Hool
Es gibt Buchtitel, die provozieren einfach. Zumindest mich. Buchtitel wie „Tu dir weh„, „Blutsbrüder„ oder eben dieser hier – „Hool“. Das Design in schwarz-weiß und die Schriftart verstärken die Provokation nur noch. Gut so, denn Bücher dürfen das und ich habe nicht lange standhalten können. Ich habe mich innerhalb kurzer Zeit durch den Roman gehoolt. Nicht weil er auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2016 steht, sondern weil mich das Thema einfach interessiert. Ich bin der extremere Lesetyp und ich mag außergewöhnliche Bücher und ich bin Fußballfan und ich kenne so einige Geschichten aus meinem Umfeld zum Thema. Und genau aus diesen Gründen habe ich es gelesen. Vielleicht sogar ein wenig mitgehoolt…
Gleich auf der ersten Seite lese ich den Namen meiner Heimatstadt. Das bleibt wohl bei diesen Büchern nicht aus und gehört wohl auch dazu. Der wilde Osten. Doch Autor Philipp Winkler bleibt im Westen Deutschlands und beschreibt gleich zu Beginn den ersten Zusammenstoß zweier Fangruppen in einem abgelegenen Stück Wald. Hannover gegen Köln – Köln gegen Hannover. Die Gruppe um Axel ist eindeutig stärker. Axel ist der Anführer der Hannoveraner Hooligans und gleichzeitig der Onkel von Hauptprotagonist und Anführeranwärter Heiko Kolbe. Zähne werden herausgeschlagen, es wird getreten und geschlagen, es blutet, Ohnmachten sind nahe und am Ende liegen die Verlierer und die Gewinner stehen und eilen möglichst unbemerkt zurück in ihren Heimatort. Ein ganz normales Match. Ein Match, ein Wettkampf, ein Zeigen, ein Beweisen, ein Adrenalinrausch der bald wiederholt werden will, sobald die Blessuren verheilt sind.
Hannover – Braunschweig
Das Gym von seinem Onkel ist Heikos Heimat. Mehr hat er nicht, nachdem er ohne Abschluss im Leben angekommen ist. Seine Familie ist keine mehr und war auch keine. Die Mutter ist weg, der Vater ist nach einem Unfall Alkoholiker und hat seine Freundin Mie aus dem Fernen Osten an seiner Seite und die Schwester Manuela versucht irgendwie eine Art Familie zu schaffen und ihren Vater zu retten. Erfolglos.
In der Mukiebude gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Medikamenten, es gibt Drogen und es gibt Muskelkraft. Das nächste Match wird geplant und Heiko will sich, vor allem aber Axel beweisen, dass er ein guter Nachfolger ist. Er lebt in seiner Rolle als Hooligan und kann es sich einfach nicht verkneifen, den Braunschweigern aufzulauern. Überraschungen können sich aber auch als negativ herausstellen. Seit dem letzten Sieg scheint sich eine Pechsträhne mit zusätzlichen Veränderungen anzubahnen. Die Braunschweiger haben sich nicht unterkriegen lassen, sondern konnten regelrecht vernichten und auch das nächste Match geht gründlich daneben. Rache ist angesagt, denn was Kai angetan wurde, kann Heiko nicht akzeptieren.
Gewalt
Heiko Kolbe führt uns als Ich-Erzähler nach und nach sein Leben vor Augen und lässt uns schwer schlucken. Er steckt in seinem Hooligan-Sumpf und treibt von Match zu Match, da keine anderen Lebensperspektiven vorhanden sind. Seine Zuhause ist eine abgelebte Wohnung im Haus von einem Bekannten. Auf dem Grundstück gibt es nicht nur Kampfhunde, sondern seit kurzer Zeit auch einen Tiger. Er könnte ausbrechen, schließlich hat er sonst ein zivilisiertes Leben, ist clean und auch nicht dumm. Auch ist er kein Mitläufer, der bedauert werden muss, weil er einen schwachen Kampfgeist hat. Aber der Wendepunkt naht, denn scheinbar kommt jeder im Leben um das Wort „Erwachsenwerden“ nicht drum herum.
Natürlich sind wir alle erwachsen, doch irgendwann gibt es das Erkennen, wo der wahre Sinn im Leben ist. Heikos Umfeld verändert sich und Hools werden zu Familienvätern oder intensivieren andere Hobbys und erfüllen sich damit Lebensträume. Heiko sieht sich selbst aber als Rächer, denn was Kai angetan wurde, kann er nicht akzeptieren. Aber Kai hat sich ebenfalls verändert und trägt das was ihm angetan wurde mit Würde. Zumindest versucht er es und akzeptiert seine nahende Blindheit als Quittung für die vergangenen Jahre als extremer Hool.
Hart
Philipp Winkler nimmt uns in seinem Roman mit in eine andere Welt. In die Welt des Kampfsports außerhalb des Fußballstadion. In eine illegale Welt die sich schmutzig anfühlt. Durch Heiko lässt er uns alle Facetten spüren und wirbelt beim Lesen immer wieder dumpfe Gefühle mit säuerlich bitterem Geschmack auf. Und doch geht es nicht nur ums Gekloppe, um mich so auszudrücken, wie Winkler vorwiegend schreibt. Der Roman ist tiefer angelegt, als vielleicht anfangs zu vermuten ist. Dass das Werk nicht in einer hochliterarischen Sprache verfasst werden kann, ist an dieser Stelle wohl selbsterklärend.
Hool hinterlässt viele Spuren und Gefühle. Hool hinterlässt aber nicht nur Schmerz, Dreck, Ekel und massive Gewalt, sondern auch ein Stück Hoffnung.
Hool lässt tief denken, bewegt, erschüttert und beinhaltet dennoch negative Faszination.
Hool ist eine Art Verkehrsunfall – grausam und schlimm, aber wegschauen kann man trotzdem nicht.
Hool ist ein Stück harte Literatur die sich zu lesen lohnt!