Liebe Melanie Thornton,
du wunderst dich bestimmt, warum ich dir schreibe. Darf ich dich einfach duzen? Ich mach es einfach, da ich mich dir so näher fühle. Wahrscheinlich wunderst du dich überhaupt nicht über die Zeilen, da dich mein Brief nie erreichen wird. Du bist leider schon vor einigen Jahren von uns gegangen und ich war damals sehr erschüttert und bin es heute immer noch. Am 24. November 2001 wolltest du nach Zürich fliegen. Das Flugzeug stürzte ab. Jedes Jahr um die Weihnachtszeit höre ich mein Lieblingslied von dir: „Wonderful Dream“ – ich nenne es immer „CocaCola-Song“. Ich liebe es so sehr.
Warum ich dir schreibe?
Ich habe gerade Ava Dellairas Werk „Love Letters to the Dead„ (cbt) beendet und mir war sofort klar, dass ich meine Gefühle und Gedanken nur anhand eines Briefes an dich niederschreiben kann.
Ava Dellairas Hauptprotagonistin Laurel bekommt in der Schule die Aufgabe, einen Brief zu schreiben. Im Englischunterricht soll dies geschehen, aber nicht an irgendwen, sondern an eine verstorbene Persönlichkeit. Als ich die Aufgabe laß, musste ich zuerst an dich, Melanie, denken und Laurel verfasste ihren ersten Brief an Kurt Cobain. Meinen zweiten Brief hätte ich wohl an ihn verfasst. Er hat mich jahrelang von einem Poster in meinem Zimmer beobachtet, manchmal habe ich sogar mit ihm gesprochen.
„Man muss sich im Leben auch mal selbst ans Steuer wagen, statt immer nur Passagier zu bleiben.“ (Seite 29)
Laurel ist neu auf der West Mesa High, da sie einen unvorbelasteten Neuanfang wollte. Alle ihre Freude sind auf die Sandia High gewechselt, die Schule an der auch Laurels Schwester May war. May ist tot, genau wie Kurt und du. Mich überkommt gerade eine Gänsehaut. Ich schreibe heute zum ersten Mal so einen besonderen Brief und ich komme mir vor wie Laurel. Ich muss den Brief allerdings nicht abgeben und doch werde ich ihn zeigen. Der Brief wird auf meinem Literaturblog veröffentlicht, als Buchbesprechung in besonderer Form sozusagen. ich bin gespannt, wie die Leser reagieren werden. Laurel sollte ihren Brief am Ende der Stunde abgeben. Sie traute sich nicht und scheinbar ahnte ihre Englischlehrerin auch, dass sie bei Laurel Geduld haben muss.
Nach dem ersten Brief an Kurt merkte Laurel schnell, wie gut ihr das Schreiben tut. Sie wendete sich in ihrem dritten Brief an Judy Garland. Warum sie die Schauspielerin auswählte, begründete sie gleich zu Beginn, so wie ich es bei dir tat, liebe Melanie. Oftmals stehen Laurels Gründe aber im Zusammenhang mit ihrer toten Schwester May. So viele Situationen sind mit ihr verbunden, so viele gemeinsame Erlebnisse, schöne, aber auch schlechte Zeiten. Doch Laurel schreibt nicht nur von ihrer Schwester, sie beleuchtet genauso intensiv ihre Umgebung. Über ihre neuen Freundinnen Hannah und Natalie gibt es viel zu berichten und auch sich selbst betrachtet sie immer wieder. Sie möchte wie May sein, aber auch Laurel sein und doch…
„In diesem Moment hab ich ganz deutlich gespürt, dass etwas zwischen mir und der Welt steht. Etwas wie eine Glasscheibe, die zu dick ist, um sie zu durchbrechen. Ich kann mir zwar neue Freundinnen suchen, aber sie werden mich niemals wirklich kennen, weil sie meine Schwester nie kennenlernen können – den Menschen, den ich am allermeisten geliebt habe.“ (Seite 86)
Neben Kurt Cobain und Judy Garland, schreibt Laurel Elizabeth Bishop, River Phoenix, Amelia Earhart, Amy Winehouse, Janis Joplin, Allan Lane, Jim Morrison, John Keats, E. E. Cummings und Heath Ledger. Einige davon kennst du, richtig? Ich kenne mich nicht so aus in der Welt der Stars, aber mein Mann konnte viel Licht in mein Star-Dunkel bringen. Einige der genannten zählen zum „Club 27“, wie ich mittlerweile weiß.
