Lange habe ich Bezeichnungen wie „der neue Tolkien“ oder „ein würdiger Nachfolger Tolkiens“ belächelt und als Quatsch abgetan, schien es mir doch unvorstellbar, dass es irgendein Autor im Fanatsy-Bereich je schaffen würde, der Genialität dieses Mannes gleichzukommen. J.R.R. Tolkien ist für mich Begründer und Meister einer fundierten, überzeugenden, mythologischen Fantasyliteratur aus der Feder eines echten Könners, der weiß, wovon er schreibt. Wer sollte das denn noch erreichen?
Und auf einmal tauchten zwei Namen am Fantasyfirmament auf, beide mit dem mir so verhassten Prädikat „wahrer Tolkien-Nachfolger“ betitelt: George R.R. Martin und Patrick Rothfuss. Lange habe ich mich geweigert und doch fiel irgendwann meine innere Lesemauer und ich begab mich nach Westeros. 10 Bücher und eine begonnene Fernsehserie später, stand ich vor der Frage: „Hilfe, was nun??? Was lese ich jetzt??“. Da erinnerte mich ein kleines Stimmchen an die Geschichte eines Königsmörders und ich reiste an Kvothes Seite an die Universität. 3 Bücher später ist es nun an der Zeit ein Resümee zu ziehen und die eigene Engstirnigkeit vielleicht etwas geradezurücken. 🙂
Ja, ich muss zähneknirschend einräumen, dass es beide Autoren verdient haben, als Nachfolger des großen Meisters bezeichnet zu werden. Sowohl Martin als auch Rothfuss erzählen in epischer Breite eine Geschichte, die mythologisch fundiert und ausgearbeitet ist. Zählt man die Seiten beider Werke zusammen, kommt man auf überschaubare 8228 Seiten, wohlgemerkt ohne Anhänge, die bereits einen ersten Hinweis auf die Akribie und das Streben nach Perfektion beider Autoren geben. Martin und Rothfuss erzählen keine Geschichte, in der mythologische Gestalten im Fokus stehen, sondern Einzelschicksale, menschliche Entscheidungen. Das erinnert doch sehr an Tolkien, der mit seinem Werk von Menschen erzählt, die über sich hinauswachsen, die Mut zeigen und füreinander einstehen, selbst wenn der Weg aussichtslos erscheint.
Inhaltlich vergleichbar sind alle drei Werke zum Glück nicht, jedes einzelne steht und wirkt für sich. Neben Tolkiens Mammutprojekt, mit der Geschichte Mittelerdes England eine mythologische Vergangenheit zu geben, wirken die Werke Martins und Rothfuss zwar vergleichsweise winzig, doch beide sind noch unvollendet und sollten auch nicht mit dem Lebenswerk eines Menschen konkurrieren. Beide Geschichten sind aber in ihrer Ausarbeitung und Detailfülle absolut stimmig und überzeugend. Wer gern politische Ränkespiele verfolgt, dem sei „Das Lied von Eis und Feuer“ empfohlen. George R.R. Martin zeigt mit seiner Geschichte von Westeros den knallharten Kampf um Macht, die Gnadenlosigkeit des Krieges und das Ausgeliefertsein des Menschen. Helden werden zu Mördern, Mörder können geläutert werden und mittendrin steckt Tyrion Lennister, der bitterböse und geniale Kommentator des Spiels um den Eisernen Thron.
Rothfuss erzählt nicht die Geschichte eines Landes, sondern die Geschichte eines einzelnen Mannes, Kvothes, des größten Zauberer seiner Zeit. In seinem Werk erzählt Kvothe selbst von seinem Werdegang und lässt den Leser an allen Höhen und Tiefen in seinem Leben teilhaben.
So unterschiedlich die inhaltliche Konzeption auch sein mag, eines ist allen dreien gleich. Sie erzählen von echten Figuren, keinen eindimensionalen Helden oder Bösewichtern, sondern von Personen, die lieben, hassen, Erfolg haben und scheitern. Es sind echte Schicksale, die man als Leser verfolgt, die sich tief in das Leserherz eingraben, die nicht mehr loslassen. Man liebt und hasst die Charaktere dieser Bücher, die Einstellung zu einem Charakter kann sich im Verlauf des Lesens sogar mehrfach ändern: Jaime Lennister ist dafür ein genauso gutes Beispiel wie Gollum oder auch Kvothe selbst, der zuweilen recht tief in seinem Selbstmitleid versinkt.
Ja, es gibt sie also doch die „wahren Nachfolger Tolkiens“, die dieses Prädikat auch zurecht verdient haben, denn sie haben die Fantasywelt neben Mittelerde mit Orten wie Königsmund oder Imre, mit Personen wie John Schnee oder Bast mehr als bereichert und ein Stück bunter gemacht.
„Es war wieder Abend geworden. Das Wirtshaus zum Wegstein lag in Stille, und es war eine dreistimmige Stille. (Der Name des Windes, S, 11.)
„Drei“ – wie passend.