Zwar bin ich keine Farben-Synästhetin, aber ich bin vor vier Jahren einer begegnet. Ihr Name ist Sophie und ich habe sie im Roman „Der Geschmack von Sommerregen“ von Juli Leuze getroffen. Ein wahnsinnig tolles Mädchen, denn Sophie kann Gefühle in Farben sehen. Jetzt fragst du dich wahrscheinlich, warum ich hier Sophie erwähne. Die Antwort liegt auf der Hand – ich denke nämlich, dass sich Sophie gut mit Protagonist Moritz verstehen würde und sie sich hervorragend austauschen könnten.
Moritz sieht seinen ehemaligen besten Freund Raffael nach 16 Jahren wieder und sieht ihn grün.
„Das Grün ist dunkler geworden, viel dunkler, tief und massiv, fast schwarz. … Einst war Raffael knospengrün, raupengrün, wie Zuckererbsen in ihrer frisch geöffneten Schote, an manchen Tagen limonenhell.“ (Seite 39)
Mit diesem Grün färbt Raffael allerdings alles grau ein. Moritz wird aus seiner heilen Welt gerissen, als der Mann wieder in sein Leben tritt, der ihn damals einfach so, ohne viele Worte, verlassen hat. Jahrelang waren die beiden Jungs unzertrennlich, dann kam der Schnitt und Moritz musste damit klar kommen und seinen Lebensweg finden. Jetzt steht Raffael vor ihm, als ob sie sich erst gestern zum letzten Mal gesehen hätten und bleibt kurzfristig über Nacht. Moritz scheint hypnotisiert, ihm fehlen protestierende Worte, er ist sprachlos und überlässt die Gastfreundlichkeit seiner hochschwangeren Freundin Kristin.
Teufelsdreieck
Moritz fällt zurück in sein damaliges ICH und wird erneut zum Hinterherläufer. Seine Mutter Marie war nie froh über die Freundschaft, die sich recht schnell entwickelte. Sie erkannte sofort, dass Raffael nicht nur ein Lausebengel, sondern ein regelrechtes Arschlochkind ist, was nur selten auf frischer Tat ertappt wird. Moritz seht Raffael treu zur Seite und die schon recht explosive Mischung bekommt zusätzlichen Zündstoff, als Johanna dazukommt. Ein Trio – ein Teufelsdreieck ohne Ausweg.
Boahr…einatmen, ausrasten ausatmen…
In meinem Inneren hat es stellenweise so gebrodelt, dass ich das Gefühl hatte zu platzen. Ich habe mich von Raffael so verdammt provoziert gefühlt. Entschuldige darum auch den Ausdruck Arschlochkind – aber eine andere Bezeichnung wäre nicht angebracht. Er hat wie ein Torero mit dem roten Tuch gewedelt und ich habe wie der Stier mit den Hufen gekratzt und Anlauf genommen. Dabei habe ich mich vor Moritz und vor seine Mutter Marie gestellt. Doch ich bin nicht auf ihn losgegangen, verzeihen konnte ich ihm aber auch nicht. Autorin Mareike Fallwickl hat es geschafft, mich richtig aufzuwühlen. Sie hat intensiven Szenen gern noch eine Art Nachschlag gegeben, damit sie sich einbrennen. Ich habe wütend gelesen, verzweifelt, schockiert und bodenlos traurig.
Dunkelgrün fast schwarz
Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass mich das Buch nicht gefesselt hat. Innerhalb von wenigen Stunden habe ich es verschlungen, was einfach der Erzählperspektive und den Zeitsprüngen geschuldet ist. Ich musste einfach wissen, wie es weiter geht – erst treffen wir Protagonist Moritz in der Gegenwart, dann finden wir uns in der Vergangenheit bei Marie wieder und letztendlich stehen wir neben Johanna. Die Fäden verbinden sich nach und nach und jeder Erzählstrang ist voller Spannung und gibt uns immer mehr Aufschluss, warum die Leben sich genauso und nicht anders entwickelt haben. Und selbstverständlich findest du dich selbst zwischen den Zeilen, nickst zustimmend oder schüttelst frustriert den Kopf.
Freundschaft, Lügen, Bosheiten, Blendung, Liebe, Gefühle, Hass – eine spezielle Mischung, zwei gegensätzliche Charaktere die sich anziehen und eine wirklich poetische, aber auch nüchterne Sprache. Schonungslos, offen, gefühlvoll und ab und an vorhersehbar mit kleinen Schwächen, die dem Roman nicht schaden, ihn eher authentischer machen. Ich habe „Dunkelgrün fast schwarz“ (FVA) sehr gern gelesen und bekommen, was ich als Leser wollte und mir erhoffte.
Mareike Fallwickls Worte schneiden tiefe Wunden, verheilen zu Narben die immer wieder daran erinnern, was damals passiert ist und hinterlassen gewaltigen Eindruck.