Love Letters to the Dead
Laurel fühlt sich einigen Stars nah und dutzt diese, andere siezt sie bis zum Schluss. Eine Vielzahl von Briefen benötigt Laurel um sich zu finden, um ihr Leben wieder richtig leben zu können. Das Niederschreiben hilft ihr sehr, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Wir Leser erfahren schreckliche Dinge. Worte wie Missbrauch und Gewalt werden nach und nach sichtbar, sie schwebten allerdings lange unausgesprochen zwischen den Zeilen. Einige Briefe sind beklemmend und verstörend, aber auch lustig und lebendig. Eine facettenreiche Mischung voller Feinfühligkeit. Heikele und sehr wichtige Themen werden in Laurels Briefen angesprochen und ohne Schnörkel, die oftmals zu weich zeichnen, präsentiert.
„Die Wahrheit ist deshalb schön, weil sie wahr ist. Selbst wenn sie schlimm ist oder Angst macht, ändert das nichts. Was wahr ist, ist schön. Es ist hell und rein und macht dich zu dem, was du in Wirklichkeit bist.“ (Seite 210)
Der Kloß im Hals bleibt nicht aus und das ist auch sehr gut so. „Love Letters to the Dead“ besteht komplett aus Briefen, auch der Epilog. Dieser Brief allerdings ist nicht an eine tote Persönlichkeit gerichtet, mehr verrate ich aber an dieser Stelle nicht. Ich mag Romane in Briefform sehr, sie sind so besonders, so persönlich. Dass Cover und Titel dem amerikanischen Original entsprechen, finde ich richtig gut. Obwohl wir oft erleben, dass in Deutschland die Cover schöner sind, aber die Titel verfälschen, bilden hier Cover und Titel eine Einheit. Es passt einfach!
Ich bin sehr begeistert von diesem Werk und ich mag Laurel sehr gerne. Sie hat mir viel erzählt, mir ihre schwarz-weiße Welt bunt gemalt und nicht nur mir. Sie hat jedem Brief wahnsinnig viel Leben eingehaucht. Geheimnisse, Gedanken, Begebenheiten – sie hat alles einfließen lassen und jedem Star das erzählt, was er wissen muss, was sie und May mit ihm verbindet. Auch die Liebe ist ihren Briefen thematisiert und zwar nicht nur die Liebe zwischen Mann und Frau, auch die Liebe zwischen zwei gleichgeschlechtlichen Menschen in ihrem Umfeld.
Liebe Melanie, ich werde auch in diesem Jahr wieder meinen Lieblingssong von dir hören und laut mitsingen. Vielleicht beobachtest du mich, vielleicht liest du ja sogar doch diese Zeilen. Vielleicht siehst du einen der genannten Stars und erzählst ihnen von Laurel und ihrer Schwester. Vielleicht können wir euch hören – Laurel glaubt daran und ich jetzt auch.
„Wir waren da. Wir haben nicht umsonst gelebt.“ (Seite 396)
Danke fürs Zuhören Melanie.
Eure
Awww ♥ Bini, du hast mein Herz gerade zum Schmelzen gebracht. Was für eine wundervolle, absolut schöne, tief ergreifende, berührende Rezension. Ich bin hin und weg, du hast genau die richtigen Worte gefunden. Melanies tod hat mich damals auch sehr umgehauen, ich mochte ihre Songs… und sie war noch so so jung.
Jetzt muss ich das Buch lesen. Und an wen mein Brief gerichtet ist, weiß ich schon… ♥
Ich drück dich!
