Man stelle sich folgende Ausgangssituation vor:
Das renommierte kulinarische Fachmagazin „Gourmet“ beauftragt einen ebenso renommierten Schriftsteller (in diesem Falle den aufgehenden Stern am amerikanischen Literaturfirmament David Foster Wallace), eine Reportage über das größte Hummerfestival der Welt – das Maine Lobster Festival – zu schreiben. Natürlich verspricht sich der feinschmeckende Auftraggeber eine stilistisch wohlgeformte und einzigartige Lobeshymne auf diesen Tempel des modernen Lebensgefühls bei gleichzeitiger Hervorhebung der Vorzüge der Haute Cuisine [ot kɥiˈzin] . Und dies eben „Am Beispiel des Hummers“.
All dies stelle man sich vor. Xenos
Man stelle sich darüber hinaus den beauftragten Autor vor.
David Foster Wallace hatte 1996 mit dem „Unendlichen Spaß„ einen Sensationserfolg aufs literarische Parkett gelegt und gehörte unumstritten zu den hoffnungsvollsten englischsprachigen Autoren. Trotzdem war es nicht ausschließlich die Kreativität, die sein treuer Lebensbegleiter war. Depression – die dunkle Seite der Phantasie – hatte ihn seit Jahren fest im Griff. Mal intensiver, mal mit ein wenig gelockertem Griff um die schreibende und fühlende Seele. Jedoch – sie war immer da…. immer….
Genau sieben Jahre später, als der Unendliche Spaß schon endlich zu werden schien, nahm David diesen Auftrag bereitwillig an und begab sich voller Tatendrang nach Maine. Sein Leben war im Lot und er stand kurz vor dern Pforten der Ehe mit der Malerin Karen Green.
David Foster Wallace begann vor Ort mit seinen Recherchen – unvoreingenommen und fasziniert vom Thema. Es hummerte in ihm und sein Essay beginnt mit einer umfassenden Betrachtung zur kulinarhistorischen Geschichte des „Lobsters“. Er schildert den Aufstieg eines Armeleuteessens zur Gourmetlebensader und erläutert die wachsende regionale und globale Bedeutung des Hummer-Festivals in Maine. Er schildert die Vielzahl von Zubereitungsmethoden, durch die der Hummer erst zu dem wird, was sich sehnsüchtige Feinschmeckergaumen von ihm erwarten.
All dies schreibt er virtuos und dezidiert… unvoreingenommen wie gesagt, bis zu jenem Punkt, der alles ändert.
Im Angesicht des weltgrößten Hummerkochtopfs (The World Largest Lobster Cooker) beginnt das Werk zu kippen – genau an diesem Punkt beginnt der Autor das Objekt seines Essays mit anderen Augen zu betrachten und die neue Perspektive setzt bei einer elementar wichtigen Erkenntnis ein. Haben doch alle bekannten Zubereitungsmethoden der modernen Hummerküche eines gemeinsam:
„Ein Detail, das offenbar so selbstverständlich ist, dass es in den meisten Kochbüchern nicht einmal erwähnt wird: Der Hummer kommt lebend in den Topf!“
Foster Wallace wäre nicht Foster Wallace, wenn sich nicht genau an dieser Stelle die Tür zu einer anderen Welt öffnen würde. Er reflektiert ungeschönt die abstrusen menschlichen Vermutungen über die angebliche Schmerzunempfindlichkeit anderer Lebewesen. Er analysiert systematisch alle Argumente, die uns den Weg öffnen, Tiere bei lebendigem Leib zu kochen und es stellen sich ihm (und dem nicht abgebrühten Leser) die Nackenhaare auf, wenn er den Todeskampf des verzweifelten Hummers beschreibt.
Ein Artikel für das Gourmet-Magazin ist dies nicht mehr – kann es nicht mehr sein und wird es nie werden. Thema verfehlt, könnte man sagen. Jedoch nur, wenn man sich anderes vom amerikanischen Autor erwartet hatte! Nur dann, wenn man keine neue Erkenntnis erwartete – und die hat es gewaltig in sich!
Hierfür benötigt er keine Enzyklopädie – David Foster Wallace vermag es, auf genau 64 Seiten das Kaleidoskop unserer Wahrnehmung um 360 Grad zu drehen, um dann im finalen Schritt eine weitere Umdrehung folgen zu lassen. Nicht mehr der Hummer steht danach alleine im Fokus der ethischen Schlussbetrachtung…. es ist eben alles nur „Am Beispiel des Hummers“ erzählt.
David Foster Wallace nahm sich am 12. September 2008 in Claremont, Kalifornien, das Leben. Die tiefen Depressionen hatten ihn fest im Griff, eine stationäre Elektrokrampftherapie war wirkungslos verpufft und der begnadete Schriftsteller sah wohl keinen anderen Ausweg mehr, als dauerhaft im Meer der dunklen Wellen zu versinken. Uns bleiben seine Werke, vom „Unendlichen Spaß“ bis hin zu seinen Kurzgeschichten… wenigstens das bleibt… wenigstens das….
Wie immer, gefällt mir euer Bericht! Doch liest man die letzten Zeilen, kehrt Traurigkeit ein. Und ich erinnere mich an euren FB Eintrag, der es wirklich in sich hat; und es haargenau auf den Punkt bringt. Irgendwann erinnern nur noch Worte, und das was der Autor der Nachwelt hinterlässt, sind unzählige Bücher. Oft kommt der Ruhm erst nach dem Tod. Ob man sich an jeden einzelnen erinnern wird? Erst Jahre später entscheidet sich wer den Lesern in Erinnerung bleiben wird.