Ein Roman in schwarz-weiß.
(Quelle: N24 vom 09.10.2014)
Die diesjährige Juriyentscheidung gilt als große Überraschung, wurden doch im Vorfeld andere „große“ Namen, wie Umberto Eco, Philipp Roth oder Cees Nooteboom gehandelt.
Und dennoch konnte sich Patrick Modiano behaupten, konnte überzeugen, konnte verzaubern. Verzaubern vielleicht vor allem mit seinem 2012 erschienen Roman „Im Cafe der verlorenen Jugend“ (Hanser Verlag), einer Hommage an das Paris der 60er Jahre, aber auch eine Suche nach Halt, nach einem Anker in unserer flüchtigen Zeit.
Aus vier unterschiedlichen Perspektiven wird aus dem Leben der jungen, geheimnisvollen Louki erzählt, die eines Tages im Condé, einem Künstlercafe, auch das Cafe der verlorenen Jugend genannt, auftaucht.
Die vier Stimmen, zwar mit Namen versehen, aber dennoch körperlos, erzählen von dieser jungen Frau, von ihrer Suche nach Identität, nach Geborgenheit, nach der Liebe. Sie erzählen aber auch von sich selbst, ihrem Leben in der sich zu schnell drehenden Wirklichkeit und von ihren Strategien, sich irgendwo festzuhalten, etwas bleibendes zu schaffen. So führt z.B. ein Stammgast des Condé ein Journal, in dem er jeden Gast, der eintrifft mit Uhrzeit und Adresse festhält.
„Er war besessen von etwas, das er „Fixpunkte“ nannte. In dieser ununterbrochenen Flut von Frauen, Männern, Kindern, Hunden, die vorüberziehen und sich irgendwo in den Straßen verlieren, würde man gerne von Zeit zu Zeit ein Gesicht festhalten.“ (S. 18)
Gibt es überhaupt etwas Dauerhaftes in diesem Leben? Wie kann man sich erinnern, wie sich zurechtfinden in dem sich dauernd wechselnden Strudel?
„Sind wir denn verantwortlich für die Statisten, die wir uns nicht ausgesucht haben und denen wir am Beginn unseres Lebens über den Weg laufen?“ (S.. 124/125)
Das sind Fragen, die der Roman stellt, Fragen an den Leser, an die Stimmen des Buches, an Louki, an jeden. Wer eine Antwort auf diese erwartet, wird enttäuscht werden, denn die liefert das Buch nicht. Vielmehr entführt es den Leser auf noch ungedachte Pfade, lässt ihn eigenwillige Menschen, verrauchte Künstlercafes, das magische Paris selbst kennenlernen.
Obwohl das „Cafe der verlorenen Jugend“ mit seinen knapp 160 Seiten ein vergleichsweise schmales Bändchen ist, ist der Inhalt überwältigend. Modiano gelingt es mit einer assoziativen Sprachgewalt, die dennoch schlicht und unverschnörkelt ist, den Leser in eine atemberaubende Stadt zu entführen, die vielleicht wie keine andere auf dieser Welt der Ort ist für existentielle Fragen, die Fragen nach dem Sinn und dem Sein ist.
Würde man dieses Buch verfilmen, wäre trotz neuster Technik eine Schwarz-Weiß-Verfilmung die angemessenste, denn sie schafft wohl als einzige die Melancholie und Atmosphäre dieses wunderbaren Stücks Literatur einzufangen.
Der Literaturnobelpreis geht an einen Geheimfavoriten, doch Modiano wird nicht mehr lange ein Geheimnis bleiben, sondern die Herzen der Leser im Sturm erobern.
Schon seit dem Studium ist Modiano eine Größe auf meinen Leselisten und es hat mich so gefreut, als er den Preis bekommen hat! Eine wundervolle Besprechung eurerseits <3