Sandra
Liebe Sandra, deine Worte hier – damit hast du gerade dick ins Herz getroffen und die liebe Melanie da oben freut sich hoffentlich irgendwie und kann die Zeilen lesen. Schnief.
Ich freue mich und danke dir sehr. Mir hat das Werk echt gefallen und ich konnte nicht anders, als eine Rezi in Briefform zu verfassen.
Umarmung – eine dicke.
Liebe Bini,
ich will ganz ehrlich sein. Als die Mail mit dem Blogpost kam und ich sah, dass es sich um eine Rezension zu „Love letters to the dead“ handelt, dachte ich „Och nee, nicht das schon wieder!“. Dann habe ich die Mail trotzdem geöffnet. Deine ersten Worte haben mich neugierig gemacht, so dass ich dann doch den ganzen Blogpost gelesen habe. Der ist Dir wirklich ganz fantastisch gelungen! Mit den Stars kenne ich mich auch nicht so gut aus, und den ganzen Hype um Kurt Cobain habe ich nie verstanden.
Ich freue mich, dass dich das Buch zu einer solch wundervollen Rezension inspiriert hat.
Liebe Grüße
Mona
Meine liebe Mona,
bei dir wollte ich mich öfters melden, aber ich freue mich umso mehr, dass du immer mal vorbei guckst – du hast mich abboniert? Fühle mich geehrt, absolut und wir treffen und mal in BS – das ist versprochen ohne Ende.
Kurt Cobain ist einfach Kurt Cobain – ja…schön, dass du hier vorbei geguckt hast und ich dich mit den Zeilen berühren bzw. inspirieren konnte. Da strahlt mein LiteraturHerzmenschenHerz.
Umarmung für dich
Liebe Binea,
Love Letter to the Death hat mich berührt und ehrlich gesagt kam mir beim Lesen die Idee ebenfalls eine Briefrezension zu erstellen. Ich glaube das bietet sich bei diesem besonderen Buch an.
Dann habe ich über Facebook von deiner wundervollen Rezension erfahren und hatte erst Bammel meine Brief Idee umsetzen, schlussendlich wage ich den Versuch weil es anders nicht geht.
An eine Berühmtheit richtet er sich nicht, da mir keine einfällt, obwohl ich Heath Ledger auch sehr mochte.
Laurel hat mich beeindruckt, als sie Kurt Cobain ehrlich die Meinung gesagt hat was sie von seinem Tod hält. Ob seine Tochter das Buch lesen würde und ob es bei ihr auch einen Nerv treffen würde.
Die Idee die hinter dem Buch steckte, gefiel mir.
Lieben Gruß Cindy
Liebe Cindy,
was für eine wundervolle und emotionale Antwort. Wow. Danke für die Worte zu meiner Besprechung. Ich habe leider keine Worte bei dir auf dem Blog gefunden, gib mir doch den Link demnächst, ich mag gern drin lesen.
Es hat so gut getan, diese Zeilen zu verfassen. Das Sagen der Meinung ist grandios, überhaupt die ganze Art und wie du sagst – die Idee. Ich habe die Zeit im Werk sehr genossen.
Meld dich bald wieder. Bini
Liebe Bini,
deine Antwort hat mich dazu gebracht, gerade eben meine Rezension zu dem wundervollen Buch zu veröffentlichen. 🙂
Du hast recht es hat gut getan, die Rezi in Briefform zu schreiben. Für mich war es nicht nur persönlicher, sondern auch leichter.
Das sollte ich mir im Hinterkopf behalten, wenn ich mal wieder kramphaft vor dem weißen Bildschirm sitze und ich die ersten Worte nicht finde.
Der Link zur Rezension: http://kumosbuchwolke.blogspot.de/2015/05/rezension-zu-love-letter-to-death-von.html#more
Lieben Gruß
Cindy
Ganz genau, liebe Cindy. Immer einen einfachen Weg nehmen und frei vom Herzen weg schreiben – umso schöner wird es für dich und deine Leser.
Dein Brief ist sagenhaft, ich habe ihn gerne gelesen. Danke sehr.
Umarmung – Bini