Ein kleiner Junge, umhüllt von einer Frau im Federkleid, geborgen und geschützt. Das Coverbild von Malzieus zweitem Roman schickte uns sofort in eine Märchenwelt. Die rote Himmelsfarbenpracht auf der Coverinnenseite verstärkte den Wunsch, von Worten umhüllt zu werden und endlich loszulesen.
Wie bereits von seinem Werk „Die Mechanik des Herzens“ wollten wir verzaubert und berührt werden und vor allem den Pulsschlag des Lesens erneut fühlen.
Das ständige Fallen, das harte Aufschlagen und die Ungeschicktheit bescherten Tom „Häma-Tom“ Cloudman den Ruf des schlechtesten Stuntmans aller Zeiten. Doch der Unglücksrabe kann es nicht lassen und versucht immer und immer wieder den kurzen Moment des Abhebens, des Fliegens, zu erzeugen. Seine Tollpatschigkeit zeichnet ihn aus und seine Unangepasstheit grenzt ihn von der Gesellschaft ab, aber Tom denkt keinesfalls daran, sein Hobby aufzugeben, eher daran, damit durch die Welt zu ziehen.
Der Tag, an dem er mit einem Auto zusammenstößt, wird zum Tag der Veränderung. Obwohl er diese nie gewollt hat, wird er schlagartig damit konfrontiert, denn nachdem er im Krankenhaus erwacht, muss er erfahren, dass er unheilbar krank ist.
Tom Cloudman hat einen Tumor an der Wirbelsäule, er hat eine Rote Bete, wie er den Tumor betitelt, in sich, die wächst und Tom von Tag zu Tag mehr auf sich aufmerksam macht.
Doch nicht die Rote Bete sorgt dafür, dass sich Tom im Krankenhaus verändert, sondern eine Frau namens Endorphina, eine Vogelfrau, sorgt nach und nach für eine Wandlung. Ihrem Angebot kann Tom nicht widerstehen und die Liebe erwacht aufgrund eines Pakts…
Häma-Tom und Endorphina, Metapher-Namen die den gesamten Roman durchziehen. Der Schmerz und die Linderung dessen, aber auch das Glück und die Liebe, sind in dem Märchen für Erwachsene zu finden.
Wir stürzten uns auf Malzieus Zeilen, als ob es kein Morgen gäbe, da er uns bereits einmal überzeugte und uns war die Thematik des Werks egal, da wir in seiner Art zu schreiben baden wollten. Das Wortbad genossen wir umfassend und uns wuchsen während des Lesens Flügel, aber wir schafften es nicht bis zum Rand des Himmels.
Metamorphose bedeutet Veränderung, Verwandlung, Umgestaltung und genau dies suchten wir. Unser Lesen sollte sich verändern, Mathias Malzieu sollte unsere Gefühle wandeln und uns Flügel verleihen, aber er schaffte es nicht ganz. Leider!
Der Tod ist im Roman übermächtig, dies wird gleich zu Beginn deutlich und dass die Liebe versucht diesen zu verschönern, nahmen wir ebenso an. Das Wörterkleid umhüllte uns während des Lesens und wir erfreuten uns am Keim des wachsenden Liebesbandes zwischen Tom und der Vogelfrau. Wir trieben zwischen romantischen Bildern und genossen die gefühlige Märchenwelt, die von Seite zu Seite vor uns errichtet wurde.
Malzieu schreibt in vielen kurzen Kapiteln, gehaltvolle Wörter nieder, die den Lesehunger stillen und gleichzeitig schüren. Zudem sorgt er dafür, dass seine Art des Schreibens nicht zulässt, den Roman über mehrere Tage zu lesen. Wir wollten uns in dieses Werk verlieben, wir waren dafür bereit und doch hat unsere Liebe kleine Risse.
Stellenweise wollte der Frontmann der französischen Band “Dionysos“ einfach zu viel und eine bestimmte Frage ließ uns immer wieder schwanken und den Rezensionswortefluss unterbrechen.
An welche Zielgruppe richtet sich der Roman? Welches Literaturpublikum möchte Malzieu erreichen?
Er erreichte uns, weil wir ihn bereits lesend trafen und wir ihm vertrauen. Aber kranken Menschen können wir diesem Roman nicht empfehlen, weil ihm schlicht und einfach der Hoffnungsgedanke fehlt. Die Liebe bestimmt einen großen Teil und hilft zu lindern, hilft zu verschönern, aber sie sollte aus der Tiefe kommen und nicht aus einem Pakt heraus wachsen.
Es ist schwer eine Zielgruppe zu bestimmen, wenn man es müsste und wir wären froh, wenn Leser, die das Werk lieben, vielleicht helfende Kritik beisteuern könnten.
Leser die den Erstling von Malzieu lieben, werden auch diesen Roman lieben! Trotz einem Ende, welches ein wenig unverständlich war und prägnanter hätte sein können und den zwei skurillen Begebenheiten, die für Leseunterbrechungen sorgten, wird sich das Werk im Herz einnisten.
Malzeu schreibt voller Gefühl, erzeugt wunderschöne Bilder, die Emotionalität ist vorhanden und doch, sind immer dann die Federn aufgewirbelt, als wir uns in seine Wortnester kuschelten und das romantische Federnhaus löste sich auf.
