Wollt ihr mit uns nach Kalabrien kommen?
Wenn es in Deutschland so langsam in Richtung kalte Jahreszeiten geht, lesen wir uns gern in den Sommer zurück. Lesebienchen und ich sind lesend nach Kalabrien gereist. Autor Carmine Abate hat uns in eine Welt „Zwischen zwei Meeren„ (Aufbau Verlag) geführt und verzaubert. Setzt euch zu uns ans literatwoische Lagerfeuer und träumt mit uns mit…
Lesebienchen fragt ~ Binea antwortet
Ich liebe Abates Romane, weil man sie nicht nur lesen, sondern auch riechen, schmecken und fühlen kann. Wie siehst du das?
Ohja – vor allem riechen, schmecken und fühlen, wohl wahr. Das Salz der Meere habe ich auf den Lippen geschmeckt, ich habe die aromatische und sonnenverwöhnte Luft eingeatmet und die Sonne Kalabriens auf meiner Haut gespürt. Ich glaube nach dem Beenden des Romans habe ich ausgesehen, als ob ich im Urlaub war.
Eine Woche Süditalien hat mich vollkommen entspannen lassen. Wer in Abates Worte eintaucht, taucht in ein Paradies der Wortmelodie ein und hat keine Chance während des Lesens auch nur eine Sekunde an den eigenen Alltag zu denken. Abates Romane sind Urlaub, ich stimme dir voll und ganz zu.
Hättest du auch gerne einen Großvater wie Giorgio Bellusci?
Was für ein Prachtexemplar von Großvater. Lach. Giorgio Bellusci – schon wenn ich seinen Namen lese, muss ich schmunzeln und gleichzeitig ziehe ich auch den Hut vor ihm. Was für ein starker, was für ein facettenreicher und vor allem mutiger Charakter. Mein absoluter Lieblingsmensch im Roman. Er hat irgendwie so einen Kultfaktor an sich, anders kann ich es nicht betiteln. Meinen eigenen Großvater würde ich nicht gegen ihn eintauschen wollen, aber ihn selbst noch dazu? Warum nicht – ich glaube ich könnte viel von ihm lernen, würde stundenlang seinen Geschichten lauschen, verrückte Dinge erleben, seinen Lebensergeiz erben, aber wohl auch die ein oder andere Peinlichkeit ertragen müssen.
„Auf der Fahrt erzählte Giorigio Bellusci meinen Eltern, dass ich im Dorf ein schönes Mädchen namens Martina gefunden hätte, dass wir zusammen passten wie der Sugo zur Pasta und so aneinander klebten, dass wir es im Stehen und sogar unter freiem Himmel trieben, in der Parkanlage hinten im Wald.“ (Seite 198/199)
Sind dir Abates Figuren sympathisch?
Und wie! Und wie! Und wie! Aber sie sind mir nicht nur sympathisch, sie sind vor allem auch sehr eigenwillig. Eigenwillig frisch. Frisch und lebendig. Besonders und unberechenbar und vor allem sowas von authentisch und auch ein wenig schrullig. Jeder Charakter ist so unheimlich liebevoll gezeichnet, wobei man bei Abates Protagonisten das unglaubliche Gefühl hat, dass es jede einzelne Person genauso gibt. Beim Lesen hatte ich den innerlichen Drang, bald mit Florian gemeinsam nach Kalabrien zu fliegen, da ich mir bereits nach wenigen Seiten so vertraut mit allen vorkam. Ein wunderschönes Gefühl.
Wem würdest du Abates Romane empfehlen?
Bei dieser Frage musste ich sofort an meine Kollegin denken, die gerade Urlaub in Kalabrien gemacht hat. Es muss herrlich sein, in diesem Werk zu lesen, wenn man genau dort verweilt. Gerade weil Abate auch immer wieder auf die Landschaft eingeht, diese regelrecht bildlich vor dem Leserauge entstehen lässt. Alle Italienurlauber sollten den Roman mit ins Reisegepäck stecken, aber auch alle Daheimbleiber, denn der Roman ist wie Urlaub. Absolut. Ich muss das noch einmal erwähnen.
Zudem empfehle ich Abates Romane allen Lesern, die nicht nur lesen, sondern eben tief in den Romanseiten tauchen wollen. Riechen wollen. Schmecken wollen. Fühlen wollen.
Binea fragt ~ Lesebienchen antwortet
„Zwischen zwei Meeren“ – der Roman aus der Feder des italienischen Autors Carmine Abate, ist meine erste Begegnung mit seiner melodischen Sprache. Du hast bereits Lesevorsprung und mir sehr oft von seinem Werk „Der Hügel des Windes“ vorgeschwärmt. Auch wenn Vergleiche oftmals nicht einfach sind, würde ich gern wissen, welcher Roman dich mehr bereichert hat und warum?
