„Der Sommer hat lange auf sich warten lassen“ (Luchterhand), ja, dem Titel können wir einfach nur zustimmen.
Aber mal ehrlich, ein Roman aus dem Hause Luchterhand, hat keine einfache Aussage im Titel, oder? Natürlich verbirgt sich hinter dem Titel nicht das, was wir auf den ersten Blick vielleicht vermuten. Es geht natürlich nicht um den vergangenen Sommer.
Melitta Breznik erzählt von einem Sommer, einem Lebensabend, in dem vielleicht ein runder Abschluss gefunden werden kann. Dazu braucht sie nur drei Protagonisten. Margarethe, eine Frau im Alter von knapp 90 Jahren, Max, deren ersten Mann und Lena, ihrer gemeinsame Tochter.
Im Sommer des Jahres 2011 findet sich der Leser wieder. In der Schweiz, in Basel, bei Margarethe. Sie fühlt sich wohl im letzten Lebensdomizil, in der Altenklause. Aber sie möchte unbedingt noch eine Reise wagen, die Reise die ihr Leben endlich abrunden soll. Eine Reise die sie alleine unternehmen möchte, ganz alleine, nur mit ihren Gedanken. Ihr Ziel lautet Bergen-Enkheim, der Ort der ihre Kindheit zeichnete, der Ort an dem sie ihre Tochter Lena treffen möchte.
Lena ist früh aus ihrem Elternhaus nach London geflüchtet. Der Kontakt zur Mutter brach, als diese gegen den Willen Lenas handelte und eine Entscheidung für ihre Zukunft traf. Eine Entscheidung die Lenas Leben prägte und immer noch auf ihr lastet. Ihr Vater Max hat Margarethes Handeln damals nicht mehr mitbekommen, denn er konnte nicht mehr, denn der Krieg und die Kriegsnachwirkungen haben ihn innerlich zerfressen. Dennoch möchte Lena ihre Mutter treffen, sie sehen und vielleicht sogar ein letztes, aber irgendwie auch erstes Mal im Arm halten.
Max aus Kapfenberg konnte in seinem Leben nicht wirklich viele schöne Momente erleben. Der 2. Weltkrieg mit seinen Vor- und Nachwirkungen, seiner unschönen Kindheit, zeichnet ihn. Selbst das Leben in Wien, seine Ehefrau Margarethe und Tochter Lena schafften es nie, ihn völlig unbeschwert zu machen. Doch die Tapferkeit war Max Stärke, denn seine Lena liebte er über alles und ihre Kindheit sollte so unbeschwert wie möglich sein. Seine dunkle Vergangenheit sollte keinen Platz im hellen Tageslicht finden.
Drei Leben, drei Vergangenheiten – Margarethe, Lena und Max.
Die Reise der beiden Frauen löst die Welle der Rückblicke aus. Das bisherige Leben wird anhand von Gegenständen oder Begebenheiten wieder in den Vordergrund geholt. Zwei lebendige Frauen mit abgestorbenen Lebensinhalten wagen es, aufeinander zuzugehen. Schritte die beim erneuten Blick zurück schwer werden, Schritte die gegangen werden müssen.
Melitta Breznik nimmt den Leser mit auf eine Reise und öffnet in einer leisen Art und doch mit lauten Worten drei Lebenstore. Die Autorin selbst reiste für mich ebenso mit, denn sie ist wie ihr Protagonist Max in Kapfenstein geboren und zählt heute 52 Lebensjahre, fast genauso viele, wie ihre Protagonistin Lena.
Der Schreibstil ist tief und stechend, schneidende Worte fügen Schmerzen zu, die die Vergangenheiten spürbar machen. Ihre Charaktere haben die große Gemeinsamkeit, dass ihre Leben zerrissen sind, nicht miteinander, aber auch nicht ohneeinander leben können.
Als Leser wird schnell die Vermutung, dass der Roman hauptsächlich aus der Sicht Margarethes erzählt wird, zunichte gemacht. Nicht nur sie, sondern auch Tochter Lena hat ein bewegendes Leben und braucht den Platz, um den Leser dahin zu entführen. Obwohl im Jahr 2011 nur noch die zwei Frauen leben, bekommt Max ein Erzählfenster, welches in seinem Stil einzigartig ist, da es sich in verschiedenen Zeitebenen abspielt.
Wagt den Schritt, begebt euch auf eine Reise, die viele Gefühle beherbergt. Eine Reise der Lebenswegpunkteverarbeitung, die wie Landschaft am Leserfenster vorbei und vor allem mitzieht.
Der Roman löst das Zurückblicken auf die eigenen Vergangenheit aus, verbirgt Geheimnisse und beleuchtet die Kriegszeit in einem Licht, welches von Überlebensgefühlen und ihren Begleiterscheinungen ummantelt ist.
Der Sommer hat lange auf sich warten lassen und doch ist er gekommen. Ein leises Buch, was unserer heutigen Gesellschaft drei Lebensgeschichten des 20. Jahrhunderts laut entgegen schreit.
Hinter einem einfachen Buchtitel verbirgt sich oftmals ein komplexer Kosmos aus Bildern und Gefühlen… Diese Rezension hat nicht lange auf sich warten lassen und es ist zu hoffen, dass auch das Lesen des Romans nicht mehr lange auf sich warten lässt.
Schritte zu wagen, hinter denen Gefühle verborgen sind… das ist oft schwer. Du hast es den Lesern leicht gemacht, indem du den ersten Schritt gegangen bist, Bianca…