Stellt euch vor, ihr lest wie gewohnt draußen in der Natur auf eurem Lieblingsleseplatz. Vielleicht auf einer Bank im Park oder auf einer Wiese am See. Bibliophil wie ihr seid, saugt ihr den Inhalt in euch auf und genießt es, zwischen den Seiten zu leben und in die Welt des Romans zu entfliehen.
Plötzlich tauchen zwei junge Männer neben euch auf und wollen genau den Roman, welchen ihr gerade lest, kaufen. Sie bieten euch erst eine kleine Summe an, die euch ein müdes Lächeln abringt. Doch dann bieten sie euch mehr, sogar 2000 in bar. In eurer Tasche habt ihr noch weitere Bücher dabei, die die zwei Störenfriede sehen. Sie bieten euch nicht nur 2000 in bar für das eine Buch, sondern sogar 2500 für jedes weitere. Zudem bieten sie euch 1000 in bar, wenn ihr ihnen Namen und Adressen von Lesern nennt, die ihr kennt.
Und nun? Was würdet ihr tun? Ein Albtraum für jeden Leser von uns, oder?
Rob und Jojo sind diese zwei Männer, die euch soeben begenet sind. Sie sind Buchagenten und genau das Gegenteil von dem, was ihr im Jahr 2013 über Buchagenten wisst. Wir schreiben hier und jetzt das Jahr 2035 und das Geräusch „Mzzzp“ ist jedem bekannt.
Bücher sind eine Seltenheit, zumindest in gedruckter Form, denn die Buchagenten sind auf der Jagd nach Büchern und kaufen diese allen Lesenden, die sie aufspüren, ab. Die Scanner AG möchte alle Bücher besitzen und alle Bücher einscannen, um diese endlich JEDEM und zwar KOSTENLOS zugänglich machen zu können. Der Konzern wächst immer mehr und das große Ziel, alle Druckerzeugnisse zu digitalisieren, rückt immer näher.
„Verlage sind Altwissen! Ultranetz ist Zukunft!“
Das tägliche Geschäft wird für Rob und Jojo immer schwerer, es sind nicht mehr viele Menschen mit Büchern zu finden. Zum Glück gibt es die Metro Gleiter, mich welchen man sich schnell fortbewegen kann, um von der A-Zone in B- und C-Zone zu gelangen und die Mobril, um die Bücher sofort zu scannen und für Ultranetz zugänglich zu machen.
„Mzzzp.“ „Studiere die Zukunft! Sei wirklich neugierig, nicht altgierig.“
Unerwartet möchte ein Lesender sein Buch nicht gegen viel Geld an Rob herausgeben. Er bietet ihm verwunderlicher Weise das völlig Unnormale an. Er möchte ihm sein Buch schenken und er möchte, dass er es liest. Rob ist durcheinander und schnell stellt sich heraus, dass eben jener Mann, Arne Bergmann ist. Er ist Mitglied der Büchergilde und wird von Ultranetz schon jahrelang gesucht.
Rob möchte mehr über die geheime Organisation namens Büchergilde erfahren und setzt sich großer Gefahr aus. Nicht nur die Gefahr von außen beginnt ihn zu ummanteln, auch er selbst steht vor einer innerlichen Veränderung und plötzlichen Fragen, die seinem persönlichen Fundament Risse zufügen.
Wir sind schnell im Jahr 2035 angekommen, so weit ist es ja nicht mehr bis dahin. Wir haben versucht, uns sehr schnell einzuleben und anzupassen, was sehr schnell gelungen ist. Der Metro Gleiter brachte uns zuverlässig an alle Schauplätze und mit der Mobril waren wir ebenso vertraut, als ob wir diese schon lange benutzen.
In Ultranetz, dem sozialen Netzwerk sind wir fast ununterbrochen online, um keine Neuigkeiten zu verpassen. Schließlich finden wir dort alle lebenswichtigen Informationen im randvollen Wissenskanal und bleiben so mit allen unseren Freunden in Kontakt. Das Teilnehmen an anderen Leben ist umfassend gesichert, durch das hautnahe, bildliche Dabeisein. Fernbeziehungen fühlen sich sogar enger an, als normale Beziehungen vor Ort. Sagenhaft, was Mobril und Ultranetz möglich machen, beides ist nicht mehr wegzudenken.
George Orwell lässt grüßen. Auf diesen Nenner könnte man es bringen… aber so einfach ist das nicht. „Die Scanner„ ist so nah an unserem jetzigen Erleben angelegt, dass wir beim Lesen des Romans erkennen, dass wir nicht weit entfernt von dieser Utopie sind. Information und Wissen – um diese Schwerpunkte dreht sich die Welt und wer beides beherrscht, der wird auch kein Problem haben, die Menschen so zu steuern, wie es ihm beliebt.
Robert M. Sonntag bringt das Unbehagen der heutigen Zeit drastisch auf den Punkt. Unsere Konsumgewohnheiten werden analysiert und entsprechend unseres Kaufverhaltens werden wir mit Informationen überflutet, die uns suggerieren, ständig etwas zu verpassen. Gläserne Kunden sind wir schon heute und all unsere tiefsten Geheimnisse teilen wir mehr als bereitwillig in sozialen Netzwerken. Eigentlich muss wirklich nur noch ein brillanter und gut ausgestatteter Datensammler den logischen nächsten Schritt gehen und wir sind da angekommen, wo wir doch bitte niemals ankommen wollten.
In einem ferngesteuerten Leben, das keinerlei Privatsphäre mehr kennt und das nichts mehr vor der Gesellschaft verbergen kann. Und da wundern wir uns auch nicht, wenn wir nur noch lesen dürfen, was von Informations-Monopolisten genehmigt wird. Gesteuert, manipuliert und gleichgeschaltet… Sieht so unser bibliophiles Schicksal aus? Manchmal hat man das Gefühl, nur einen kleinen Schritt von einer solchen Utopie entfernt zu sein… Spätestens bei Neuigkeiten über die Einführung der Google-Brille „Google Glass„ wird es Lesern von „Die Scanner“ zukünftig ein wenig den belesenen Magen umdrehen.
Robert M. Sonntag ist ein großer utopischer Wurf gelungen. Sein Jugendbuch besticht durch Greifbarkeit und ist bis zur letzten Seite verständlich. Es ufert nicht aus, sondern packt seine Leser bei der wachsenden Erkenntnis und lässt ihn nicht mehr los. Es lässt Freiraum für Träume und Visionen, bedarf aber keiner vieldeutigen Interpretationen, an deren Ende der meist jugendliche Leser ratlos alleine gelassen wird.
Besonders spannend scheint es zu sein, einen genauen Blick auf den Schriftsteller selbst zu werfen. Woher kommt seine tiefe Sicht in die Zusammenhänge – ist es seine grandiose Phantasie, die uns so unendlich bereichert – oder ist es etwa noch mehr? Ein Blick auf seine Vita macht uns ein wenig sprachlos:
„Robert M. Sonntag, geboren 2010, lebte nach dem letzten der großen Kriegen in der A-Zone. Er arbeitete für den Ultranetz-Konzern. Seit 2035 liegen keine Einträge mehr über ihn vor. Sein Ultranetz-Profil ist gelöscht. Robs Buch und diese Zeilen erreichten den S. Fischer Verlag auf bisher ungeklärten Wegen.“
Wir werden ihn persönlich in Leipzig treffen… Wirklich wahr, auch wenn es gefährlich werden sollte. Wir sind mit ihm über einen geheimen Vermittler verabredet und werden versuchen herauszufinden, was sich hinter dieser utopischen Geschichte verbirgt…. Bleibt einfach gespannt!