Mädchen oder Junge?
Bisher habe ich noch keinen Transgender-Roman gelesen. Ich bin immer und immer wieder drumherum geschlichen, doch nie habe ich zugegriffen. Wegen des Themas? Weil ich zu den Leuten gehöre, die diese Menschen verachten? Um Himmels willen – nein, niemals!
Ich selbst bin ein sehr offener und toleranter Mensch und jeder Mensch kann leben und lieben, wie und wen er möchte, wenn er sich selbst und keinen seiner Mitmenschen damit gefährdet. Meine Omi würde jetzt die Hände über dem Kopf zusammen schlagen, denn sie gehört leider noch zu der Generation, die mit Scheuklappen vor den Augen durchs Leben geht. Sie hält sich die Ohren zu, wenn wir über unseren schwulen Nachbarn reden oder über eine lesbische Kollegin. Sie findet es ekelhaft, wenn sich gleichgeschlechtliche Menschen küssen. Gegen die Menschen selbst hat sie nichts, aber sie möchte es einfach nicht sehen, nicht wissen und es wäre ein Drama für sie, wenn es Homosexualität bei uns in der Familie gäbe. Das ist traurig, aber daran kann ich nichts ändern, wobei ich es oft versucht habe. Mir bleibt nur übrig, zu akzeptieren. Aber ich versuche dennoch weiterhin, ihr Weltbild zu ändern.
Alex Ginos Protagonist George ist allerdings nicht schwul, sondern er möchte gern ein Mädchen sein. Er sieht sich selbst als Mädchen an, als Mädchen im falschen Körper.
Falscher Körper
George ist 10 Jahre jung und merkt von Tag zu Tag mehr, dass sie kein Junge ist. Sie in Zusammenhang mit Junge? Ja, denn genau in der Form ist auch Ginos Roman geschrieben. Eine Form die ich persönlich sehr mag und an die man sich schnell als Leser gewöhnt. George habe ich dadurch von Anfang an als Mädchen vor mir gesehen.
George liebt es Mädchenzeitungen zu lesen. Sie stellt sich immer vor, dass die Mädchen darin ihre Freundinnen sind. Allerdings muss sie diese verstecken, denn es wäre nicht wirklich gut, wenn die Mutter diese findet. Was würde sie über ihren Sohn denken? Was will ein Junge mit Schminktipps? George liebt es außerdem, jede Menge Zeit mit ihrer besten Freundin Kelly zu verbringen. Bei Kelly hat Georg das Gefühl, so sein zu können, wie sie gern sein mag. George nennt sich selbst Melissa.
„George wusste also, dass es möglich war. Ein Junge konnte zu einem Mädchen werden.“ (Seite 55)
George ihr größter Wunsch ist es, die Rolle der Charlotte im Theaterstück an der Schule zu spielen. Mit Kelly übt sie die Rollen, um beim Vorsprechen richtig gut zu sein. George fasst allen Mut zusammen und schlüpft als einziger Junge in die Rolle von Charlotte. Kelly drückt George die Daumen, doch Charlotte soll von einem Mädchen gespielt werden. Kelly soll Charlotte sein. Eine Welt bricht für George zusammen…
Wandlungen
Was dann passiert, möchte ich euch an dieser Stelle nicht verraten. Mir schnürt es das Herz zusammen, wenn ich an die nächsten Ereignisse denke. Ereignisse die wahnsinnig schön, bewegend, lustig und traurig zugleich sind.
Autor Alex Gino kennt seit über 20 Jahren die transgender Bewegung und konnte durch seine Erfahrungen dieses Kinderbuch schreiben. Genau das merkt man, denn Gino legt wahnsinnig viel Feingefühl und Gespür in seine Figuren. Sie fühlen sich lebensecht an und man ertappt sich selbst dabei, seine eigenen Gedanken zwischen den Seiten zu finden.
Mit Freude habe ich gelesen, was George passiert, welchen Mut sie in sich hat und wie sich ihr Umfeld verhalten und gedreht hat. Wie soll man sich verhalten, wenn das eigene Kind das Gefühl hat, im falschen Körper zu stecken? Georges Mutter ist im Zwiespalt. Will man als Mutter nicht immer nur das beste? Oder will man durchsetzen, was man für sich als das beste empfindet? Gino öffnet Augen und gibt indirekte Antworten.
Was liebe ich dieses Buch. Oh, was liebe ich es. So ein Goldstück der Literatur! Die Charaktere sind so stark gezeichnet, so plausibel, so offen und Gino schreibt so authentisch, so kindgerecht.
Du bist heterosexuell? Oder bist du homosexuell? Du hast das Gefühl im falschen Körper zu sein? Oder das Gefühl im richtigen Körper zu sein? Du bist ein Kind? Nein, du bist kein Kind mehr? Du hast Kinder? Du hast keine Kinder? Ach, du bist Pädagoge? Du bist kein Pädagoge? Du bist zwischen 8 und 99 Jahren alt? Sobald du eine Antwort mit JA geben kannst, gehörst du zu den Menschen, die dieses Buch lesen sollten. Es erweitert den eigenen Horizon, beinhaltet viel Gefühl und eine Geschichte, die jeder kennen sollte.
Lies GEORGE und SEI, WER DU BIST!