„Und jetzt? Wohin geht man, wenn man einen Roman von Merce Rodoreda ausgelesen hat? Man verweilt, schwärmt, möchte aus der Sphäre nicht entlassen werden – denn er ist nicht ausgelesen. Er steht noch im Raum. Wie nach einer Begegnung mit Charme fühlt es sich an.“ (S. 225)
So beginnt das Nachwort von Roger Willemsen zu „Der Garten über dem Meer“ (mare), dem erstmals ins Deutsche übertragenen Roman der großen katalanischen Autorin Merce Rodoreda.
Was bleibt? Ein Hauch des Duftes aus dem Garten? Das Rauschen des Meers, das unweit der Villa an den Strand spülte? Das Gläserklirren der mondänen Partys?
Ja, all dies bleibt und noch viel mehr. Dieser Roman hallt nach, lange lassen die leuchtenden Bilder das innere Leserauge nicht los. Man möchte unbedingt wieder zurück in den Garten und das Leben der Schönen und Reichen weiter beobachten, denn das ist der Clou dieses Romans, man ist nicht mittendrin, sondern nur eine Randperson. Erzählt wird aus den Erinnerungen des Gärtners, der sechs Jahre beschreibt, in denen ein junges Paar die Sommermonate in der Villa am Meer verbracht.
„Selbst wenn wir Gärtner ein bisschen anders sind als andere Leute, weil wir mit Blumen arbeiten, so arbeiten wir doch auch mit der Erde. Das eine gleicht sozusagen das andere aus. Aber bei ihr, ich meine, bei der Senyoreta, war es, als hätte man nur mit Blumen zu tun.“ (S. 13)
Ausschnitt- und somit auch bruchstückhaft sind die Erinnerungen des Gärtners. Doch gerade darin liegt der Reiz des Romans, muss man als Leser doch entstandene Leerstellen selbst versuchen zu füllen und sich damit abfinden, dass manche Fragen nicht geklärt und manche Geheimnisse eben nicht enthüllt werden können.
Sechs Jahre lang verfolgen wir die Geschehnisse in den Sommermonaten um Rosemaria und ihren Mann Francesc. Als dann noch Eugenie, Rosemarias eigentliche Liebe plötzlich auftaucht, spitzt sich die Dramatik immer mehr zu.
Eindringlich beschreibt Rodoreda die 20erJahre der Ära vor Franco, einer Ära, die im Begriff ist zu sterben, deren Dekadenz sich spiegelbildlich in der des jungen Paares zeigt. Verlust und Einsamkeit sind wiederkehrende Themen des Romans.
„Auch das gehört zum Innenleben dieses Buches: Zwar wird viel geredet, jede Figur aber hütet ihre eigene Einsamkeit. (S. 237)
Und immer wieder wartet man in dieser glanzvoll-melancholischen Atmosphäre, in der alles möglich scheint und dennoch so wenig gelingt, auf den Auftritt des großen Gatsby. Wie kein anderes Buch schafft es „Ein Garten über dem Meer“ dieselbe Atmosphäre wie der große Roman Fitzgeralds aufzubauen, ohne nachahmend zu wirken. Über beiden Werken liegt ein dichter Nebel aus Parfümwolken, Alkoholdunst, Partygelächter, ein diffuser Nebel, der an manchen Stellen undurchdringlich ist. So wie Gatsby seine Daisy anbetet, so liebten sich Eugenie und Rosemarie. In beiden Fällen stehen wir als Leser dazwischen, ob nun an der Seite des Gärtners oder Nick Carraways, wir erleben nur ausschnitthaft die große Tragik dieser Liebesgeschichte mit, können nur vermuten, ahnen, denn die Perspektive der Liebenden bleiben uns verwehrt. Wir sind Beobachter, Zuschauer.
„Der Garten über dem Meer“ ist ein stimmungsvoller, großartiger Roman, in dem man schwelgen kann und mit dem man vor allem herrliche Partys miterleben kann. Wenn auch nur am Rand, aber was solls.