Meistens denke ich mir für die Überschriften der Rezensionen etwas Besonderes aus, etwas, was die Seele des Buches pointiert. Diesmal musste ich nicht lange grübeln, denn der Titel des neues Romans von Joseph O‘ Connor sagt alles. Dieses Buch ist laut wie Punkrock, elegisch und poetisch wie die schönste Ballade und voller Leben.
Erzählt wird die fiktive Geschichte einer Bandkarriere aus den 80er Jahren. Aus der Sicht des ehemaligen Gitarristen der „Ships“, so der Name der Band, werden Aufstieg, Höhepunkte und die Niederlagen einer Rockband geschildert. Alles schon mal dagewesen, nix Neues könnte man jetzt denken. Doch weit gefehlt, denn Joseph O‘ Connor verbindet in seinem Roman die Geschichte einer Band mit der Geschichte einer außergewöhnlichen, zutiefst berührenden Freundschaft.
Robbie und Fran lernen sich in der Schule kennen. Anstatt die Schulbank zu drücken oder später an der Uni Vorlesungen zu besuchen, erkennen beide schnell ihre gemeinsame Liebe zur Musik. Schnell sind Gitarren und Verstärker gekauft und es kann losgehen. Die ersten Versuche sind noch sehr zaghaft, doch schnell zeigt sich ihr musikalisches Talent. Vor allem Fran, der spätere Frontman der „Ships“ entwickelt eine gigantische Singstimme, die seine geheimnisvolle Aura nur noch vergrößert. Gemeinsam geben die beiden Freunde erste Straßenkonzerte und die Band vergrößert sich, die Geschwister Trez und Seth kommen hinzu. Nun heißt es, durch Bars tingeln, in versifften Hotels schlafen oder, wenn die Kohle nicht reicht, gar unter freiem Himmel. Doch das ist egal, denn sie wollen Musik machen, nichts anderes zählt. Und endlich stellt sich der erhoffte Erfolg ein…
Ja, „Die wilde Ballade vom lauten Leben“ erzählt sicherlich eine typische Geschichte von den Höhen und Tiefen des Rock`n Roll. Es wird gejammt, gesoffen, geliebt und leider auch zu harten Substanzen gegriffen.
„Ein Song hüllt dich ein, hat eine Membran, durch die du schauen kannst, und verändert den Blick und das Licht.“ (S. 379)
„Hätte ich all das nocheinmal zu tun, kann ich nicht versprechen, dass es anders liefe, denn in meinem Herzen war ein Unglück, das mich zur Musik hintrieb, und was kann ein so Getriebener schon ausrichten?“ (S. 49)
Vor allem Fran zeigt sich dem Leser als ein Getriebener, ein Heimatloser, aus Vietnam, adoptiert, misshandelt. Eine charismatische Person, die niemanden so richtig an sich heran lässt, auch den Leser nicht, Einzig Robbie scheint sein Bezugspunkt zu sein. Sein bester Freund, dem er das Herz brechen wird.
Die Schilderung dieser Freundschaft ist es vor allem, die das Buch so einzigartig werden lassen. Ja, vielleicht hat O`Connor hier die kongenialen Rockduos Jagger/ Richards oder Lennon/ Mc`Cartney sich zum Vorbild genommen, aber er beschreibt diese tiefe Freundschaft der beiden Musik-Getriebenen so tief und gefühlvoll, dass es mir an mehreren Stellen die Tränen in die Augen getrieben hat.
„Es war, als liefen wir in einem Konfettisturm aus Songfetzen und geborgten Hoffnungen. Unseren Frust oder unsere Selbsterkenntnis in Musik auszudrücken, wurde zu unserem einzigen Daseinszweck.“ (S. 49)
Und in diesem Zitat zeigt sich ein weiterer Grund, warum dieses Buch trotz vermeintlich durchschaubarer Gesichte so genial und außergewöhnlich ist: O`Connor kann wahnsinnig gut schreiben, witzig, pointiert und gnadenlos beschreibt und analysiert er. Seine Zeilen graben sich tief in die Leseseele, so wie diese über eine der ersten Bandproben.
„Wären die Reiter Apokalypse in diesem Moment die Rutherford Road hochgekommen, ich glaube, wir hätten ihre finsteren Ärsche zurück in die Hölle befördert, oder besser noch, ihnen Eintritt abgeknöpft. Trez griff zur Geige und entlockte ihr ein Kreischen, dass ich am liebsten die Gitarre in Jimmys Vitrine gerammt und jedes Stück Waterford im Raum geköpft hätte.“ (S. 90)
„Die wilde Ballade vom lauten Leben“ ist ein absoluter Lese-, aber auch Hörgenuss, denn O`Connor schafft es, die Musik hörbar zu machen. Und dass ich so manches Mal beim Lesen kurz davor war, nach den „Ships“ zu googeln, um dann immer wieder enttäuscht feststellen zu müssen, dass die Band „nur“ erfunden ist, beweist einmal mehr O`Connors Musikverständnis und schriftstellerisches Talent.