachtigall? Ich hatte keine Vorahnung, als ich mich in den Roman von Kristin Hannah begeben habe. Aber ihr habt eine Vorahnung, was ich gleich tun werde, richtig? Ich bin meiner inneren Lesestimme und dem Gesang der Nachtigall gefolgt und kann euch nur empfehlen, es ebenfalls so zu machen. Ihr werdet es nicht bereuen. Wer an der Nachtigall vorbei liest, dem ist nichts mehr zu empfehlen. Ja, so ist es!

Und ja, es geht um Krieg in diesem Roman. Aber ihr müsst keine Angst haben, dass ihr eine Geschichte erzählt bekommt, die euch langweilen oder ohne Emotionen zurück lassen wird. Garantiert nicht!

Lustig ist, dass ich diese ersten Sätze hier schrieb, als ich noch um die 170 Seiten vor mir hatte. Genau gestern Abend um die Zeit, ahnte ich noch nicht wirklich, was mir passieren wird. Obwohl der September schon fast um ist, habe ich nur in der Nachtigall lesend getaucht. Die mehr als 600 Seiten haben mich keinesfalls gelangweilt und ich habe sofort mit den Protagonisten sympathisiert und vor allem mitgefiebert, es lag schlicht und ergreifend an meiner persönlich nicht vorhandenen Lesezeit. Wenn ich aber die Nachtigall geöffnet habe, habe ich sie kaum zum Schweigen bringen können.

Die Nachtigall singt

Alles begann so harmlos, so ruhig und dennoch mit dieser Unterspannung, die wir als Leser immer wieder gern fühlen. Das mich gleich die ersten Worte von Kristin Hannah so umhüllen, habe ich nicht erwartet. Klar, der Roman wurde schon vor der Veröffentlichung in Deutschland hoch angestimmt und der Buchwerbung konnte man im sozialen Netzwerk kaum aus dem Weg gehen. Doch das hat nichts zu bedeuten, wie wir Leser auch immer wieder erfahren. Man ist sogar ab und an versucht, an hochgelobten Bestsellern vorbei zu lesen. Zumindest geht es mir so. Die Nachtigall allerdings hat laut gezwitschert.

Die Nachtigall ~ Kristin Hannah
Die Nachtigall ~ Kristin Hannah

Wir befinden uns in Amerika, genau Oregon und schreiben das Jahr 1995. Wir treffen auf eine Mutter und ihren Sohn. Sie ist alt, krank und ein letzter Umzug steht an. Sie hat nur einen Wunsch – die alte Schachtel mit Erinnerungen, die sie über dreißig Jahre nicht geöffnet hat, muss mit. Auf diesen knappen sechs Seiten wird uns Lesern nur ansatzweise klar, was uns erwartet. Das ganze Ausmaß können wir nur erahnen, denn Worte wie „In der Liebe finden wir heraus, wer wir sein wollen; im Krieg finden wir heraus, wer wir sind.“ (Seite 7) sind nur der kleine Anfang einer großen fast unbeschreiblichen Tiefe, die zwischen dem ganzen Schmerz, dem ganze Leid, trotzdem möglich ist.

Wenn es am Schönsten ist, soll man aufhören? Geht dieser Spruch nicht so? Die Sonne lacht, die Blumen blühen, Vianne liebt Antoine, Antoine liebt Vianne und ihre achtjährige Tochter Sophie ist glücklich. Ein Lebenshöhepunkt der kleinen Familie findet ein Ende, denn dieser Lebenshöhepunkt findet im Jahr 1939 statt, in Frankreich. Der Krieg ist unabwendbar. Die Deutschen rücken ein.

Die Deutschen kommen nach Frankreich

Will ich euch noch mehr erzählen? Soll ich euch noch mehr erzählen? Mir fallen die Worte schwer, denn ich habe einen Tränenschleier vor den Augen. Gestern Abend habe ich über 20 Minuten am Stück geweint. Alles begann so harmlos, ja, das betone ich noch einmal, zumindest habe ich immer noch das Gefühl, dass es sich so angefühlt hat. Aber dann kam der Hammer, der Hammer namens Emotionen. Er hat zugeschlagen, immer und immer wieder, mitten auf mein Herz. In mir hat sich ein Film abgespult, die Gewalt des Krieges hat sich mit seinem Schmerz entladen. Gleichzeitig wurden mir die Augen geöffnet, denn wir haben es gut, wir haben keinen Krieg, zumindest nicht vor der Haustür.

Die Nachtigall ~ Kristin Hannah
Die Nachtigall ~ Kristin Hannah

1939/1995

Isabell ist Viannes Schwester. Ihr Leben ist noch nie so am Blühen gewesen, wie das von Vianne. Ein richtiges Zuhause hatte sie nie, sie ist nie angekommen und konnte nie ankommen. Sie ist ein Rebell durch und durch und ist schon in jungen Jahren der Meinung, dass sie eine Kriegsheldin werden könnte. Isabelle wird zu Juliette Gervaise und sie hat ein Ziel vor Augen. Der Krieg kommt, die Nachtigall beginnt zu singen und ein kurzer intensiver Hauch Liebe fliegt durch die Luft, als sie flüchten muss.

„Liebe Leser, manchmal kommt eine Geschichte einem nahe und überwältigt einen geradezu,…“ (Seite 603) – Kristin Hannahs Worten tauchen zwischen meinen Tränen auf. Mich hat ihr Roman überwältigt und durch und durch gerührt. Mag man noch so viel über den Krieg gelesen haben, mag man noch so angeödet sein, vom immer wiederkehrenden Thema Krieg und mag man noch so sehr das historische Genre meiden, sollte man hier einfach nicht weglesen. So nah, so intensiv, so historisch tief, so realistisch – so verdammt nah dran und zwar an unzähligen Schicksalen. Die Nachtigall singt nicht nur hoch, sondern auch tief, sie ist voller Hoffnung, aber auch Schmerz, Leid und unbeschreiblicher Trauer. Ihr Schnabel ist spitz, ihre Federn sind mit dem Schicksal in Berührung gekommen, aber trotz allem Negativen, gibt es die Liebe.

Eigentlich möchte ich nichts weiter sagen, nur dieses eine Wort: LESEN. Ihr trefft auf zwei Schwestern, die völlig unterschiedlich sind, auf Juden, auf Besatzer, ihr erlebt den Krieg so nah es literarisch möglich ist und erlebt zu keiner Zeit unrealistische Oberfläche. Die Leben dieser Charaktere werdet ihr nie vergessen, denn diese Leben hat es tatsächlich, leider, gegeben.

Nachtigall

Und mag es noch so lächerlich klingen, aber der Roman hat mir wieder das Gefühl gegeben, damals gelebt zu haben, dabei gewesen zu sein. Das musste ich Arndt schreiben und gleichzeitig habe ich ihn gebeten, nicht zu lachen. Er antwortete mir: Empathie nennt man das. Und wir haben damals gelebt, da die Erinnerungen unserer Vorfahren in uns ruhen. Davon bin ich zutiefst überzeugt.“

Nachtigall, ick hörte dir trapsen. Das ich dich so sehr höre, habe ich einfach nicht erwartet. Kristin Hannah – ich verneige mich tief vor dieser Erzählkunst über ein Thema, was so sensibel ist und genauso beschrieben werden muss, damit es einschlägt, wie eine der verdammten Bomben…

„Es ist nicht das Vergessen, das wir nötig haben, Vianne…Es ist die Erinnerung.“ (Seite 545)

Eure
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