„Ich habe 2013 nichts mit größerer Begeisterung gelesen. Das Buch ist ein kleines Meisterwerk der Schauerromantik, ein poetisches Juwel, wie man es nicht oft zu lesen bekommt.“ (Daniel Kehlmann)
Liest man dieses Zitat, welches zuoberst auf dem Cover prangt, wird man doch etwas stutzig. Kehlmann liest Fantasy? Geht denn das?
Überlegt man dann aber weiter und lässt Roman wie „Coraline“ oder „Das Graveyardbuch“ vor seinem geistigen Leserauge entlang ziehen, kommt man schnell zu dem Schluss: selbstverständlich geht das, denn Neil Gaiman ist ein absoluter Meister seines Fachs, keine schablonenhafte Fantasy, kein 0815 Kitsch.
Will man nun den neuesten Roman dieses außergewöhnlichen Autors rezensieren, steht man, wie so oft bei Gaiman, vor einem kleinen Rätsel. Wie fasst man das Gelesene in Worte? Gibt es dafür überhaupt welche? Kann man diese einzigartige Welt in schnöden Sätzen beschreiben?
Gaimans Romane brauchen immer eine gewisse Einwirkzeit in das Leserherz, denn seine Welten sind magisch, abgefahren, gruselig und vollkommen einzigartig. So auch in seinem neusten Roman.
Ein Mann kehrt anlässlich einer Beerdigung an den Ort seiner Kindheit zurück. Er besucht sein altes Haus, schwelgt in Erinnerungen, wird aber magisch von einer Farm am Ende der Straße angezogen, in der einst Lettie Hempstock wohnte, ein außergewöhnliches Mädchen, mit dem ihn eine Geschichte verbindet. Diese fällt ihm nach und nach wieder ein, als er sich am Ententeich der Hempstocks niederlässt, der, wie Lettie einst behauptete, ein Ozean in eine andere Welt sei.
Der Mann erinnert sich an eine Zeit, als er sieben Jahre alt war, den Kopf nur in den Büchern und keine Freunde hatte. Und er erinnert sich an seine erste Begegnung mit Lettie, die keineswegs harmonisch war, sondern von einem drohenden Unheil überschattet wurde. Eine Katze wurde überfahren, ein Mann beging Selbstmord, die Menschen begannen sich zu streiten, der Junge selbst wurde beinahe von einer Silbermünze im Schlaf erstickt. Etwas Böse schien sich in dem kleinen Dorf eingenistet zu haben. Als der Junge jedoch Lettie sowie ihre Mutter und Großmutter kennenlernt, scheint er die richtigen Menschen im Kampf gegen das Übel gefunden zu haben, scheinen diese 3 Frauen doch sehr mächtig und allwissend und nicht von dieser Welt zu sein.
Lettie und der Junge stellen sich dem Bösen und als alles wieder ins rechte Lot gerückt zu sein scheint, erhält die Familie des Jungen einen neuen Untermieter, Ursula Monkton, eine attraktive junge Frau, die sich schnell Zugang in die Herzen der Familienmitglieder verschafft und dem Jungen das Leben zur Qual macht, denn sie hat noch Großes mit ihm vor…
„Niemand sieht so aus, wie er in Wirklichkeit im Inneren ist. Du nicht. Ich nicht.“ (S. 149)
So auch Ursula Monkton. Hinter der äußeren hübschen Fassade verbergen sich verrottetes Fleisch und zerrissene Stoffbahnen.
Ja, Gaimans Romane sind schonungslos und zum Teil auch recht gruselig und brutal. Der Junge wird beinahe von seinem Vater ertränkt und muss Situationen mit ansehen, die für ein Kind seines Alters absolut nicht angemessen sind. Gaiman verwebt diese realistischen Problematiken mit einem einzigartigen Fantasygespinst. Es sind nicht die üblichen Fantasyhelden oder Bösewichte, die da aufeinandertreffen, sondern magische Neuschöpfungen, Wesen, die fern jeglicher Vorstellungskraft liegen. Ein Ententeich, der zu einem Ozean wird und dennoch in einen Eimer passt. Schattenhafte Vögel, die verrottete Stoffbahnen angreifen, alter- und zeitlose Wesen, die bereits vor Beginn der Erschaffung des Mondes auf dieser Welt waren.
„Der Ozean am Ende der Straße“ (Eichborn) ist ein magischer Fantasyroman, der dennoch realistische Problematiken des Erwachsenwerdens, wie Einsamkeit, Gewalt, Identität anspricht. Es ist aber auch ein Roman über die Phantasie der Kindheit, eine magische Zeit, in der ein Kreis im Gras zu einem Feenreif wird, in der man, ohne sich zu fragen, warum, an die Macht von Träumen glaubt. Leider geht diese Zeit viel zu schnell verloren und man wird gefangen in der tristen Wirklichkeit der Erwachsenenwelt.
Doch Neil Gaiman gelingt es mit seinem Roman „das, was unter dem dünn bemalten Gewebe der Wirklichkeit“ (S. 206) liegt, zu zeigen und die Magie der Kindheit, in der alles möglich ist, wiederauferstehen zu lassen.
Bini, nicht schon wieder ein Buch für meine WuLi…..
Ich habe das Buch vor kurzem gelesen und bin noch immer verzaubert davon! Eine tolle Geschichte und grandioser Schreibstil!
Liebe Grüße,
Uwe