Vergessen – das passiert im Laufe des Tages, manchmal innerhalb weniger Minuten, aber vor allem im Laufe unseres Lebens. Wir vergessen nun mal, auch wenn wir nicht krank sind.
ACHTUNG – bevor wir uns hier falsch verstehen – dies ist kein Krankheitsroman in diesem Sinne und jeder der jetzt denkt: „Nicht noch ein Roman in dem es um Alzheimer geht“, sollte unbedingt WEITERLESEN!
Unvergessen wird dieser Roman bleiben, denn er hat in mir unbeschreibliche Gefühle erzeugt und mich mit seiner umfassenden Handlung so stark beeindruckt, dass er zum Herzensbuch geworden ist. Meine absolute Empfehlung, mein Buchtipp des Lesemonats September 2014. In den Buchhandlungen steht er überall sichtbar in den Regalen und das ist auch sehr gut so.
Die knallorangen Punkte auf dem weißen Cover stechen ins Auge und das ist wichtig, denn ihr solltet auf dieses Werk aufmerksam werden. Ich muss es euch schmackhaft machen, denn ich liebe es so sehr.
Letzte Woche hat sich ein Marienkäfer im Krankenzimmer verirrt. Marienkäfer stehen für Glück und für Freude. Ich mag die kleinen gepunkteten Käfer. Ihr findet einen auf dem Cover, aber nicht nur, denn ihr werdet immer wieder einem Marienkäfer auf den Seiten begegnen. Lebenswegpunktekäfer – so habe ich sie in Zusammenhang mit Rowan Colemans Werk getauft.
„Was von uns übrig bleibt, ist die Liebe, die wir gaben und empfingen.“ (Seite 387)
Sogar während des Abtippens des Zitates überläuft mich eine Gänsehaut. Der Roman ist gespickt mit solchen wundervollen Zitaten die mitten im Herz treffen, über die stundenlang nachgedacht werden kann, muss.
Claire – der Hauptprotagonistin, die aus ihrer Sicht über ihr Leben erzählt, bin ich zuerst in die Arme gelaufen. Sie hat ein großes Problem. Das Vergessen. Ihr Hirn ist nicht mehr so, wie sie es kennt. Es spielt ein verwirrendes Spiel mit ihr und lässt sie Namen vergessen, Orte vergessen, Dinge verwechseln und stellt ihr bisheriges Leben auf den Kopf. Claire ist bewusst, was mit ihr passiert und versucht so gut es geht dagegen anzukämpfen, denn das Leben soll so gut es geht genossen zu werden und sie ist nicht der Mensch, der den Kopf in den Sand steckt. Sich dem Lebensverlauf stellen, auch wenn die Medikamente nicht wirken, ist ihr Ziel, denn sie möchte noch einige Dinge die von der Spur abgekommen sind, wieder gerade rücken, bevor sie es nicht mehr selbst kann. Ihre Lieblingsfarbe rot, wird zum roten Faden…
Claire ist bisher noch voll berufstätig, sie ist Lehrerin und jenseits des Alters, in dem üblicherweise die Demenz ausbricht. Sie ist 40 Jahre jung, ihre jüngste Tochter ist gerade mal drei Jahre und ihre große Tochter zarte 20. Das Leben der Familie wird auf den Kopf gestellt und mit dem Ausbruch der Krankheit gibt es viele neue Aufgaben. Das Leben ist eine Wundertüte und Claires Exemplar ist voll davon. Voll mit Liebe, voll mit Problemen und vor allem mit einem Erinnerungsbuch bestückt, in welchem ab sofort alle Familienmitglieder Erinnerungen und wichtige Lebensmomente festhalten sollen…
„Wenn ich über Liebe nachdenke, dann denke ich immer, dass Liebe etwas außerhalb unserer selbst ist. Etwas, das über Sex und Verliebtheit hinausgeht. Und wenn wir mal nicht mehr sind, bleibt nur die Liebe übrig.“ (Seite 142)
Rowan Coleman lässt nicht nur Claire über ihr Leben erzählen. Sie öffnet uns Lesern das Erinnerungsbuch und gewährt uns tiefe Blicke in ihre persönliche Vergangenheit. Nicht nur wichtige Lebenspunkte bringt sie uns nahe, sie lässt ebenso die Gegenwart einfließen. Ihre Tochter Caitlin, ihr Mann Greg, wie auch Claires Mutter, lassen Erinnerungen einfließen und geben ihre Sicht der Dinge klar und eindringlich wieder.
