Es gibt wahrlich viele Karten. Landkarten, Speisekarten, Spielkarten, Postkarten, selbstgebastelte Karten und es gibt „Die Karte meiner Träume„ (S. Fischer Verlag).
Das Telefon klingelt und es gibt viele Möglichkeiten, was ein einziger Anruf alles bewirken kann. Der Anruf des Smithsonian Institut in Washington bewirkt bei Tecumseh Sparrow Spivet, von allen nur T.S. genannt, so einiges, denn genau er soll den Baird-Preis verliehen bekommen und das verändert sein bisheriges kurzes, aber vielseitiges Leben vollends.
Eine Ranch in einer winzig kleinen Stadt nähe Divide in Montana.
Hier lebt der erst 12-jährige T.S. mit seiner Schwester Gracie, seiner Mutter, der Wissenschaftlerin Dr. Clair, meist vertieft in Käferstudien und seinem Vater, einem echten Cowboy, der oft auf den Feldern verschwindet und dort seine Ruhe zusammen mit einer Whiskyflasche findet. Seinen Bruder Layton hat er verloren, eine Kugel setzte seinem Leben ein Ende und an diesem Tag gab es einen Riss in der Familie, eine Schneide im Leben aller.
T.S.’ Leben sind seine Notizbücher, in denen er alles ganz genau festhält, ein Stück Gleichgewicht und Ordnung in einem. Er zeichnete sein Umfeld, Leute bei der Ausübung von Tätigkeiten jeglicher Art, macht zoologische, geologische und topographische Darstellungen, hält die Anatomie von Insekten fest und hat alle praktischen Arbeiten der letzten vier Jahre, die auf der Farm verrichtet worden sind, festgehalten.
Sogar in seinem Zimmer haben alle Instrumente einen festen Platz und die Wand dahinter enthält den Umriss des jeweiligen Gegenstands, der Ordnung halber.
„Es hat nie eine Landkarte gegeben, auf der alles stimmte, und Wahrheit und Schönheit haben es nie lange miteinander ausgehalten.“ (Seite 19)
Der große Tag ist gekommen, T.S. stiehlt sich am frühen Morgen aus dem Haus, im Gepäck alle 25 Positionen von seiner Inventarliste, die auf dem Koffer klebt, alles Notwendige, was er für sich persönlich zum Leben braucht, und ein Notizbuch seiner Mutter mit der Aufschrift EOE.
Die Reise seiner Träume beginnt, die Karte seiner Träume hat er im Herzen, nun muss sich der Traum nur noch erfüllen und das Ziel Washington erreicht werden.
„Ist es möglich, den gesamten Inhalt der Welt zu sammeln? Und wenn man die ganze Welt in seiner Sammlung hat, ist es dann noch eine Sammlung?“ (Seite 199)
Ein Buch, was gefangen nimmt, was fasziniert, was nicht mehr loslässt, was viele Parallelen hat und vor allem verbindet.
Eine Augenweide ist das Buch von Anfang an, ohne den Inhalt zu kennen, zeigt es sich in einem anderen Format und bietet bereits vor der ersten Kapitelseite genügend Anschauungsmaterial und besticht mit Karten und ersten Wegweisern.
Drei Teile – Der Westen, Die Reise, Der Osten – hat das Buch und alle drei haben spezielle graphische Höhepunkte. Zeichnungen, Abbildungen, Briefe, Vergleiche, Fotos, Diagramme, Auswertungen, Notizen und vieles mehr schmücken die Ränder neben dem eigentlichen Kapitelinhalt. Der Leser wird ganz sanft anhand von Pfeilen an die wichtigen Bemerkungen gelenkt und sein bisheriges Bild des Gelesenen wird verstärkt und extrem intensiviert. Geschickt bringt Reif Larsen ab und an den Leser aus dem Lesefluss und lässt ihn aufschauen und tiefer über Text und das zugehörige Bild denken.
Fiktion ist nicht gleich Fiktion und in jeder Fiktion steckt etwas Realität.
An dieses Werk muss ich ständig denken, wenn ich im „Schiff“ lese. Ihr kennt das Schiff – „S – Das Schiff des Theseus“ von J. J. Abrams und Doug Dorst noch nicht? Am Sonntag habe ich im Artikel „Strakanische Theseus Lesegefühle„ darüber geschrieben.
Dieses Werk kann ich euch nur ans Herz legen – egal ob ihr mit aufs „Schiff“ kommt oder nicht. „Die Karte meiner Träume“ von Reif Larsen ist fast genauso aufregend gestaltet und vor allem detailliert und voller abenteuerlicher, wissenswerter Botschaften. Eine Karte die ihr dringend lesend erkunden müsst. Mir hat das Werk meine Weihnachtszeit im Jahr 2009 verschönert, denn ich bin in einer großen Lesegruppe durch den Roman gereist. Eine Reise – im wahrsten Sinne des Wortes.
Packt zusammen und auf geht´s…