Ja, Vergleiche sind nicht einfach, gerade bei diesen beiden Romanen. Ich kann nicht sagen, welcher Roman mir mehr gefallen hat und welcher weniger, denn beide bedeuten meinem Leserherz viel. Sie sind auch insofern schwer vergleichbar, da sie sich vom Aufbau und vom Plot nicht sonderlich unterscheiden. Beide Romane spielen unter der Sonne Kalabriens, die beinahe auf jeder Seite brennt und durch Abates eindrücklichen Erzählstil auch die Herzen der Leser wärmt. In beiden Roman steht eine Familie und deren Lebenstraum im Mittelpunkt. Ist es in „Zwischen zwei Meeren“ der Wunsch, eine alte Herberge wieder aufzubauen, so steht im „Hügel des Windes“ der Rossarco, ein Weinberg, im familiären Fokus. Doch trotz der vermeintlichen Gleichheit beider Werke lohnt es sich dennoch, beide zu lesen, die Familien kennenzulernen, mit ihnen zu lachen, zu fluchen, zu lieben, zu weinen und gut zu essen.
Jeder dieser Romane bringt ein Stück Urlaubs- und Abenteuergefühl mit sich und unter der Sonne Kalabriens kann man es sich mit den schrulligen Familien mehr als gut gehen lassen.
Welchen Roman würdest du welchem Lesercharakter zuordnen und empfehlen?
Ich würde die Romane keinem bestimmten Lesecharakter zuordnen und empfehlen, sondern jedem, der gerne reist, gerne träumt und gerne außergewöhnliche Menschen kennenlernt.
Das Cover lädt zum Träumen ein. Es berührt und ich weiß, dass du es dir am liebsten als Poster an die Wand hängen würdest. Welche Gedanken schwirren dir durch den Kopf, wenn du es betrachtest?
Ja, dieses Cover ist für mich eines der schönsten der Welt, da es mich auf Anhieb an den für mich liebsten Menschen überhaupt erinnert hat, meinen Sohn. Somit wird dieses Buch immer etwas Besonderes für mich sein, wenn ich den kleinen Jungen betrachte, wie verträumt dem Rauschen der Muschel lauscht.
Was löst Protagonist Florian in dir aus? Magst du ihn oder eher nicht? Wäre er der Mensch, den du nach Kalabrien begleiten würdest?
Ach ja, Florian. Zu Beginn des Romans ein Jung, am Ende vielleicht schon ein Mann. Als Leser geht man mit ihm auf die Reise, lernt mit seinen Augen den mehr als eigentümlichen Großvater Giorgio Bellusci kennen, der geradezu besessen scheint, die alte Familienherberge wiederaufzubauen. Man fühlt mit Florian mit, der hin- und hergerissen ist zwischen seinem Leben in Deutschland und seinen Wurzeln in Kalabrien, der seinen eigenen Großvater zwar nicht „Nonno“ nennen kann, doch sich ihm trotzdem nahe fühlt, ihn verstehen will und dies letztendlich vielleicht sogar als einziger kann, als alle anderen schon längst aufgegeben haben. Man erkennt mit Florian, wie verbunden er sich seiner kalabresischen Familie fühlt, die sehr laut ist, viel isst und viel lacht. Und vielleicht lernt man mit ihm sogar ein wenig die Liebe kennen.
Florian ist für mich ein sehr authentischer Charakter, der an sich wächst und sich verändert. Auf seiner Reise würde ich ihn sehr gerne begleiten, denn es ist nicht nur eine Reise in ein wunderschönes Land, sondern auch zu sich selbst.
Man kann über ein Romanende sprechen, ohne direkt auf den Inhalt einzugehen. Wie hat das Ende auf dich gewirkt? Welche Gefühlsgedanken gingen dir durch den Kopf?
Zwei Gedanken schwirrten am Ende durch meinen Kopf: „schade, dass diese Reise zu Ende ist“ und „es ist ein echtes Abate-Ende“. Meine Gefühle wechselten zwischen leiser Freude und Trauer, Freude über Abates Erzählkunst, Trauer darüber, dass auch dieser wunderbare Schriftsteller leider zu einem Ende kommen musste.
Ooooch, ich liebe Bücher, die alle Sinne erreichen. Und dieses ins Herz treffende Cover, wunderbar, ganz wunderbar!
Ein wunderbarer Roman – absolut. „Der Hügel des Windes“ muss ich auch unbedingt noch lesen. Vorfreude.
Und leider zum Glück bald viel Lesezeit! Bin gespannt, was du darüber schreiben wirst…