Ohne zu wissen, um was es ganz genau in dem Roman geht, musste ich ihn einfach haben. Ja, dass passiert auch. Der Junge am Wasser auf dem Cover und der Titel „Ein besonderer Junge“ haben mich einfach magisch angezogen.
Und so bin ich ins Paris Anfang der siebziger Jahre zurück gereist, um Louis zu treffen. Louis ist kein junger Mann, wie man ihn sich vielleicht vorstellen würde. Er bezeichnet sich selbst als etwas anders, ist eher verschlossen als aufgeschlossen und geht seinen eigenen, ziemlich ruhigen Weg. Er hatte noch keine Freundin, ist schüchtern und mag keinen großen Trubel um sicher herum, zudem hat er sowieso keine Freunde, mit denen er etwas unternehmen könnte.
Der große Schweiger wird Louis von seinen Eltern genannt. Ob er sein Jurastudium schaffen wird, weiß er nicht, allerdings weiß er genau, dass er dringend Geld braucht, um es zu finanzieren. Ein Stellenangebot spricht ihn sofort an, viel mehr die darin enthaltenen Wörter „besonderen Jugendlichen“, da er sich selbst so fühlt.
„Suche motivierten jungen Mann für die Betreuung eines besonderen Jugendlichen während eines Aufenthalts mit seiner Mutter in Horville (Calvados).“
Louis greift kurz entschlossen zum Telefon und erreicht den Vater des besonderen Jungen namens Iannis. Die Familie hatte wohl schon einige Betreuer eingestellt, doch alle haben nach kurzer Zeit die Flucht ergriffen. Aus diesem Grund zögern die Eltern nicht und Louis macht sich auf die Reise nach Horville.
Horville, der kleine Ort am Strand in der Normandie war ein zusätzlicher Grund den Job anzunehmen, da Louis viel Zeit dort verbrachte. Erinnerungen werden in ihm wach, wenn er an die vergangene Zeit, die vergangenen Urlaubsausflüge denkt.
Die erste Begegnung mit Iannis ist nicht einfach und auch die weiteren gemeinsamen Tage werden zur speziellen Herausforderung. Iannis Mutter Helena zieht sich ziemlich schnell in ihre eigene Welt zurück. Sie ist froh endlich wieder jemanden zu haben, der ihr die „Last“ Iannis abnimmt. Sie möchte schreiben, sich ihren erotischen Romanen hingeben und mit einem gutaussehenden jungen Mann im Haus, gelingt ihr das umso besser.
Louis hingegen ist schnell auf sich allein gestellt und versucht sich auf Iannis und seine unterschiedlichen Verhaltensmuster einzustellen. Iannis redet nicht, obwohl er bereits 16 Jahre ist. Er kann nicht schreiben, er ist immer noch ein Bettnässer, er ist verschlossen und in sich gekehrt. Niemanden lässt Iannis an sich heran. Trotz seiner Art ist er nicht dumm, er nimmt alles in sich auf und verarbeitet diese Dinge auf seine Weise.
Louis erkennt in Iannis, dass er genauso besonders ist wie er. Er unterhält sich mit ihm, erzählt ihm von seiner Vergangenheit und unternimmt viel mit ihm, um Helena viel Ruhe zu ermöglichen.
Seinen Job hat sich Louis anfangs nicht so anstrengend vorgestellt und auch hätte er es sich nicht träumen lassen, dass Iannis Mutter Helena mit ihm flirtet, ihn verführen will.
Verlief Louis sein Leben wie ein ruhiger See auf dem kein Lüftchen wehte, kommt nun auf ihn eine hohe Welle zu, die ihn verändert. Aus schwarz-weiß, wird farbig, aus farbig wird schwarz-weiß.
Der Griff zum Roman von Philippe Grimbert, war der richtige, da ich genau diese Stimmung suchte, jemand anderen treffen wollte, eine tiefe Geschichte mit vielen Besonderheiten brauchte. Louis wie auch Iannis sind besonders, völlig anders und genau die Tatsache, macht das Buch und die Zeit in der Normandie so außergewöhnlich.
Iannis hat autistische Züge und Louis hat es nicht leicht, mit ihm klar zukommen. In seiner zweisamen Einsamkeit blickt Louis auf sich selbst zurück, auf seine damalige Zeit mit seinem damaligen besten Freund. Diese Erinnerungen ziehen an seinem inneren Auge vorbei, aber unterbewusst, beginnt er darüber zu reden, Iannis zu erzählen.
Iannis ist in seiner Welt eingeschlossen, ohne spürbar aus seiner Welt heraus zu kommen. Und doch bekommt Iannis mehr mit, als Louis oder seine Eltern zu ahnen scheinen. Die Zeit rückt näher, Louis seine Zeit endet bald, da ein Heimplatz für Iannis frei wird. Beide Jungen haben ein festes, transparentes Band untereinander geknüpft, ein besonderes Band des Zusammenhaltes und fällen eine besondere Entscheidung.
Mehr als bildlich schreibt Grimbert und lässt seine zwei Hauptprotagonisten schnell ans Herz wachsen. Sie sind so besonders, dass sie sich im Leserkopf fest verankern. Grimbert lässt tief in die Seelen der beiden blicken und macht unsichtbare Dinge sichtbar für den Leser, die er vielleicht so nie wahrgenommen hätte.
Ein berührendes, besonderes Buch voller bildlicher, teils poetischer Klarsicht.