Ein Roman zieht Kreise
Als ich bekannt gab, dass ich bald in den Roman eintauche, gab es Stimmen von vielen Seiten. Gespannte Literaturfreunde, Kritiker, aber auch Leser, die ohne zu wissen, um welches Thema es geht, vom Cover angezogen, neugierig worden sind und sich das Werk näher betrachteten.
Meine eigenen Neugierde steigerte sich von Seite zu Seite und bevor ich mich versah, waren die ersten 70 Seiten inhaliert. Wow. Ich konnte kaum aus dem Werk auftauchen, aber ich musste es. Meine Gedanken allerdings hingen weiter zwischen den Seiten und meine Gänsehaut wurde mehr und mehr. Schließlich gesellte sich ungewisser Ekel dazu. Aber warum?
Ob Mutter oder nicht, jeder kann sich vorstellen, wie schlimm es sein muss, sein Kind zu verlieren. Nicht ganz zu verlieren, kann wohl stellenweise sogar schlimmer sein, als es ganz zu verlieren. Carmel Summer Wakeford ist weg. Spurlos verschwunden, obwohl sie doch gerade noch da war. Vor wenigen Augenblicken ist die kleine Rot liebende Dame doch noch da gewesen. Panik kommt in Carmels Mutter auf, denn vor einiger Zeit schon, war Carmel weg. Doch es hat zum Glück nur wenige zähe Stunden gedauert, bis sie wieder auftauchte. Sie liebt den Nebel, träumt gern durch den Tag und ist einfach unter einem Baum im Irrgarten eingeschlafen.
Die alleinerziehende Mutter dachte damals, den schwärzesten Tag ihres Lebens durchlebt zu haben, doch es sollte schlimmer kommen, denn die Stunden zogen und zogen sich. Die achtjährige Tochter tauchte nicht wieder auf. Jedes Suchen war vergeblich. Ihre geliebte Tochter – verschwunden, wie das Flugzeug am Horizont, welches eben noch zu sehen war.
„Carmels Gesicht in Licht und Dunkel, ein anhaltendes Flackern wie bei einer Filmrolle, die gleich zu Ende ist.“ (Seite 39)
WAR ES MEINE SCHULD?
Fragenströme setzen sich nach und nach frei. Das Warum kreist durch den Raum wie eine lästige Stubenfliege und setzt sich genau dort nieder, wo es am unangenehmsten ist. Die Welt hört sich kurzzeitig auf zu drehen. Dann beginnt sie sich so schnell wie ein Karussell zu bewegen, denn die Zeit der Rechtfertigung beginnt, die Zeit der Erklärung, die Zeit der Schuld.
Eine alleinerziehende Mutter – angekommen am Rand des Lebensabgrunds. Unverständnis vom Vater der Tochter, keinen Kontakt zu ihren Eltern, beschäftigte Freunde…
Carmel lebt. Zwar weit weg von ihrem Zuhause, aber sie lebt. Ihr Opa ist bei ihr…
„Aber jetzt weine ich nicht mehr und versuche den Tag zu begreifen, der mir vorkommt wie ein schreckliches Puzzle mit gezackten Rändern und fehlenden Teilen.“ (Seite 73)
420 Seiten liegen nun seit ein paar Tagen hinter mir und doch denke ich immer wieder über das Werk nach. Ein Werk voller Dunkelheit, voller Leben und doch voller Hoffnung. Carmel und ihre Mutter zu begleiten, war nie leicht, aber auch nicht schwer. Ich habe mich geekelt und ich habe mich gefürchtet, ich habe geschrien und ich war voller Zweifel, denn ein Hauch Ungewissheit lag durchweg in der Luft. Was wird passieren?
Stellenweise war für mich das Lesen auf keinen Fall einfach, da ich an diesem Punkt im Leben bereits stand. Zwar ging es bei mir nicht um ein Kind, aber um einen Menschen den ich sehr liebe. Die Hoffnung nie aufgeben, dies habe ich gelernt und ich habe nie ans Aufgeben gedacht. Es ist aber verständlich, wenn die Hoffnung mal größer und mal kleiner ist. Die Zeit bringt uns Menschen an Punkte, an denen man nicht aufgegeben hat, allerdings in einem Sumpf angekommen ist, der den Namen Alkohol, vielleicht sogar Drogen und jede Menge Schlaflosig- und Fahrigkeit trägt. Aber es muss weiter gehen im Leben – es muss immer und immer weiter gehen.
Bedrückende Stunden habe ich im Werk verbracht und ich spürte lange Zeit den Drang, weiter lesen zu müssen. Lange Zeit, aber nicht die ganze Zeit.
„Ich komme mir vor wie ein zerquetschtes Insekt, denn für mich hat sich eben eine große Lücke in dem Puzzle gefüllt, die niemand für wichtig hält.“ (Seite 257)
Eine von euch denken vielleicht jetzt: „Los, sag schon, ist es gut? Oder nicht? Lesen? Nicht lesen? Komm – erzähls uns.“ Ich kann euch vor mir sitzen sehen und doch möchte ich nicht einfach Ja oder einfach Nein sagen. Wenn ich empfehle, dann empfehle ich so, als würde ich euch mit der Nase in eine große Geburtstagstorte drücken. Bei diesem Werk allerdings bin ich unsicher und ertappe mich, wie ich an ein Bewertungssystem in Sterne-Form nachdenke. Ich bewerte ungern in Sternen, würde ich jetzt und hier Sterne zur Hand haben, ich würde mich für drei von fünf entscheiden.
Kate Hamers erster Roman „Das Mädchen, das rückwärts ging„ (Arche) hat mich berührt, sogar sehr und doch war er mir persönlich stellenweise zu platt, mir fehlte schlicht und ergreifend der Tiefgang in einigen Szenen. Mit fortschreitender Seitenzahl gesellte sich die Langatmigkeit hinzu und es mischte sich ein wenig zuviel Spiritualität hinzu. Wobei das Wort vielleicht falsch ist, aber ihr Debüt drehte sich zu viel um die eigene Achse, jedenfalls empfand ich beim Lesen so.
„Ich habe es immer eher so gesehen, dass sie eine alte Seele hat.“ (Seite 28)
Trotz der bewegenden Geschichte konnte mich kein Charakter richtig von sich überzeugen. Die Angst, die Ungewissheit und die Hoffnung sind die elementaren Säulen, welche Gänsehaut erzeugen und sich einprägen. Allerdings nicht so tief wie ein Tattoo – eher wie ein abwischbares Henna.
Das Cover, überhaupt die ganze Aufmachung, ist allerdings grandios. Die weinrote Klappenbroschur, auf der groß zu lesen ist „Wo bist Du?“, überdeckt den Seitenschnitt und springt sofort ins Auge. Das Buch schreit regelrecht danach, gelesen zu werden und dem Blick des kleinen Mädchens im roten Kleid auf dem Cover, kann man nicht widerstehen. Es fleht mit seinem Blick und als Leser möchte man wissen, was mit ihr ist. Im inneren des Umschlags ist zudem ein umfangreiches Interview mit der Autorin selbst zu finden. Wirklich klasse.
Gebt nie euer Leben auf und erst Recht nie die Hoffnung!
Eure
Ich habe es im Reagl stehen, zögere aber noch. Dieses Thema….du verstehst???
Grusel pur, wenn man Kinder hat!