Wir sind hin- und hergerissen und empfehlen euch, selbst zu entscheiden, ob ihr zugreift oder nicht – entscheidet spontan, am besten, wenn ihr vor dem Regal in der Buchhandlung steht.
Auch wenn wir nicht gerade euphorisch sind, werden wir seinen dritten Roman wieder lesen. Malzieu hat uns so oder so an seiner Autorenbacke. 😉
Eine schöne Kritik! Ich greife hier auch gleich mal Eure Bitte nach Kritik auf und versuche, meine Gefühle in Worte zu fassen. Ich bin ganz unvorbereitet auf den Roman „zugestürmt“, ohne vorher Inhaltsangaben, Klappentext etc. gelesen zu haben. Die Erinnerung an „Die Mechanik des Herzens“ hatte mir genug Euphorie verliehen. Doch dann, nach dem Unfall, kam die Krebsdiagnose des Protagonisten wie ein Hammer. Für mich ein „nicht-schon-wieder-Moment“, ohne das abwertend zu meinen. Grund dafür ist (ich bin hier jetzt komplett offen, was mir nicht leicht fällt….) die schwere Krebserkrankung meines Vaters. Es werden bald drei Jahre Kampf gegen diese Krankheit. Große Hoffnungen, die innerhalb von Minuten zerstört werden können, wie bei uns vor 3 Wochen, als die „Rote Beete“ auf einmal nach hoffnungsvollen Momenten mit vollster Aggressivität wieder da war. Begriffe, wie „letzte Chance“, „sieht nicht gut aus“, „entweder… oder“, dominieren das Leben mit einer brutalen Gewalt. Und dieses wird im Roman auf eine märchenhaft, verschleierte Weise deutlich. Der von Euch erwähnte fehlende Hoffnungsgedanke trifft zu, wobei er andererseits die klare Realität wiederspiegelt. Man bekommt diese Diagnosen und die Folgen leider nicht sonderlich sensibel vermittelt, sondern nüchtern und sachlich serviert. Da kommt für mich die Figur der Endorphina ins Spiel – einerseits die „Flucht“ des Patienten vor dem Schmerz, dem Leid… und andererseits als Mittel der Verdrängung und des Wegschiebens. Aber ich stimme zu, Liebe ist kein Pakt, Liebe muss wirklich aus dem Innersten des Menschen kommen, denn in einer solchen Situation zueinanderzuhalten und das gemeinsam durchzustehen erfordert mehr als nur menschliche Kraft – das kann nicht auf Basis einer Vereinbarung passieren.
Zum Lesepublikum: schwierig, sehr schwierig. Habe ich gerade auch keine direkte Antwort drauf, aber der Roman weckt in mir das Gefühl, dass Malzieu damit auch irgendwelche eigenen Erlebnisse verarbeiten möchte und deswegen einiges so schleierhaft bleibt. Habe Den Roman innerhalb von 2 Stunden verschlungen und danach sind die Tränen gelaufen, ich mochte ihn sehr, aber wie auch bei euch wurde es für mich nicht die ganz große Liebe!
Danke für diesen tiefen Kommentar, liebe Julia.
Wir geben dir da völlig recht, die Realität ist leider meist so hart und nicht immer mit Hoffnung bestückt. Malzieu malt schöne Bilder um die Krankheit und mit Endorphina wird alles etwas leichter…ABER…es fehlt an der richtigen tiefen Liebe die uns fliegen lässt…ein Pakt ist da zu plump…
Uns wären beinahe die Tränen gelaufen, wir schwanken…
Die Kritik gefällt mir auch sehr gut!
Aber auch Deine Worte, liebe Julia, sind sehr beeindruckend.
Krebs ist ein Arschloch. Und dass Ihr da alle eine so lange Zeit gegen kämpfen müsst, ist wirklich sehr heftig…
Ich wünsche Euch weiterhin genügend Kraft und Ausdauer!
Und wenn der Kampf irgendwann verloren scheint, dann sollte man loslassen können… auch dafür wünsche ich Euch Stärke!
Wir sind gerade ergriffen von euren Worten und wir halten alle Daumen für alle Betroffenen.
Loslassen können…*schnief*
Krebs ist ein Arschloch *unterschreib*
und scho isse wieder am heulen… für Krebs muss Arschloch neu definiert werden….
*drückendichdoll*
*ichdrückdollemit*
Wünsche alle Kraft…
Bianca hat alles wichtige im Artikel mit gefühlvollen und kritischen Worten beschrieben. Eines möchte ich für mich verdeutlichen.
Ich bin Malzieu-vewöhnt. Liebe seine Sprache und die Kraft seiner Metaphern. Hier ist alles verbildlicht – die Namen, die Federn und letztlich ist auch der Krebs nur ein Bild für jede finale Krise.
Mir fehlt die Selbstlosigkeit des Helfens. Endorphina ist eine Händlerin, war mir nie sympathisch und half auf Grundlage eines Deals. Das hatte Züge von Faust und Mephisto.
Der Kranke verliert ultimativ hoffnungslos. Entweder als Mensch oder nach erfolgter Metamporphose als Vögelchen.
Ich mochte diese Bilder nicht. Sie sind mir zu wahllos und beliebig. Wozu das alles? Ich kann das kaum beantworten.