Das Verschmelzen der Rückblicke mit der Gegenwart und den Zukunftsgedanken ist kaum in Worte zu fassen. Der Roman ist ein Meisterwerk der Erzählkunst. Claire steht trotz ihrer fortschreitenden Krankheit nicht immer im Mittelpunkt, denn das Leben dreht sich weiter und ihre Tochter Caitlin erfährt ihr bisher unbekannte Dinge und durchlebt eine Phase, die ihrer Mutter Claire sehr bekannt vorkommt. Türen zur Vergangenheit öffnen sich, aber auch Türen der Zukunft.
„Erst wenn man seine persönliche Komfortzone verlässt, merkt man, was man alles schaffen kann. Ich habe jetzt zum ersten Mal das Gefühl, genau das zu tun. Ich habe das Gefühl, mich außerhalb meiner Komfortzone zu bewegen, und das ist gleichermaßen faszinierend und schrecklich.“ (Seite 256)
Auch dieses Zitat brennt sich ein, trifft auf mich in mehreren Hinsichten zu und hat mir persönlich Bestätigung und Kraft gegeben. Und die Erkenntnis, dass es wichtig ist, seine Komfortzone ab und an zu verlassen…
Der Roman hält eine Familiengeschichte bereit, die für uns Frauen bestimmt ist. Ich konnte dieses Werk kaum beiseite legen, ich war regelrecht gefangen. Nein, ich war noch nie so nah bei den Protogonisten, wie in Colemans Werk. Die Charaktere sind so wahnsinnig tief angelegt, dass es sich so anfühlt, als ob man selbst ein Familienmitglied ist.
Das Erinnerungsbuch, die Rückblenden, die Briefe und das Leben an sich, lassen diesen Roman zu einem eigenen Stück Leben werden. Mir fiel der Abschied so schwer wie nie und ich musste am Ende Lachenweinen, aber es war ein Lachen unter Tränen der Fröhlichkeit. Unbeschreiblich.
Ich selbst kenne die Alzheimer-Krankheit nur von Erzählungen oder aus Romanen in denen vorwiegend über die Betroffenen gesprochen wird. Die Autorin lässt hier zu, dass die Betroffene selbst über sich spricht, ihre Gedanken und Empfindungen sichtbar macht. Diese Erzählperspektive ist wahnsinnig eindringlich und bringt die Krankheit und das Verstehen der Krankheit näher. Aus meiner Sicht sollten Menschen, die Betroffene in ihrem Umfeld haben, unbedingt die Bekanntschaft mit Claire machen. Claire kann helfen – davon bin ich überzeugt.
Während ich diese Zeile schreibe, rollen mir Tränen über die Wangen und ich merke, dass ich selbst nach einem Monat immer noch im Roman verankert bin. Diese Geschichte hat mich zutiefst bewegt und ich bin ergriffen vom Ausmaß der Handlung. Claire und Caitlin haben mich selbst von meinem Krank im Krankenhaus abgelenkt und mich mit in ihr Leben genommen. Ihre Liebe, ihr Zusammenhalt und alles was die Familie gemeinsam erlebt und geschafft hat, haben mich gestärkt und gleichzeitig sprachlos gemacht.
„Einfach unvergesslich„ (Pieper) werde ich nie vergessen können. Gerade das Ende hat mich zum Taumeln gebracht und die Liebe aus allen Worten, egal ob helle oder dunkle, spüre ich immer noch. Nicht nur der Titel und die Cover- und Innengestaltung gehen Hand in Hand – das Werk an sich ist ein Kraftpaket der Wortvoluminität.
LESEN – ALLE – DRINGEND!
Hallihallo!
Da ich von deinem aktuellen SuB Voting leider noch nichts gelesen habe und mich die Bücher eher weniger interessieren, bin ich durch Zufall auf diese wundervolle Rezension gestoßen!
Wo darf ich unterschreiben?!?
Du sprichst mir so aus der Seele! Auch ich habe das Buch erst vor kurzem gelesen und war mehr als begeistert! Es hat mich unglaublich berührt auch wenn ich manchmal nicht wusste, ob ich lachen oder weinen sollte! Mutter und Sohn als Spielkameraden…einfach unbeschreiblich!
Für mich wird „Einfach unvergesslich“ jedenfalls unvergesslich bleiben!
Liebe Grüße
Steffi
Liebe Steffi, eines meiner Lesehighlights des Jahres – wie du sagst, dieser Roman wird unvergessen bleiben – da gehen wir echt Hand in Hand. Ich kann diesen Roman nur dringend empfehlen und bin noch tief bewegt und wie du – zwischen lachen und weinen.
Danke für deine Worte, dieser buchige Austausch tut sehr gut und dort ist das Feld für die Unterschrift *g*